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Pflichtlektüre, vorbildlich weiterentwickelt

Untertitel
Zur Neufassung des „Lehrplans Klavier“ des Verbandes deutscher Musikschulen
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Von der ersten Fassung des Lehrplans Klavier 1969 bis zu dessen längst fälliger Neufassung 1998 dauerte es fast 30 Jahre. Nun ist diese vorliegende Version nach elf Jahren erarbeitet worden und – in Anbetracht unserer sich schnell verändernden Welt – wird eine künftige Neuausgabe vielleicht noch rascher kommen. Um es gleich vorweg zu sagen: Keiner der beiden Vorgänger war so gründlich durchdacht, so sachlich gründlich fundiert und hilfreich!

Der „Allgemeine Teil“ informiert über Struktur und Aufgaben der Musikschulen, was dem erfahrenen Kollegen nichts Neues ist, dem Berufseinsteiger jedoch notwendige Informationen liefert und im politischen Gespräch eine gute Argumentationshilfe bietet. Angenehm sachlich und objektiv ist das folgende Kapitel über das Instrument mit einem neuen Abschnitt über das Digitalpiano. Nach einer Beschreibung der Entstehung und Entwicklungsgeschichte dieses Instrumententyps heißt es diskret: „Natürlich wird das Klavier oder der Flügel nie durch ein digitales Instrument zu ersetzen sein.“ Gut, dass dies bei aller Toleranz doch klar ausgedrückt wird!

Sehr hoch zu bewerten scheint mir das Kapitel „Pädagogische Grundlagen“. Hier zeigt sich, wie weit in den letzten Jahren die wissenschaftlichen Erkenntnisse zumindest in der Hochschullehre angekommen sind und wie bereitwillig sie heute rezipiert werden. Eigentlich ist dies ja nicht zu erstaunlich, ist doch der Instrumentalunterricht inmitten einer Konsum- und Medienwelt so kompliziert geworden, durch Ganztagsschule, JeKi und Klassenmusizieren in völlig vorbildlose Zusammenhänge gestellt worden, dass der Klavierlehrer nach den pädagogischen Erkenntnissen greift wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm. So werden auch unter den Unterrichts- und Sozialformen der Einzel-, Partner- und Gruppenunterricht genannt. Interessanterweise wird der Großgruppen- oder Klassenunterricht nicht unter dieser Rubrik aufgeführt, sondern befindet sich im Allgemeinen Teil unter dem Artikel „Einzel- oder Gruppenunterricht“. Weitere Unterkapitel widmen sich unter anderem der Frage nach dem „Unterrichtsbeginn“, vorbildlich der „Unterrichtsplanung“, „Stundengestaltung“, einem „Schüler-Tagebuch“ et cetera. Diese Kapitel sind so schlüssig, leicht lesbar und kompakt, dass sie sich ausgezeichnet zur Pflichtlektüre der entsprechenden Studiengänge eignen. Hier ist vom Autorenteam wirklich vorbildliche Arbeit geleistet worden!

Ein recht umfangreicher Abschnitt ist dem Unterricht mit Erwachsenen gewidmet: ganz zu Recht, nimmt dieser doch künftig einen wohl noch größeren Teil der Unterrichtstätigkeit ein. „Körper und Instrument“ zeigt, dass  auch die Musikerphysiologie den Sprung in den obligaten Themenkanon endgültig geschafft haben dürfte. Die hierzu in der Literaturliste angeführten Schriften sind hervorragend (zum Beispiel Christoph Wagner: „Hand und Instrument“). Über Neue Musik, Improvisation, Kammermusik und Jazz, Rock und Pop geht es weiter: immer kompakt, immer wesentlich. Mit großer Neugierde wurde das Kapitel „Üben“ gelesen. Üben als Dauerproblem eines Instrumentallehrers ist genügend bekannt. Üben in Zeiten von G8 und Ganztagsschulen, in Zeiten emanzipierter Schüler, wie wird das wohl gesehen? Und tatsächlich, man findet zahlreiche Tipps, wie die Übemotivation aufgebaut werden kann, wie eine musikalische Zielvorstellung erarbeitet wird, wie eine Übekompetenz aufgebaut wird. Und die Eltern? In der früheren Ausgabe war diesen noch eine eigene Überschrift gewidmet. Nun ist unter einem Spiegelstrich nach dem Stichwort „Elternarbeit“ lediglich in Klammern formuliert, dass „eine verständnisvoll fördernde Begleitung des häuslichen Übens für den Lernerfolg unverzichtbar ist“(S. 41).

