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Richter, The Enigma, Warner Music Vision 1999
„Richter ist eine Welt für sich: ...“ Sie wird geboten in zwei Teilen zu je 77 Minuten: „Richter, The Enigma“ so heißt das insgesamt 154minütige Personality-Video. „Richter, der Unbeugsame“, ein Ehrentitel für eine Legende schon zu Lebzeiten. Das Video wird nicht müde, es immer wieder hervorzuheben. Schon zur Zeit Stalins. Und dabei war sein erstes öffentliches Konzert nicht gerade eine Glanznummer: „mit 19 hatte ich den abstrusen Einfall, ein Konzert zu geben“, bekennt er freimütig, wie er vieles freimütig bekennt: Anworten in Interviewfetzen, zwischen nüchternen Wänden und an einem Tisch, der eben nur ein Tisch ist und nicht mehr.
Sie sind der rote Faden, der das Video zusammenhält: Dokumentarisches aus Richters musikalischer und außermusikalischer Geschichte und Geschichten aus der Geschichte um ihn herum. Unterhaltsam plaudernd für den, der’s hören möchte, und informativ für den der’s wissen möchte. Daran geknüpft ein bunter Reigen musikalischer Zeugnisse des reichhaltigen Richter-Repertoires: Prokofieff rauf und runter, Chopin-Etuden rauf und runter, Beethoven so manches, Debussy etwas rar, Mozart – naja – immerhin Klavierkonzert KV 493, ein bißchen Ravel und Brahms schon mehr, natürlich Schuberts Sonate in G-Dur als seine Lieblingssonate und wovor’s ihn schaudert: „abgedroschene Stücke ... wie die b-moll Sonate von Chopin und schon kommt’s mir hoch.“ Was für ein Bekenntnis. Versuchen Sie’s mal als namenloser, und Sie werden mit Hunden vom Hof der Künste gejagt. Und noch ’ne Dreistigkeit: ohne ein formelles (!) Studium an einer Musikschule, also ohne anerkannte Vorbereitung, macht sich Richter auf, ein musikalisches Studium zu beginnen. Zur Aufnahmeprüfung spielt er – na, was wohl – ja, Chopin vor. Trotzdem. Damals wie heute kann man solche segensreiche Unbefangenheit kaum fassen. Und es hat geklappt. Ein Bilderreigen aus seiner Schüler-Lehrer-Zeit mit Neumann belegen es. Die Folgezeit bis heute sowieso. Irgendwoher muß der Nimbus des Unbeugsamen ja herkommen.
Und auch dieses macht man nicht: „Man kommt auf die Bühne und nimmt Platz. Bewegungslos und lautlos zählt man bis 30. Und dann entsteht beim Publikum eine Art Panik – was ist los. Und dann erst nach dieser langen Stelle das erste »G«. Natürlich ist es theatralisch, aber bei der Musik braucht man unbedingt ein Überraschungselement. Viele wunderbare Pianisten servieren ein Menü aus bereits bekannten Speisen.“ Und dazu geschickt in filmische Szenerie umgesetzt. Allein vom Zusehen spannend und knisternd. Man sieht’s förmlich. Und dann das Letzte noch: die Preisgabe des Desaster der Verstimmung des eigenen Gehörs, des Verlustes des absoluten Gehörs: den Kopf mit der Stirn in die linke Hand gelegt und: „Ich gefalle mir nicht. Das ist es.“ Der Schluß.