Body
„Der Punkt verlängert die Note um die Hälfte ihres Wertes.“ Dieser auch in modernen Instrumentalschulen noch häufig zu findende Satz hat mit Sicherheit noch nie dazu geführt, dass Kinder danach einen punktierten Rhythmus spielen konnten.
Es zeigt sich ein grundlegendes Problem des Instrumentalunterrichtes: Neben der künstlerischen und technischen Beherrschung des Instrumentes muss auch ein sehr erheblicher Teil Musiktheorie vermittelt werden. Die Schwierigkeiten sind bekannt: Wie erklärt man einem Grundschulkind, dass ein Achtel die Hälfte von einem Viertel ist, den Unterschied zwischen großer und kleiner Terz, dass Dreiklänge verschiedene Umkehrungen haben oder gar die harmonische Funktion einer Dominante? Solche Themen gehören jedoch in einen umfassenden Instrumentalunterricht. Instrumentalschulen bieten hierzu zwar einige Hilfestellungen an, trotzdem bleibt aber das Meiste dem Lehrer überlassen. Die im Folgenden vorgestellten neuen Unterrichtsmaterialien erleichtern ihm diese Aufgabe. Sie werden sehr unterschiedlich eingesetzt: „Harmonielehre für Kinder“ zum Beispiel muss für einen längeren Zeitraum parallel zum Instrumentalunterricht behandelt werden. „Spiel mit Takt und Rhythmus“ kann in den ersten zwei Jahren immer wieder zum Visualisieren rhythmischer Probleme benutzt werden. Der „Musikbaukasten“ ist gedacht als eine Art „Vorschule“ für den eigentlichen Unterricht.
„Die Reise mit dem Rhythmuszug“ ist ein Kartenlegespiel mit Lokomotiv- und Waggonkarten. Auf den Loks sind Taktbezeichnungen aufgedruckt, die Waggons haben eintaktige Rhythmen oder Pausen „geladen“. Es gibt verschiedene Spielideen, nach denen Züge gebildet werden können, Ziel ist immer ein routinierter Umgang mit Noten- und Pausenwerten. Die Züge
(1 Waggon = 1 Takt) können nach dem Spiel noch geklatscht oder auf dem Instrument improvisiert werden, was einen zusätzlichen Reiz ausmacht. Positiv fällt die professionelle und ansprechende grafische Gestaltung auf. Außerdem hat die Autorin auch Regelvarianten entwickelt, die es durch ein gewisses Maß an Zufälligkeit ermöglichen, dass Kinder auch im Spiel gegen Erwachsene eine Chance haben.
Ein anderes Kartenspiel ist „Noten lernen? Kein Problem!“ Der lockere Titel täuscht: Das Spiel enthält die chromatische Tonleiter über sechs Oktaven mit enharmonischen Verwechslungen, dazu Pausenwerte. Jeweils Name und Griffbild auf dem Klavier sind auf der einen, die entsprechende Note auf der anderen Seite einer Spielkarte abgebildet. Die Spielideen sind zumeist „sehr pädagogisch“ (= langweilig). Außerdem steht hier die Kontrolle („Wer den Namen weiß, bekommt die Karte...“) und nicht der spielerische Umgang mit dem Mate-rial im Vordergrund. Interessanter wird es schon beim chromatischen Domino und beim Akkord-Mau-Mau, allerdings erfordern diese Varianten bereits einen hohen musikalischen Bildungsgrad und sind für entsprechende Schüler dann auch wieder schnell langweilig. Fazit: Für Pianisten vielleicht wegen der Griffbilder interessant, ansonsten sehe ich wenig Einsatzmöglichkeiten. Wenn der Verlag entsprechende Spiele mit Griffbildern für andere Instrumente herausbrächte, sähe die Sache schon anders aus.
Die Hefte „Abenteuer Musiktheorie“ schrecken durch eine grinsende Trommel mit Armen und Beinen und einen Kontrabass mit Gesicht und roter Fliege zunächst eher ab. Liest man dann im Cover-Text, dass die zwei Hefte für Kinder im Vorschulalter gemacht sind und entdeckt beim Durchblättern aber bereits auf Seite fünf die erste Textaufgabe (Kinder lernen normalerweise erst in der Schule das Lesen), zweifelt man doch an der Sachkenntnis der Autoren. Wenn man aber seine Schüler bittet, (wegen des Covers) eine undurchsichtige Schutzhülle für das Heft zu besorgen und außerdem noch einige methodische Schwächen ausgleicht, hat man allerdings eine wirklich sinnvolle Hilfe im Instrumentalunterricht mit Grundschülern. Viele Aufgaben sind gut gemacht und können nach kurzer Anleitung von den Kindern selbst ausgeführt werden. So kann man im Gruppenunterricht Stillarbeiten einführen, während ein Schüler mit dem Lehrer gezielt an einem instrumentalen Problem arbeitet.
Das „Spiel mit Takt und Rhythmus“ derselben Autoren hingegen ist uneingeschränkt eine Bereicherung für den Unterricht: Auf einer quadratischen Grundfläche (4/4-Takt oder ganze Note) lassen sich „Puzzleteile“ mit aufgedruckten Noten beziehungsweise Pausen verteilen. Die Größe dieser farbigen Teile, die ein bisschen an „Tangram“ erinnern, entspricht der Länge der aufgedruckten Note. Damit lassen sich auch komplexere Rhythmen Kindern im ersten und zweiten Schuljahr anschaulich und fundiert erklären. Dieses Material ist eine wirkliche Empfehlung, wenn das erwähnte Problem mit der punktierten Viertelnote zum ersten Mal auftaucht. Hinzu kommt, dass es auch Erwachsenen Spaß macht, neue Rhythmen zu „puzzeln“.
