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Auf den Klippen des Belcanto

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Die vokalen Gratwanderungen der Cecilia Bartoli auf DVD-Video
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Ob sie nun die aschgraue Dienstmagd oder das rotzfreche Doktorenmündel ist, ob sie Lieder aus drei Jahrhunderten minutiös gestaltet oder vergessene Vivaldi-Heroinen zum Leben erweckt – immer erobert Cecilia Bartoli das Publikum durch ihre überschäumende Freude am Singen.

Ob sie nun die aschgraue Dienstmagd oder das rotzfreche Doktorenmündel ist, ob sie Lieder aus drei Jahrhunderten minutiös gestaltet oder vergessene Vivaldi-Heroinen zum Leben erweckt – immer erobert Cecilia Bartoli das Publikum durch ihre überschäumende Freude am Singen.Ihr vokales Glanzstück jedoch beginnt ungewohnt verhalten mit „Kummer und Tränen“. Aber am getragenen Beginn kann es nicht liegen, dass Koloratur-Mezzos weltweit diesen Drahtseilakt fürchten. Auch wenn die Töne im unteren Regis- ter nach den anstrengenden zweieinhalb Stunden beileibe nicht einfach zu halten sind. Wirklich gefährlich wird es erst im zweiten Teil. Da überschlagen sich plötzlich Wogen purer Lebensfreude, beginnen die Verzierungen und Läufe zu rauschen wie ein Wasserfall aus Zweiunddreissigstel-Ketten.

Geschundenes Hausmädchen und strahlende Prinzessin – im kniffligen Schlussrondo aus Rossinis Dienstbotendrama „La Cenerentola“ konzent- rieren sich die beiden Seiten der Titelheldin auf engstem Raum. Womöglich ist das der Grund, warum die Angelina das ideale Vehikel ist für die Trapezkünste der Cecilia Bartoli. Ihr unverwechselbares Organ jedenfalls lässt sich nur mit Widersprüchen beschreiben: Zart-bitter und erdig in der Tiefe, aber mit einer weichen Lasur wie aus schwarzem Samt. Hell glühend in der Höhe und trotzdem messerscharf attackierend. Ohnehin meinte sie selbst in Bezug auf die Rolle: „Das alles ist extrem, darin kann ich mich durchaus erkennen: stark und zerbrechlich in einem zu sein.“

Rein optisch ist sie freilich nur Eins – jedenfalls in der Aufzeichnung aus der Houston Grand Opera (1995): Unangefochtene, selbstbewusste Attraktion des Abends, was sie offensichtlich auch weiß. Schließlich ist schon Roberto De Simones Inszenierung, eine grotesk überzeichnete Märchenwelt wie aus Walt Disneys „Cinderella“, scheinbar nur auf sie hin angelegt. Dass man von Diva-Allüren dennoch nichts merkt, liegt am natürlichen Charme mit dem das Bühnentier Bartoli, auch stimmlich, bezaubert (man höre nur die Phrase „in casa di quel principe“ im ersten Akt).

Ähnlich gelöst auch der hell und beweglich klingende Don Magnifico von Enzo Dara. Gerade bei ihm und Alessandro Corbelli als Dandini merkt man, dass diese „Cenerentola“ nicht nur der Bartoli Spass macht. Im Vergleich dazu singt Raúl Giménez als Don Ramiro eher auf Sicherheit und die extreme Höhe in „Si, ritrovarla io giuro“ ist auch nicht seine Sache. Aber die Stimme klingt schön und ähnlich kultiviert, wie das Houston Symphony Orchestra unter Bruno Campanella und der bestens eingestimmte Männerchor. Die wahren Belcanto-Enthusiasten freilich werden sich primär für die Drahtseilakte der Bartoli interessieren.

Das konnte Michael Hampe acht Jahre zuvor noch nicht wissen. Er inszenierte in Schwetzingen Rossinis „Barbier“ als aberwitzig rasante Ensemble-Buffonerie ohne „Star of the Night“. Dabei hatte „la Santa Cecilia“ schon 1985 ihr Operndebüt als Rosina gegeben. Und die unbändige Lebensfreude, die elementare stimmliche Hingabe waren auch drei Jahre später im Schwetzinger Rokokotheater vorhanden. Auch wenn die Stimme lange nicht so uneingeschränkt spurte wie im Cenerentola-Video und zumal das Brustregister keineswegs so felsenfest und voluminös zementiert war wie in der texanischen Hauptstadt. Aber das zeigt ja nur, wie intensiv sie am Ausbau der Stimme gefeilt hat.

