Hauptbild
King Crimson: The Road to Red
King Crimson: The Road to Red
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Progressive Rock at its best: King Crimsons Klassiker ‚Red’ und seine Vorgeschichte in einer CD/DVD-Box

Publikationsdatum
Body

Der Weg von ‚Fracture’ über ‚Starless’ zu ‚Red’ war das vielleicht leuchtendste Kapitel in der Geschichte der überragenden britischen Art Rock-Band King Crimson. Für mich und meine Freunde war ‚Starless’ als Jugendliche der symphonische Progressive Rock-Track schlechthin, mit seinem phänomenal stringenten, weit gespannten Steigerungsaufbau, der auf einen der wunderbarsten Songs der Siebziger folgt und in der emphatischen Wiederkehr, in einer wahren Apotheose eines zeitlosen Themas gipfelt.

Und noch heute lässt sich daran nicht weniger demonstrieren, wie ein Musikstück in schlagender Einfachheit einerseits und mit vollendeter Raffinesse und Meisterschaft andererseits auf gegensätzlichen Prinzipien gebaut und zu einer final überkrönenden Einheit geführt werden kann – gerade auch für klassische Musiker, die sich so gerne in Details der Gestaltung verlieren und deren Blick für das Ganze meist in vorgegebene Formschemata einkonditioniert wurde.

King Crimson waren ein Wunder. Robert Fripp als geistiges Zentrum der Unternehmung war die einzige personale Konstante. Mit ihrem Debüt-Album ‚In the Court of the Crimson King’ setzten sie sofort an, die musikalische Welt zu erobern, doch nach dem zweiten Album wechselte die Besetzung komplett. Auch die Alben Nr. 3 und 4, ‚Lizard’ und ‚Islands’, waren völlig verschieden besetzt, und alle vier sollten als Klassiker in die Geschichte eingehen, wie sie von einer Band nicht unterschiedlicher hätten sein können. Dann, 1973, trat wieder eine vollkommen neue Quintettformation an und spielte ‚Larks’ Tongues in Aspic’ ein. Jeder dieser Beiträge ist unübertroffen und einzigartig. Beim zweiten 1973er Album, ‚Starless and Bible Black’, hatte sich dieses Quintett mit dem Ausstieg des Perkussionisten Jamie Muir auf ein Quartett reduziert, und der Sound wie auch der dramaturgische Aufbau wurde noch kompakter. Die Gruppe war zusammengewachsen wie keine andere Crimson-Zusammensetzung zuvor, bestehend aus Robert Fripp an Gitarre und Mellotron, John Wetton als Sänger und Bassist, David Cross an der Geige und Schlagzeuger Bill Bruford. Die US-Tournee, die im April und Juni 1974 folgte, mit dem abschließenden Konzert im New Yorker Central Park am 1. Juli, fand die Band auf dem Weg auch zum kommerziellen Durchbruch. Zugleich war es eine kritische Zeit hinter der Bühne, und nach dem Abschluss der Tournee trennte man sich von David Cross, der allerdings beim anschließend produzierten Album ‚Red’ noch mitwirkte. Danach löste Fripp King Crimson auf – die Gruppe, die seither unter Musikern als Maß aller innovativen Rockmusik gilt und deren Einflüsse weit über jede Genregrenze hinaus nach wie vor intensiv wirksam sind.

Als King Crimson dann wieder Anfang der achtziger Jahre zusammenkamen und mit dem Album ‚Discipline’ ein sensationelles Comeback feierten, waren Fripp und Bruford wieder dabei, als Sänger sollte von nun ab auf lange Zeit Adrian Belew an der Front stehen, und wieder brach man zu neuen Ufern auf – diesmal, ganz im Zeichen der Zeit, kühler, synthetischer, freilich jedoch nicht weniger fesselnd, originell und zukunftsweisend, und auch immer wieder unberechenbar, und das gilt bis heute, ob nun unter dem Banner ‚King Crimson’ oder Robert Fripp solo und in diversen Kombinationen.

