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Im Urwald der Notenköpfe

Untertitel
Cellosinfonisches aus verschiedenen Verlagen
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Wilhelm Kaiser-Lindemann: Variaçoes Brasileiras für 12 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 2000
Werner Thomas-Mifune: Die alte Lokomotive für 12 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 2000
Wilhelm Kaiser-Lindemann: Mambo for Six für 6 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 2000
Mario Berón de Astrada: El Angel Angel für 6 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 1999

Wilhelm Kaiser-Lindemann: Variaçoes Brasileiras für 12 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 2000Werner Thomas-Mifune: Die alte Lokomotive für 12 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 2000 Wilhelm Kaiser-Lindemann: Mambo for Six für 6 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 2000 Mario Berón de Astrada: El Angel Angel für 6 Celli. Kunzelmann, Lottstetten 1999 Das Stück „Die 12 in Bossa-Nova“ („Variaçoes Brasileiras“) erscheint – für den Verlag Kunzelmann eine revolutionäre Neuheit! – mit einem Vorwort des Autors, das ganz zitiert sei: Dieses Stück war quasi ein Autragswerk der zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker für eine CD-Produktion der „EMI-classics“ mit Stücken, die Lateinamerika zum Thema hatten. Die Vorgabe an mich war, dass es in lateinamerikanischem Fluidum auf klassisch-sinfonischem Boden stehen und dabei für alle zwölf Spieler hochvirtuos sein sollte. So sind dann auch alle zwölf Cellis-ten hier die Protagonisten, keiner hat einen weniger wichtigen Part zu spielen als sein Nachbar, jeder hat in seiner Stimme auch Melodieführung oder virtuose Bravour-Stellen. [Das Stück] besteht aus einem 24-taktigen Thema, dem zwei Variationen folgen. Nicht nur Melodie und Begleitung, sondern auch der Bossa-Nova-Rhythmus machen in den zwei Variations-„Strophen” große Veränderungen durch.

Nach vier Takten Einleitung beginnt das Celloquartett 1–4 mit dem Thema, das meiner Zählung nach 14 Takte umfasst, gibt dann weiter an Celloquintett 8–12, bis dann mit Erreichen der 1. Var. alle zwölf Celli gleichgewichtig eingesetzt sind. Diese 1. Var. verlangt auch neue Spieltechniken wie Hand on corpus, collegno, flagellato und Sprechen. Hochvirtuos wird die 2. Var. erreicht, die in eine kurze Coda mündet. Interessant ist die Harmonik: Das Stück beginnt D-Dur, steigt auf Es-Dur in der 1. Var. und endet in E-Dur mit der 2. Var. – ein Verfahren, das an ein ganz anderes musikalisches Ufer gemahnt. Die Ausgabe ist eigentlich gar kein „echter“ Notendruck, sondern ein Kopie-Druck, und mit der notorischen Kunzelmann’schen Nachlässigkeit (z.B. die Taktzählung betreffend, die einfach die Partiturzahlen in die Einzelstimmen überträgt, wo sie dann irgendwo im Urwald der Notenköpfe zu suchen sind). Das Deckblatt ziert ein lasziv-interessantes Foto des altbekannten brasilianischen Karneval-Klischees.

Besser gedruckt kommt hingegen „Die alte Lokomotive“ daher, aber dennoch mit in diesem Verlag üblicher Korrekturlese-Resistenz – sehr schön ist der dicke Druckfehler im Titel auf dem Deckblatt. Innen fehlen Fermaten, die natürlich, wenn sie in der Partitur fehlen, auch in den Einzelstimmen nicht stehen, auch sind ohne ersichtlichen Grund die gesprochenen Geräusche unterschiedlich notiert. Das Stück besteht aus einer Einleitung (die Lok fährt an), zwei Themendurchführungen und einer Art Coda (die Lok bleibt stehen). Melodietragend sind die Celli 1–3 (resp. 1–4), die anderen sind quasi die „Rhythmus-Combo“, fürs Beschleunigen, Abbremsen und Pfeifen zuständig. Irgendwie meint man, kennte man das Thema, auch und gerade von Herrn Thomas-Mifune. Zum Verwechseln ähnlich ist schon die „Kleine“ Eisenbahn des Autors (Kunzelmann, 1983), vor allem aber der 4. Satz Toccata (O Trenzinho de Caipira) aus den „Bachianas Brasileiras 2º“ von Heitor Villa-Lobos. Verantwortlicher Umgang heißt für mich, wörtliche oder Genre-Zitate als solche zu benennen; und eine gute Ausgabe ist für mich sorgfältig lektoriert und mit einem Vorwort versehen.

Leider sind den zwei folgenden Ausgaben von Cello-Sextetten keine Informationen beigegeben, so dass für mich die jeweiligen Autoren im Dunkeln bleiben. Der „Mambo for Six“ ist ein gänzlich anderes Stück als die „Variaçoes Brasileiras“ für die Berliner zwölf Cellisten: nach kurzer Einleitung präsentiert das erste Cello die Tanzmelodie, die anderen Celli begleiten vornehmlich. In der Coda gibt es eine interessante Stelle, in der fünf Celli lang gezogene Melodien und Klänge spielen und nur das sechste Cello den Rhythmus des vom kubanischen Rumba abstammenden Mambo versucht hörbar werden zu lassen. Das Stück ist gut in der Mittelstufe ausführbar und auch nicht sehr lang.

Im letzten Band hat sich der Verlag deckblattmäßig selbst übertroffen: Der Gambe spielende Engel vom Isenheimer Altar aus Colmar ziert die Edition. (Selbstverständlich ist ein Hinweis darauf wie auch auf den vermutlich nicht jedem Cellisten geläufigen Komponis-ten und seine programmatischen Titel zuviel verlangt.) „El Angel Angel“ besteht aus drei Sätzen: Los Angeles Abañiles (Die Mauerengel), El Angel Angel (Der Engel aller Engel) und El Angel Confitero (Der Engel der Süßigkeiten). Die Tonsprache ist eher traditionell, der „Engel aller Engel“ eine Habanera (was den Komponisten gleich sympathisch macht) und der Finalsatz angesichts der schnellen Figuren mit Allegro (ca. 63) ein wenig danebenbezeichnet. Aber es könnte Spaß bringen, die Stücke im Sextett zu üben. Alle vier Ausgaben erscheinen mit Partitur und Einzelstimmen, der Druck ist in der Qualität unterschiedlich, der Ärger (bei mir) über ein dermaßen der Arbeit abholdes Lektorat groß.

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