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Neue Partituren 2021/06

Untertitel
Von mittelschwer bis sehr schwer
Publikationsdatum
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Tania León: Ethos (2020) für Klavier und Streichquartett | Ulrich Kreppein: Splitter der Stille (2019) für Akkordeon und Streichquartett | Yonghee Kim: Tänze nach Art... (2018) für Streichtrio | David Gorton: Fosdyke Wash (2010) für Klavier (mit E-Bow) und skordiertes Streichquartett | Alireza Farhang: A Capella (2017) für Violoncello solo

Alireza Farhang (*1976): A Capella (2017) für Violoncello solo
Edition Impronta IE-AF-2-2019 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Einflüsse aus Okzident (Osteuropa) wie Orient (Persien, Indien) amalgamierende transkulturelle Musik mit sprechendem, diskursivem Charakter, wobei trotz Einsatzes neuester Spieltechniken (Vierteltöne, Tripel-Pizzicati, Farbmodulationen etc.) Sanglichkeit als wichtigstes Ziel erscheint.

Form, Struktur
Sechs durch zahlreiche motivische Bezüge verbundene Tableaus, bei denen sich je ein mannigfaltig variierter Einzelgestus in immer komplexere Wechselspiele mit erinnerten oder antizipierten Gesten benachbarter Tableaus verstrickt; dazwischen als Ruhepunkte drei „senza misura“-Klangflächen.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Partitur mit grafischen Elementen und vielen Sonderzeichen (inkl. Legende)
Dauer: ca. 12 min.
sehr schwer

Kommentar
Dieses äußerst kunstvoll gearbeitete, quicklebendige Stück des in Frankreich lebenden Iraners stellt eine komponierte Verneigung vor den – hier gestisch beschworenen – Cellowerken Zoltán Kodalys und György Ligetis dar. Der Titel (alter Schreibung) verweist auf ideell mitschwingende Vokalität.


David Gorton (*1978): Fosdyke Wash (2010) für Klavier (mit E-Bow) und skordiertes Streichquartett
Verlag Neue Musik Berlin NM 2888 (Partitur und Stimmensatz)

Stilrichtung, allg. Charakter
Eine Art magischer Realismus, bei dem zunächst Eindrücke kahler, trostloser Landschaft vermittelt, sodann im gedämpften Trauerton Erinnerungen an Vergangenes wachgerufen werden. Der Satz vermittelt temperierte (Tasten!) mit naturtöniger Stimmung (dritteltönige Skordatur, Flageoletts).

Form, Struktur
Ruhige Abfolgen statischer, mitunter pausierender Klänge weichen dreimal ereignishaften Passagen (Solo gleitender Cellotöne; schwarmartige Impulsfelder), bevor zum Akkord- und Flageolettspiel auf Klaviertasten und -saiten ein stets abwärts strebender polyphoner Streichersatz zur Coda führt.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation, teils ergänzt um Resultatnotation der skordierten Streicher
Dauer: ca. 15 min.
mittelschwer

Kommentar
Atmosphärisch starke Beschwörung jener kargen, aber geschichtsträchtigen Salzmarschlandschaft am Wash, in der 1216 Johann Ohneland, glückloser König Englands, flüchtend seinen Tross samt Kronjuwelen verlor. Durch E-Bow- und Flageolettspiel unkonventioneller, aber feiner Klavierpart.


Yonghee Kim: Tänze nach Art... (2018) für Streichtrio
Verlag Neue Musik Berlin NM 2879 (Partitur, Stimmensatz)

Stilrichtung, allg. Charakter
Neo-manieristischer Stil, bei dem neben Bach'schem Verzierungsfundus aktuellste Spieltechniken zur extremen Ausgestaltung eines barocken Modells derart ausgeschöpft werden, dass Historie nur reminiszenzhaft aufscheint. Zu folgen gilt es hier äußerst detailreich verschriftlichten Klangideen.

Form, Struktur
Siebensätzige Suite (französische Ouvertüre, Allemande, Courante, Aria, Sarabande, Menuett, Gigue) mit traditionellen Taktarten, Tempovorschriften und Formdispositionen (meist mit zwei Wiederholungsteilen), die durch Flageolettharmonik, Geräuscheffekte usw. verfremdet werden.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
weitgehend traditionelle Notation
Dauer: ca. 25 min.
sehr schwer

Kommentar
Beunruhigend konsequent ausgeführte Fleißarbeit, deren durchaus vorhandenen klanglichen Reize und Originalität sich mit jedem weiteren Satz leider etwas erschöpfen. Für maximale Wachheit im Konzert scheint es empfehlenswert, eine Auswahl von nur vier bis fünf Sätzen zu treffen.


Ulrich Kreppein (*1979): Splitter der Stille (2019) für Akkordeon und Streichquartett
Edition Juliane Klein ejk 0884 (Studienpartitur, Aufführungsmaterial leihweise)

Stilrichtung, allg. Charakter
Verhalten expressiver Stil. Das meist stille, elegisch tönende Stück bedient sich einer breiten Palette ungewöhnlicher Spieltechniken, die den Spielern nach Art musikalischer Alchemie sowohl bei klingenden Details wie deren geheimnisvollen Verbindungen feinste Abstimmungen abverlangt.

Form, Struktur
Episodische Form im freien Wechsel zwischen kontrastierenden Sphären (polyphones Gewebe; komplexe Klang-/Geräuschfelder; profilierte Einzelaktionen zu Liegeklängen), wobei musikalische „Objekte“ (schräger Klagegesang, mechanisches Ticken) in verschiedenen Kontexten erscheinen.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation, erweitert um viele Sonderzeichen und einige grafische Elemente
Dauer: ca. 11 min.
sehr schwer

Kommentar
Das der Partitur vorangestellte Rilke-Zitat („Wenn ich auch spräche, glaubst du denn, dass das Schweigen bräche?“) stimmt hier bestens ein auf eine Musik, der die heikle Balance zwischen Berückung und Bedrängnis, sehnsüchtiger Nostalgie und scharf empfundener Gegenwart gelingt.


Tania León (*1943): Ethos (2020) für Klavier und Streichquartett
Peermusic Classical New York Hamburg HL00235546 (Partitur, Stimmensatz)

Stilrichtung, allg. Charakter
Dissonanter Stil weitgehend improvisatorischen Charakters und expansiver Bewegungsvielfalt, sich speisend aus musikalischen Querbezügen zu virtuosen Tongirlanden des jiddischen Volkssängers Moishe Oysher, jüdischem Kantoralgesang und schließlich Gestik und Harmonik des (Latin) Jazz.

Form, Struktur
Drei musikalisch, formal, satztechnisch frei gestaltete Sätze (1. In the cage where the heart paces. Meditative, very peaceful; 2. blaze of lights. Allegro moderato; 3. Viridian. Ochre. Cobalt blue. Jazz feel with rubato), die allenfalls ein jeweils eigenes Repertoire gestischer Grundtypen ausprägen.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche, in einzelnen Takten proportionale Notationsweise
Dauer: ca. 13 min.
schwer

Kommentar
Dem Dramatiker, Regisseur und Kulturaktivisten Isaiah Sheffer (1935-2012) gewidmet, bleiben die vom kulturellen Schmelztiegel New York kündenden drei Sätze trotz schwungvoll anklingender „Sonnenseiten des Lebens“ mit ihren jeweils leisen, nachdenklichen Resümees ein „In Memoriam“.

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