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Oboenvirtuose und Repertoire-Erkunder: Albrecht Mayer. Foto: Ralph Mecke
Oboenvirtuose und Repertoire-Erkunder: Albrecht Mayer. Foto: Ralph Mecke
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Vom falschen Mozart auf die Spur gebracht

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Albrecht Mayer entdeckt unbekannte Oboenkonzerte – Erstausgaben und CD-Einspielung
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Als Albrecht Mayer vor etwa drei Jahren in Wroclaw (Breslau) die Universitätsbibliothek betrat, war er in höchster positiver Anspannung: Würde er hier in wenigen Momenten ein bislang völlig unbekanntes Oboenkonzert von Mozart in Händen halten, wie es ihm eine amerikanische Internetseite glauben machen wollte? Er war skeptisch und aufgeregt zugleich. Doch der Sensationsfund blieb aus – das vermeintliche Mozart-Oboenkonzert entpuppte sich als Enttäuschung, entstammte mit Sicherheit nicht Wolfgang Amadés Feder.

Dennoch sollte Mayer in der Breslauer Bibliothek fündig werden, ebenso wie an anderen Stationen seiner engagierten und spannenden, fast zweijährigen Recherche nach vergessenem Oboenrepertoire. Sie sollte den Solo-Oboisten der Berliner Philharmoniker neben Wroclaw auch nach Padua, Genua, Mailand und Regensburg führen. Letztlich konnte Mayer aus über einhundert von ihm wiederentdeckten Werken auswählen, von denen er dann drei Oboenkonzerte sowie ein Englischhornkonzert – alle aus der Zeit um 1780 – mit der Kammerakademie Potsdam einspielte. Das Ergebnis, die CD „Lost and Found“, erscheint am 13. Februar 2015 und auf ihrer Hülle wird Albrecht Mayer unter anderem mit den Worten zitiert: „Es muss nicht immer Mozart sein.“

Stimmt. Sowohl die Einspielung als auch die Werke überzeugen, mehr noch: begeistern. Mit Franz Anton Hoffmeister, Ludwig August Lebrun, Joseph Fiala und Jan Antonín Koželuh sind auf dem Album Freunde, Kollegen und auch Konkurrenten Mozarts vereint und der Bogen wird anhand dieser Komponisten von Wien über Mannheim und Salzburg bis nach Prag gespannt. Wiener Klassik und Mannheimer Schule „at its best“, könnte man sagen. Oder in Albrecht Mayers Worten: „Unbekanntere, doch nicht minder schöne Gefilde des Oboenrepertoires.“ Nicht selten fühlt man sich beim Hören an Mozart erinnert, sei es im wienerisch charmanten, teils witzig-überraschenden Konzert für Oboe und Orchester in C-Dur von Franz Anton Hoffmeister (1754–1812) oder auch im g-Moll-Oboenkonzert des Mannheimers Ludwig August Lebrun (1752–1790), der selbst ein namhafter Oboenvirtuose seiner Zeit war. Vierzehn Jahre nach Lebruns Tod wurden sechs Oboenkonzerte aus seiner Feder (erstmals) veröffentlicht, darunter als Nummer zwei das bis heute so gut wie unbekannte g-Moll-Konzert. Gerade aber dieses bereits romantisch „angehauchte“, spieltechnisch anspruchsvolle Werk (dessen Besetzung um Flöten, Fagotte und Hörner erweitert und bereichert wird) sieht Mayer mit Mozarts berühmtem Oboenkonzert auf gleicher Höhe. Ludwig August Lebrun ist darin tatsächlich eine wunderbare Verbindung aus Virtuosität und Lyrisch-Heiterem, aus Schlichtheit und Tiefgründigem gelungen.

Wie Lebrun war auch der Böhme Joseph Fiala (1748–1816) Oboist und zugleich Komponist (sowie Cellist und Gambist). Sein Lebensweg führte Fiala unter anderem nach München, wo er Freundschaft mit Mozart schloss, anschließend (von 1778 bis 1785) nach Salzburg in den Dienst des Erzbischofs Hieronymus Colloredo und später nach Wien. Sein Konzert für Englischhorn und Orchester ist (wenn wohl auch nur theoretisch) das bekannteste Werk der auf „Lost and Found“ eingespielten vier Konzerte – schließlich ist es als Leihmaterial bei Bärenreiter Alkor erhältlich und die hohe Lage der Originalnoten in Es-Dur kann seit vielen Jahren auf einer Aufnahme Heinz Holligers bewundert werden. Einen neuen, praktikablen Zugang hat nun Albrecht Mayer geschaffen, indem er das Werk nach C-Dur transponierte und es somit wesentlich „spielbarer“ gemacht hat (auch diese Fassung kann nun bei Bärenreiter Alkor entliehen werden). Leider ist nicht gesichert, ob Mozart explizit dieses Konzert meinte, als er seinem Vater Leopold in einem Brief von einem ganz exquisiten Englischhornkonzert aus der Feder Fialas vorschwärmte – denkbar und eine angemessene Einschätzung wäre es in jedem Fall.