Einen ähnlichen Weg wie „Abenteuer Musiktheorie“ geht „Der Notenclown“. Dieses Heft ist allerdings sehr viel deutlicher auf den Beginn des Instrumentalunterrichts zugeschnitten und beschränkt sich auf das Lernen der Notennamen vom kleinen g bis zum h’’ im Violinschlüssel, es enthält keine Rhythmusübungen. Die zum Teil sehr pfiffigen Übungen sind oft als Rätsel gestaltet und orientieren sich in ihrer Art an Arbeitsmaterialien für die Grundschule. Das System der Autorin, Notennamen durch Eselsbrücken einzuführen, führt aber bei Kindern bestimmt zu Verwirrung: Ein a ist einfach kein „Affe Albern“, ein e nicht „der lustige Elefant“. Außerdem kann so ein System mit Instrumentalschulen kollidieren: Wenn die zum Beispiel das fis auf der Blockflöte „Krokodilgriff“ nennen, wird der Tierpark im Kopf der Schüler doch insgesamt etwas unübersichtlich. Größtes Manko ist aber die graphische Gestaltung.
Wohl wegen des stolzen Preises von 370 Mark stand dem Rezensenten nur die Anleitung, ein „Märchenheft“ und ein Werbevideo über „Das Musikalische Einmaleins mit dem Musikbaukasten“ zur Verfügung. Gedacht ist es für den frühinstrumentalen Gruppenunterricht auf Klavier, Blockflöte, Violine, Gitarre und Hackbrett, missverständlicherweise nennen die Autoren das Früherziehung! Kinder, die aus dem „richtigen“ Früherziehungsunterricht nach VdM-Lehrplan kommen, sind allerdings mit vielen Elementen aus dem Musikbaukasten unterfordert. Das Video ist sehr beeindru-ckend (für 10 Mark beim Verlag erhältlich), allerdings werden die interessantesten Stellen in der Anleitung nur sehr dürftig beschrieben. Vorläufiges Fazit: Gute Ideensammlung, aber der Lehrer wird mit der Umsetzung ziemlich alleine gelassen. Der Verlag sollte dringend eine umfangreiche Anleitung mit Stundenbildern und genauen Spielanregungen für alle Instrumente beifügen, sonst ist der Musikbaukasten völlig überteuert.
„Testsieger“ und Auslöser für diesen Artikel ist die „Harmonielehre für Kinder“. Nicht für alle Kinder, aber für bestimmte Schüler kann das Buch unbekannte Welten erschließen. Gedacht ist das durchgehend farbig illustrierte Heft als Ergänzung zum Instrumentalunterricht, übrigens nicht nur für Harmonieinstrumente. Das Buch erklärt mit einer Fülle von Spielideen und Aufgaben sehr fundiert musiktheoretische Zusammenhänge. Die meisten Spiele können in der Gruppe ausgeführt werden. Themen sind Intervalle, Quintenzirkel, Tonleitern, Dreiklänge, die Kadenz, der Dominantseptakkord und sogar eine einfache Modulation. Das Ganze ist grafisch sinnvoll und auch unterhaltsam gemacht, die Texte sind kurz und kindgerecht, dabei aber nicht anbiedernd, die Grafiken eignen sich hervorragend. Hinzu kommt ein vorsichtiges Einbeziehen von Elementen außerhalb von Dur und Moll (Pentatonik, Ganztonleiter, Cluster). Dem Buch liegt ein drehbarer Quintenzirkel in Dur und Moll bei. Kleine Schwächen: Für die Erklärung von kleinen, großen und reinen Intervallen ist der Autorin leider nicht so viel eingefallen. Und nach nur einem Jahr Instrumentalunterricht, wie es im Vorwort steht, ist man auf den meisten Instrumenten noch nicht in der Lage, die Übungen nachzuvollziehen.
Trotzdem kann man allen zukünftigen Autoren und Verlagen von Unterrichtsmaterial für Kinder Text und Grafik dieses Heftes zur Nachahmung nur dringend empfehlen.
Jörg Sommerfeld
* „Die Reise mit dem Rythmuszug“, Tamara Scheps, Schott ATL 6235 ISBN 3-254-00235-0, DM 29,80
* „Noten Lernen? Kein Problem!“, E. Krannich, Hofmeister Musikverlag, Leipzig
* „Der Notenclown“, Katharina Apostolidis, ConBrio, CB 6042, ISMN M-700073-42-8, DM 19,80
* „Harmonielehre für Kinder“, Barbara Rieder, Breitkopf und Härtel, ISBN 3-7651-0308-X, DM 24,–
* „Abenteuer Musiktheorie“ und „Spiel mit Takt und Rhythmus“, Josephine und Florence Koh, Bothworth Edition, BoE 4404 (Bd. 1), BoE 4381 (Bd. 2), BoE 4382 (Spiel),
je DM 19,50
* „Der Musikbaukasten“, Gottfried Jaufenthaler und Maria Zeisler, Universal Edition, UE 20550, DM 370,–