Warum aber in Kapitel eins zu Aufgaben und Struktur der Musikschule ein kleiner Abschnitt „Elternmitarbeit“ steht, muss der Leser selber deuten. Aber es scheint doch klar zu werden, dass für wirkliche Erfolge die Eltern unverzichtbar sind, dass aber ein Großteil unseres Unterrichts ohne diese segensreiche Unterstützung auskommen muss.

Der Lehrer als „Motivationskünstler“ muss heute wohl mehr noch als je zuvor alleine einen Weg der Überzeugung suchen und finden. Diese Anmerkungen sollen aber keine Kritik an diesem Lehrplan darstellen, sie sind eher ein Indiz dafür, dass manche soziologischen Zusammenhänge ein wenig zwischen den Zeilen zu suchen sind. So prallen doch relativ unaufgelöst aufeinander die Darstellung der Leistungsstufen des Lehrplans im Zusammenhang mit der Begründung der „Leistungsprüfungen“ und auf der Gegenseite kleinere Hinweise, dass jeder Schüler individuell angefasst werden muss, da sich „Wesentliches außerhalb des Unterrichts vollzieht“. Aber auch das mag ich nicht als Kritik anmerken. Ein Lehrplan, der öffentliche Zuschüsse zu einem Bildungswerk rechtfertigen muss, muss Leistung beinhalten. Unsere Realität verlangt erhebliche Abweichungen von diesem fiktiven Optimum! Aber beides sind Wahrheiten; versteckt und individuell ist lediglich, wo von einer Wahrheit zu einer anderen gewechselt werden muss – ein für jeden Pädagogen leidvoller und bekannter Vorgang!

Völlig neu gestaltet ist der „Unterrichtsplan“. Bestand dieser früher in Beschreibungen je Stufen, ist er jetzt in tabellarischer Form dargestellt mit den Rubriken „Spieltechnik, Musiklehre, Musizieren“ mit dem Vorteil, schnell zu einem bestimmten Punkt Informationen oder Rat aufsuchen zu können. Wie viel Erfahrung (der Autoren) im besten Sinn sich hinter diesen knappen Formulierungen verbirgt, wird der Kenner genüsslich feststellen können!

Bleibt abschließend die Literaturliste: Auch diese ging mit der Zeit, hat auf manches Altbewährte verzichten müssen, um Platz für Neues zu haben – der Nutzer der älteren Ausgabe wird manches Vertraute nicht mehr finden. Aber dafür findet man in den Plänen dasjenige neu aufgeführt, was einem helfen kann, wenn man mit seinen altbewährten Ausgaben beim Schüler nicht mehr richtig ankommt und sich beraten lassen will über sinnvolle Alternativen. Fazit: Ein mit Einschränkung ganz wunderbares, gelungenes Opus! Ein echtes Hilfsmittel und so nebenbei noch quasi ein kleines, kompaktes Lehrbuch der Klavierpädagogik und -methodik. Eine Pflichtlektüre für jeden Klavierlehrer und -student!

Verband deutscher Musikschulen: Lehrplan Klavier, Gustav Bosse Verlag, Kassel, 2009, BE 3740, 77 S., € 10,00, ISBN 978-3-7649-3740-9

 

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