Beim vierten Konzert der CD kehrt Mayer an die Oboe zurück und präsentiert auf berückende Weise das spritzig originelle Konzert für Oboe und Orchester in F-Dur von Jan Antonín Koželuh (1738–1814). Wenn zu Mozarts Zeiten von Koželuh die Rede war, meinte man zumeist den jüngeren Vetter Jan Antoníns. Dieser, ein Klaviervirtuose von europaweiter Bekanntheit, hieß eigentlich ebenfalls Jan Antonín Koželuh (1747–1818), trat aber, um Verwechslungen zu vermeiden, unter dem Vornamen Leopold auf. Der ältere Vetter Jan Antonín lebte zurückgezogen als Domkapellmeister in Prag. Das Oboenkonzert in F-Dur ist eines seiner wenigen erhaltenen Instrumentalwerke, vollständig aufgefunden von Albrecht Mayer in Wroclaw. Die oft hohe Lage des Solistenparts verleiht insbesondere den schnellen Sätzen eine unbeschwerte, fröhliche Note, wie auch das ganze Konzert immer wieder mit originellen Ideen zu überraschen vermag.

Ein besonderes Vergnügen ist es, Albrecht Mayers Einspielung auf CD zu verfolgen und die Noten mitzulesen – erst dabei erschließen sich in vollem Umfang Kenntnis und Kunstverstand, Musikalität und Einfühlungsvermögen Mayers, der die geschriebenen Noten als weißes Blatt versteht und sie, wie in Barock und Klassik üblich, häufig als Ausgangspunkt für herrliche Verzierungen und Variationen nimmt. Sein Oboenspiel ist dabei schlichtweg begeisternd – wunderschön und von scheinbar unendlich viel Luft getragen. Jede Phrasierung ist wohldurchdacht, jeder einzelne Ton bewusst gespielt. Bei großen Intervallen und Sprüngen zwischen den Tonlagen ist der Oboenklang unfassbar ausgewogen. Technische Perfektion ist selbstverständlich, zugleich stellt sich Mayer stets völlig uneitel und unprätentiös in den Dienst der Musik. Die Kammer-akademie Potsdam ist dabei sein idealer Partner, der in derselben Sprache kommuniziert wie er selbst.

Statt des enttäuschenden, falschen Mozarts hatte Mayer in der Universitätsbibliothek Wroclaw die Handschriften der hier beschriebenen Konzerte von Hoffmeister und Koželuh entdeckt und diese in der Folge zur Erstausgabe an Benedikt Dreher von der Edition Molinari (deren Spezialgebiet in der Holzbläserkammermusik liegt) übergeben. In klarem Notenbild und überzeugenden Ausgaben sind dort nun jeweils die Solostimme, die Partituren sowie die Einzelstimmen für Oboen, Hörner, Geigen, Bratschen und Kontrabässe erschienen. Klavierauszüge sind wünschenswert und erfreulicherweise bereits geplant. Insbesondere zu diesen beiden bemerkenswerten Konzerten ist somit das Notenmaterial leicht zugänglich und nutzbar gemacht worden. Albrecht Mayer hat den Kompositionen den Weg geebnet, ediert, gespielt und gehört zu werden. Es wäre zu wünschen, dass sie die gleiche Aufmerksamkeit erhalten, die der Fund eines Oboenkonzertes von Wolfgang Amadeus Mozart zur Folge gehabt hätte.

Noten:

  • Franz Anton Hoffmeister: Konzert in C-Dur für Oboe und Orchester. Edition Molinari. Partitur: ISMN M-50062-169-0, Oboe solo: ISMN M-50062-170-6
  • Jan Antonín Koželuh: Konzert in F-Dur für Oboe und Orchester. Edition Molinari. Partitur: ISMN M-50062-160-7, Oboe solo: ISMN M-50062-161-4
  • Josef Fiala: Konzert für Englischhorn und Streicher. Ausgaben in Es-Dur und C-Dur. Bärenreiter/Alkor

CD:

  • Lost and Found. Oboenkonzerte des 18. Jahrhunderts von Hoffmeister, Lebrun, Fiala und Koželuh. Albrecht Mayer, Kammerakademie Potsdam. Deutsche Grammophon

 

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