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Robert Fripp. Foto: Sean Coon/Wikimedia Commons
Robert Fripp. Foto: Sean Coon/Wikimedia Commons
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Musik, die ihre Flügel ausbreitet: „The Wine of Silence“ – Robert Fripps Soundscapes im orchestralen Gewand

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Robert Fripp, Mastermind der Rockavantgarde-Giganten King Crimson, jener Pioniere zahlreicher Genres, die wir heute für gegeben nehmen, hat in den letzten eineinhalb Jahrzehnten die Regionen der frei schwebenden, spiralartig kreisenden Soundscape Improvisation/Komposition weit hinaus über das, was er einst mit Brian Eno erkundete, zu zeitlos transzendenter Meisterschaft entwickelt.

Ein wenig vergleichbar mit Minimal Music der besseren Machart ist, dass die Musik einerseits in sich zu kreisen scheint, und dass sie andererseits in ihren Loops doch ständig den Raum anders ausleuchtet bzw. ihre Position im Raum unberechenbar verändert. Im Grunde wirkt das dann so, als sei sie an mehreren, teils durchaus weit voneinander entfernten Orten im Raum gleichzeitig – wobei ihre Positionen nirgends dingfest zu machen sind, sondern sich immerfort in Form von sanften, in langgezogenen Bögen kontinuierlich ihre Ausrichtung verschiebenden Linien in Bewegung befinden. All das ist in Robert Fripps Live-Konzerten, ob mit oder ohne Partner, ob in ehrwürdigen Kathedralen oder andernorts, von strömender Kraft, kühler Eleganz, objektivierender Distanz, suggestiv reduzierter Harmonik und sinnlich ummantelter Askese der Form.

David Singleton hegte seit Jahrzehnten die Vision, Fripps Musik in orchestralem Gewand zu hören. Viele helfende Hände kamen hinzu: Transkriptionen von Bert Lams vom exquisiten California Guitar Trio; Gurdjieffianer Gert-Jan Blom, der das Metropole Orkest in Amsterdam zur Verfügung stellte und die Aufträge akquirierte; das Metropole Orkest als Hollands führendes Orchester abseits des klassischen Establishments, mit dem Dirigenten Jan Stulen; und dann vor allem Andrew Keeling, der im Booklettext eindringlich schildert, wie er allmählich von exakten Transkriptions-Arrangements zu freieren Verfahren überging und so schließlich Kompositionen entstanden, die das ursprüngliche Material erweitern und teils Kombinationen aus unterschiedlichen Originalstücken Fripps bilden. Auch neue, religiöse Titel gab Keeling einigen Werken, die allesamt am 28. Juni 2003 im Amsterdamer Paradiso live mitgeschnitten wurden.

In zwei Werken (Requiescat und Miserere Mei) tritt ein Chor hinzu, der dem Ganzen eine menschlich-melancholische Note verleiht, die am weitesten von Fripps ursprünglicher Sprache wegführt, jedoch ohne sich dieser zu entfremden (für diese beiden Stücke zeichnet denn auch das Kollektiv Fripp, Keeling & Singleton verantwortlich; in Black Light sind Fripp & Singleton die Autoren, die drei übrigen Stücke – zwei Mal Pie Jesu, als Prä- und Postludium, und Midnight Blue – verzeichnen Robert Fripp allein als Komponisten).

Für Fripp-Freunde ist dieses Dokument unentbehrlich; für die Freunde von atmosphärischer Klangästhetik mit religiösen Assoziationen, die etwa Arvo Pärt, Terje Rypdals und Keith Jarretts „klassisch-kompositorische“ Ausflüge u.ä. mögen, kann es eine echte Entdeckung sein; und es ist wieder einmal faszinierend, welche Mannigfaltigkeit der Schichtungen ein Orchester hervorbringt. Doch kann ich auch nur allzu gut verstehen, wenn Hörer wieder auf den ‚echten Fripp’ zurückkommen, mit seiner Gitarre und den Delays, mit all den Möglichkeiten und all der Freiheit, die im Moment ohne Fixierung auf eine Partitur möglich sind. Dann kann diese Musik, bei gewiss hoher Disziplin, ihre Flügel ausbreiten.

Das Orchesteralbum von Fripp, Keeling & Singleton heißt übrigens ‚The Wine of Silence’, in Bezug auf ein Statement Robert Fripps von 1980:

‚Music is the cup which holds the wine of Silence.
Sound is that cup, but empty.
Noise is that cup, but broken.’

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