Hauptrubrik
Banner Full-Size

Give Foulds a chance

Untertitel
Epochale Edition: John Foulds (1880–1939) in der Reihe „Repertoire Explorer“
Publikationsdatum
Body

Die geistige Dimension der Musik? Wird hierzulande gewöhnlich mit Bach und spätem Beethoven assoziiert. Viele Zeitgenossen schrecken, sofern sie sich überhaupt etwas darunter vorstellen können, bei dem Wort unwillkürlich zusammen: geistige Dimension, das duftet nach Patschuli und Madame Blavatsky.

Theorie und Praxis der modernen Musik haben mit gewissem Recht versucht, den „Geist“ als romantisches, parareligiöses Relikt auszurotten. Sie waren darin ziemlich erfolgreich. Es behaupteten sich nur einige Reduktionsmodelle à la Messiaen oder Stockhausen, die entweder dogmatisch in naiver Unmittelbarkeit oder in egomanisch aufgespreizter Haltung andere Zonen zu erreichen vorgaben. Vielfach blieben auch hier – wie in der avantgardistischen Materialästhetik – die Produkte hinter den Proklamationen zurück.

Verlegerische Glanzleistung

Angesichts unendlich vieler Ignoranten, Hochstapler und Tiefenschwindler ist die Veröffentlichung der ersten Druckfassung von John Foulds’ „Three Mantras“ nicht nur eine verlegerische Glanzleistung, sie wirft auch ein neues Licht auf die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Der „Repertoire Explorer“ (Musikproduktion Jürgen Höflich, München) legte mit der Studienpartitur dieser „Three Mantras“ bereits den 20. Band seiner Foulds-Edition vor. Kürzlich folgten noch die beiden „Pasquinades symphoniques“ von 1935 und ganz aktuell das Cellokonzert von 1909, keine fünfzehn Jahre nach Dvoráks Konzert für dasselbe Instrument entstanden und diesem auf diskrete Weise verpflichtet. Insgesamt ein utopisch anmutendes Projekt; in welchem kommerziellen Verlag hienieden wäre wohl Platz gewesen für die Werkausgabe eines völlig unbekannten englischen Komponisten, eines Mannes, der schon in seinen letzten Lebensjahren zum Phantom geworden war und dessen Tod in Indien 1939 nicht die geringsten Phantomschmerzen hinterließ?

Foulds pflegte keinen wohlfeilen Oberflächen-Exotismus. Er ist tief eingedrungen in den Sufismus, erstellte auch eine Kategorienlehre von den verschiedenen Dimensionen des Bewusstseins, wobei er sich auf uralte Überlieferungen aus dem Sanskrit berief. Dass dieses siebenstufige System auf zweifelhaften Übersetzungen des Sanskrit ins Englische beruht (zum Beispiel atma als „spiritual“, buddhi als „intuitional“), Foulds also eher ein privates Fantasie-System geschaffen hat, ist bedeutungslos, da sein System vollkommen schlüssig zu sein scheint und ein faszinierend neuartiges Kompositionsfundament abgibt. Christoph Schlüren, Herausgeber der Foulds-Edition, legt im Vorwort zu den „Three Mantras“ dieses ideologische Fundament frei und erleichtert so den Einstieg in ein uns total fremdes Musikdenken.

Für europäische Ohren

Trotz eurasischer Syntheseformel: Foulds schrieb primär für europäische Ohren. Die drei Mantras verleugnen nicht einmal seine englische Herkunft; das zweite Thema des Kopfsatzes könnte genausogut von Malcolm Arnold stammen, der ätherische Mittelsatz erinnert an ähnliche Stücke von Holst und Vaughan Williams. Erst die extreme Polyrhythmik und unerbittlich emanierende Energie des Finales lässt neue Ufer ahnen. Unter den erhalten gebliebenen Werken sind die „Three Mantras“ das großartigste, kühnste. Publikumswirksamer allerdings dürfte das fulminante, auf indischen Modi basierende Klavierkonzert „Dynamic Triptych“ (1929) sein. Ein Abtauchen in vedische Geheimlehren ist zum Verständnis nicht erforderlich. Wer sich am theosophischen Gebaren von Foulds stößt, ist freilich besser bedient mit dem hochpoetischen „Mirage“ (1910), das neben Grußadressen an Elgar und Strauss auch schon ein paar Vierteltöne in die Welt schickt.

Der „Repertoire Explorer“ gestattet jetzt eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser geistvollen und dabei so unterhaltsamen Gestalt. Auch ist Foulds in deutschen Konzertsälen mittlerweile schon öfter zu hören. Ob es sich um einen Bruder von Bartók und Ravel handelt, muss ein jeder für sich selbst entscheiden. All we are say­ing is: Give Foulds a chance!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!