Für viele, und auch für mich, ist der eigentliche Höhepunkt der Aktivität von King Crimson, was Konstanz, Unverwechselbarkeit und Ausdruckskraft betrifft, jene Phase 1973-74, in deren Zentrum das Quartett Fripp-Wetton-Cross-Bruford steht, und zusätzlicher Mitwirkung einiger hochkarätigen Solisten beim finalen Studioalbum ‚Red’: Mel Collins (Sopransaxophon), Ian McDonald (Altsaxophon, er war schon ein Mitglied der ersten King Crimson gewesen), Robin Miller (Oboe), und Mark Charig (Kornett), außerdem ungenannte tiefe Streicher. Die Musiker waren so blind aufeinander eingespielt, dass sie in den Konzerten freie Gruppenimprovisationen spielten, die jenseits all dessen lagen, was Rockmusiker sonst unter Improvisation verstanden: nicht ein oder vielleicht auch mal zwei Solisten frei über stehenden Riffs, sondern jede ostinate Grundlage, als freies Ping-Pong vier gleichberechtigter Partner, die ein spontanes Ganzes kreieren, das oft frappierende Struktur aufweist – vielleicht ein bisschen so wie vier Jahre später die große Gruppenimprovisation von Oregon mit Zbigniew Seifert auf ‚Violin’ (auf CD momentan günstigstenfalls für 140 € bei amazon zu bekommen…). Man höre einfach Stücke wie das frei funkig rotierende ‚We’ll Let You Know’ und ‚Starless and Bible Black’ (auf ‚Starless and Bible Black’) oder ‚Providence’ (auf ‚Red’). ‚Starless and Bible Black’ war ein sehr spezielles Album, das aus Live-Stücken, Studioaufnahmen und deren komplexer Kombination zusammengeschnitten wurde, und bleibt eine der aufregendsten Platten einer ganzen Ära, mit wundervoll fein durchgearbeiteten Songs und Instrumentalstücken wie ‚The Night Watch’ oder ‚Trio’, einem unübertroffen schrägen Überfall auf die kommerzialisierte Welt wie ‚The Great Deceiver’ und der in ihrer strukturellen und rauhen klanglichen Radikalität jedesmal neu und unerhört wirkenden ‚Fracture’, die der eigentliche Vorbote der sich neu erfindenden King Crimson der achtziger Jahre ist.

‚Red’ hingegen trägt alle Zeichen der Vollendung in sich, und es ist schon so, dass Fripp gerade hiernach in besonderem Maße die Kraft und Integrität besaß, „aufzuhören, wenn es am schönsten ist“ – eine Tatsache, die nicht nur die Fans bestürzte, sondern auch für seine Mitspieler allen Zielen und Wünschen zuwiderlief. Wetton und Bruford gründeten daraufhin zusammen mit dem Geiger Eddie Jobson und dem Gitarristen Allan Holdsworth die gerade zu Beginn sehr beachtliche Gruppe UK, doch schließlich landete Wetton im ‚Supergroup’-Kommerz seiner Gruppe ‚Asia’, und Bill Bruford machte zwar seine eigenen Sachen, unter welchen besonders die frühen substanziell sind, war dann aber auch sofort zur Stelle, als King Crimson erneute Auferstehung feierte.

Ausgerechnet ‚Starless’, dieses von John Wetton initiierte großartigste Stück der King Crimson, die man heute als „die mittleren“ bezeichnen könnte, gefiel zunächst Fripp und Bruford nicht, und so benannte man eine Improvisation mit der ersten Zeile ‚Starless and Bible Black’, die dann sogar titelgebend für das zweite Album dieser Formation wurde. Doch dann arbeitete Wetton die Lyrics um und Bruford besorgte ein Riff, über dem die ausgedehnte zentrale Steigerung sich aufbaut – womit die Grundlage für jene singuläre symphonische Qualität gelegt wurde, die der schlichte Song in seiner Urfassung niemals besessen hätte, und in dieser Form wurde das Werk als wichtigstes neues Stück auf der 1974er US-Tournee gespielt, neben den Stücken der bereits erschienenen Alben ‚Larks’ Tongues in Aspic’ und ‚Starless and Bible Black’. Vor den Aufnahmesessions für ‚Red’ wurde ‚Starless’ noch weiter perfektioniert und sorgte zugleich als fehlendes Herzstück des vorangehenden Albums dafür, dass ‚Starless and Bible Black’ und ‚Red’ mehr innere Zusammengehörigkeit aufweisen als alle anderen King Crimson-Projekte vor der Auflösung der Band. Mit dem schroff instumentalen Titeltrack und den beiden höchst kunstreichen, kraftvoll dunklen Songs ‚Fallen Angel’ und ‚One More Red Nightmare’ enthält ‚Red’ drei weitere Klassiker, die es freilich nicht mehr schafften, live gehört zu werden.