Fehlende Kapazität wird man Gino Quilico nicht vorwerfen können. Sein Figaro strotzt geradezu vor viriler Präsenz – das „Largo al factotum“ schleudert er mit niederschmetternder Wucht heraus. Und bei seiner rotzfrechen Durchtriebenheit bleibt sogar der Mezzo-Wirbelwind gelegentlich ebenso hinten nach wie David Kueb- ler, der als Almaviva von Anfang an limitiert und ab dem zweiten Akt deutlich ermüdet wirkt. Zwar verbreitet Robert Lloyd nachtschwarzes Bassdunkel, sein Basilio ist ansonsten aber so geläufig wie ein Besenstiel. Auch Carlos Feller ist dem frühindustriellen Maschinenrhythmus des „Dottor della mia sorte“ nicht gewachsen. Schuld des Dirigenten Gabriele Ferro? In Serenade und Basilio-Arie jedenfalls geraten Bühne und Graben arg auseinander.

Dass „la Santa Cecilia“ einen abendfüllenden Event auch allein bestreiten kann; dass sie über flirrende Klagvaleurs und dynamische Kontraste im verzierten genauso wie im romantischen Repertoire verfügt und danach das diffizile Es am Ende von Rossinis „Zelmira“ mit voller Kraft hinaustrompetet – das alles war einem spätestens nach dem Erscheinen ihres „Live in Italy“-Recitals klar. Daneben gibt es auf dem DVD-Ableger fünf Extratracks und dazu die grandiose Kulisse des legendären „Teatro Olimpico“ in Vicenza. Schon deshalb sollte man einen Zweiterwerb in Erwägung ziehen. Aber Konzertvideos... Sind die nicht oft ermüdend, weil die Kamera mal diesen und jenen Musiker zeigt, mal die Solisten beim Verbeugen beobachtet? Nicht so, wenn Brian Large Bildregie führt. Im „Olimpico“ findet er immer wieder architektonische Details, die mit der Musik korrespondieren, beobachtet die Mimik der Sängerin an den technisch heiklen Stellen. Mittlerweile muss Large ja ein profunder Bartoli-Kenner sein. Schon im Cenerentola-Video sorgte er ebenso für den richtigen Blickwinkel wie in „Viva Vivaldi!“.

In dieser Aufzeichnung aus dem Pariser Théâtre des Champs-Élysées gab die Bartoli, begleitet von Il Giardino Armonico, zahlreiche Arien aus dem kurz davor bei der Decca erschienenen „Vivaldi Album“. Dass einen die Live-Versionen noch stärker in Bann schlagen als die an sich schon erstklassigen Studio-Takes mag mit der entspannteren Situation zu tun haben. In der direkten Kommunikation mit dem Publikum läuft der Mezzo-Wirbelwind erst zu Bestform auf. Dabei wirken die Tempi getragener ohne an Spannkraft zu verlieren. Gerade deshalb werden die zahllosen Arien aus vergessenen Vivaldi-Opern zu noch drastischeren Psychogrammen. „Gelido in ogni vena“ etwa dauert beklemmende zweieinhalb Minuten länger als in der CD-Version.

Davon abgesehen bietet die DVD etliche Tracks, die auf der Studio-Einspielung fehlen. Keine Frage, Bartoli-Enthusiasten werden daran nicht vorbei können.

  • Gioacchino Rossini: La Cenerentola
    Decca DVD 071 444–9 (Vertrieb: Universal)
  • Gioacchino Rossini, Il Barbiere di Siviglia
    Art Haus Musik 100 090 (Vertrieb: Naxos)
  • Live in Italy, Arien und Lieder von G. F. Händel, W. A. Mozart, H. Berlioz, G. Bizet, F. Schubert u.a.; Cecilia Bartoli, Jean-Yves Thibaudet (Klavier), Sonatori de la Gioiosa Marca; Bildregie: Brian Large (1998)
    Decca DVD 074 104–9
  • Viva Vivaldi!, Konzerte und Arien (aus Farnace, Bajazet, La Griselda, La fida ninfa u.a.) von A. Vivaldi; Cecilia Bartoli, Il Giardino Armonico; Bildregie: Brian Large (2000)
    Art Haus Musik 100 228

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