Matthijs Vermeulen (1888–1967) war Hollands größtes Genie auf dem Gebiet der symphonischen Musik, und wohl der eminenteste, in jedem Fall aber originellste holländische Komponist seiner Generation. Unlängst sind endlich bei Donemus in Amsterdam seine sieben Symphonien und die symphonischen Stücke aus der Musik zum „Fliegenden Holländer“ im Druck erschienen. Von allen diesen Werken sind auch preiswerte Studienpartituren erhältlich. Vermeulen genoss zeitlebens erhebliche Missachtung, was ursprünglich zweifellos mit seiner jahrelangen Tätigkeit als scharfzüngiger Kritiker, der kein Blatt vor den Mund nahm, zusammenhing. Als 14-Jähriger wurde er mit den Grundlagen des Renaissance-Kontrapunkts vertraut und erhielt Klavierunterricht. Trotz privaten Kompositionsunterrichts bei Daniël de Lange war er als Tonsetzer weitgehend Autodidakt.
Matthijs Vermeulen (1888–1967) war Hollands größtes Genie auf dem Gebiet der symphonischen Musik, und wohl der eminenteste, in jedem Fall aber originellste holländische Komponist seiner Generation. Unlängst sind endlich bei Donemus in Amsterdam seine sieben Symphonien und die symphonischen Stücke aus der Musik zum „Fliegenden Holländer“ im Druck erschienen. Von allen diesen Werken sind auch preiswerte Studienpartituren erhältlich. Vermeulen genoss zeitlebens erhebliche Missachtung, was ursprünglich zweifellos mit seiner jahrelangen Tätigkeit als scharfzüngiger Kritiker, der kein Blatt vor den Mund nahm, zusammenhing. Als 14-Jähriger wurde er mit den Grundlagen des Renaissance-Kontrapunkts vertraut und erhielt Klavierunterricht. Trotz privaten Kompositionsunterrichts bei Daniël de Lange war er als Tonsetzer weitgehend Autodidakt.Als er sein erstes Werk, die zwischen 1912 und 1914 entstandene Erste Symphonie, dem Concertgebouw-Chefdirigenten Willem Mengelberg vorlegte, erntete er den Spott eines Rachedurs-tigen. Diese ist ein helles, strahlendes Stück in durchgehend unkonventioneller Polyphonie, welches die Einflüsse von Mahler, Strauss, Bruckner und Debussy zu unverkennbar Eigenem transformiert. Wie alle weiteren seiner sieben Symphonien – mit Ausnahme der dreisätzigen Fünften – ist sie einsätzig. Zwischen 1919 und 1920 schuf Vermeulen mit der Zweiten Symphonie „Prélude à la nouvelle journée“ seine revolutionärste Komposition in freier, der Atonalität angenäherter Tonalität. Sie nimmt vieles vorweg, was bald darauf Edgard Varèse erschließen sollte: grundsätzlich dissonante Organisation, Extremlagen-freudige Orchestration, abrupte Strukturwechsel et cetera, wobei das motivische Material sehr konzentriert ist und so die zentrifugalen Kräfte in hoch gespannter Balance hält. Die freie Polyphonie mag manchen ein wenig an Ives erinnern, doch ist Vermeulen – bei aller harmonisch-rhythmischen Modernität, die er bis zu seinen letzten Werken ausbaut – in der hohen Kunst der Vielstimmigkeit traditionsverbundener.Er schafft in der Folge sozusagen bewusst eine Fusion von Elementen der Polyphonie der alten Niederländer mit der aktuellen Klang- und Ausdruckswelt des 20. Jahrhunderts. Die Dritte Symphonie „Threnos und Pan“ (1921–22) erschließt, nach den grellen Klängen der Zweiten, dunklere Farben und kontinuierlichere Klangräume – weist also eigentlich einen symphonischeren Weg – und diese Tendenzen variieren und vertiefen sich in der monumentalen Vierten „Les victoires“ (1940–41), die deutlich kontrastierende Episoden organisch verwebt und mit Hoketus-artigen Mustern eine eigenartige Sperrigkeit erzielt. Herzstück der dreisätzigen Fünften „Les lendemains chantants“ (1941–45) ist ein fast 20-minütiges, schwebendes, stimmungsvolles Adagio. In den zwei letzten Symphonien, „Les minutes heureuses“ (1956–58) und „Dithyrambes pour les temps à venir“ (1963–65), ist der Gesamtverlauf fließender, noch natürlicher aus den Gesetzen der Polyphonie hervorgehend. Der einstige Revolutionär hat zu zeitloser Reife gefunden.
Die recht geringe Anzahl seiner Werke ist nicht nur Folge besessenster Ausarbeitung aller Details in Bezug auf die Gesamtvision, sie war auch durch materielle Engpässe, das jahrelange Ausbleiben jeglicher Resonanz in seiner Pariser Zeit (1920–46) und tragische Ereignisse in der Familie (die sich zudem in erschütternder, doch niemals selbstbemitleidender Weise in seinen Werken niederschlugen) bedingt. Was Vermeulen schuf – seien es anspruchsvollste Kammermusik, aufrüttelnde Gesänge oder, vor allem, Symphonik – ist von höchster Qualität und Eigenart und offenbart mit jedem Hören mehr von seinem unerschöpflichen Reichtum. Sämtliche Werke Vermeulens sind auch in einer 6-CD-Box erhältlich (Donemus CV 36-41, Vertrieb: Peer Musik). Sie stellen extreme Anforderungen an die Aufführenden. Ernest Bour beispielsweise sprach davon, Vermeulens Vierte sei das Schwerste gewesen, was er je gemacht habe. In den Orchesterwerken trägt dazu gewiss auch die unkonventionelle und keineswegs pragmatische Instrumentation bei, die viel Feinarbeit erfordert.
Das Druckbild der Partituren ist sehr übersichtlich und klar, der weiße Umschlag ist unauffällig, die Bindung bricht leicht. Schon die optische Architektur ist ein ästhetisches Vergnügen. Auch sämtliche weitere Werke Vermeulens sollen bei Donemus in Druck gehen. Zum Einstieg möchte ich allen Mutigen, die noch Entdeckerdurst haben und nicht unter dem von Slonimsky unnachahmlich humoristisch befehdeten „Non-acceptance of the Unfamiliar“-Syndrom leiden, die Symphonien Nummer Zwei und Drei empfehlen. Es lohnt die Mühe, und der Kundige wird anerkennen, dass für die Zweite Symphonie ein Platz in der Galerie der „Klassiker der Moderne“ überfällig ist.