Robert Fripp hat mittlerweile mit seinem Label Discipline Global Mobile sämtliche Rechte auf alle King Crimson-Alben zurückerworben, und soeben konnte ein jahrelanger Rechtsstreit mit Universal Music, die sich nicht an getroffene Vereinbarungen hielten, zugunsten von DGM beigelegt werden. In einer Reihe, die sich ‚King Crimson 40th Anniversary Series’ nennt, sind sämtliche Originalalben in neuer Abmischung mit aufwändigen Informationen und wichtigen Bonustracks erschienen, jeweils in einer Verpackung sowohl auf CD als auch auf DVD (letztere mit verschiedenen alternativen Abmischungen und zusätzlichem Videomaterial) – eine vorbildliche Edition, die nur rundweg empfohlen werden kann.

Doch der Bedarf nach umfassender Öffnung der Schallarchive ist größer, ohnehin ist schon vieles weitere Livematerial sowohl auf CDs herausgekommen als auch für DGM-Abonnenten zum Download verfügbar gemacht worden, und nun geht DGM in luxuriöser Aufmachung aufs Ganze. Im vergangenen Jahr erschien ein 15 CDs umfassendes Box-Set zum vierzigjährigen Jubiläum von ‚Larks’ Tongues in Aspic, die inklusive sämtlicher Konzertmitschnitte alles enthält, was die Quintettformation Fripp-Cross-Wetton-Bruford-Muir je mitschneiden ließ. Und nun, ein Jahr später, rechtzeitig vor 2014, ist die Jubiläumsbox ‚The Road To Red’ da, die bis auf die ‚Red’-Studiotapes außer ‚Starless’ live nur Musik der Vorgängeralben enthält. Es ist also eigentlich eine Feier des Übergangs von ‚Starless and Bible Black’ zu ‚Red’, die 21 CDs, 1 Audio-DVD und 2 Audio-Blu-ray Discs enthält. 16 Konzerte zwischen 28. April und 1. Juli 1974 sind dokumentiert, in unterschiedlicher Qualität aufgenommen und mit erstaunlichen Ergebnissen remastered, wobei manche Stücke nicht komplett sind, was den wirklich Interessierten zwar stört, aber nicht davon abhält, der soghaften Faszination dieser Musik auf Schritt und Tritt zu folgen.

Ein großer Teil dieser Aufnahmen, die auch das legendäre Live-Album ‚USA’ und beinhalten, waren nie vorher zu hören. Nun könnte man einwenden: Wozu braucht es so viele Aufnahmen der selben Stücke? Die Antwort ergibt sich mit dem Hören, denn es ist eben etwas ganz anderes, dasselbe Stück auf höchstem Niveau in verschiedenen Aufnahmen hören zu können, als immer wieder ein und dieselbe final perfektionierte Fassung. Diese Gruppe war tatsächlich so außergewöhnlich in ihrer Übereinstimmung und der Verbindung von elementarer Wucht und komplexer Widerhakigkeit, dass es sich einfach lohnt, ihren Konzerten zu folgen wie einem akustischen Film voller Suspense, und natürlich den abenteuerlichen Improvisationen, die immer wieder zwischengeschaltet sind. Außerdem gibt es nicht nur das ‚Red’-Album in einer nochmals überarbeiteten Abmischung, sondern auf Blu-ray zusätzlich ein paar alternative Tracks, die damals nicht auf der LP landeten: eine Trio-Fassung von ‚Red’, eine Instrumental-Trioversion von ‚Fallen Angel’ und die „Full version“ der Improvisation ‚Providence’ (die gibt’s auch, auf KCSP7, bereits auf CD).

Fazit: man muss kein Fan sein, um sich dieser im LP-Format mit einem so umfangreichen wie gut illustrierten Booklet und liebevoll mit einigen Sammler-Souvenirs ausgestatteten Box zu erfreuen. Man kann sie sogar als Initialzündung nutzen, um zu erleben, was Progressive Rock at its best sein konnte, und welche Macht eine Musik hatte, die bis heute besonders bei Musikern höchste Schätzung genießt und deren Nachwirkungen noch lange anhalten werden. ‚The Road To Red’, diese klanggewaltige Dokumentation der „Wanderer auf der Straße nach Rot“, erschließt einen geradezu hypnotisch fesselnd strukturierten Kosmos.

King Crimson: The Road to Red (21 CDs, 1 DVD 2 Blu-ray Discs)
Discipline Global Mobile (Galileo Music Communication)

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!