„Es ist leicht, kein Nazi zu sein, wenn es keinen Hitler gibt." Mit diesem, mahnend gegen selbstgerechte Überheblichkeit gerichteten Satz beschließt Hans-Jürgen Syberberg seinen Fünfstundenfilm „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914–1975“. Syberberg plant eine Trilogie über neuere deutsche Geschichte: nach „Lud wig II.“ und „Karl May“ soll ein Film über Hitler folgen. Das Winifred-Wagner-Porträt fungiert als eine Art Vorstudie, von der allerdings anzunehnmen ist, daß sie wesentliche Elemente des Hitler-Projekts schon vorwegnimmt. Denn schon jetzt könnte man meinen, der Wahnfried-Report enthalte gleichsam als Negativ-Bild zentrale Motive einer Arbeit über das dritte Reich und seinen „Führer“. Dies scheint um so erstaunlicher, da der neue Syberbergfilm sich auf eine radikal subjektivistische Perspektive beschränkt.
Vor 50 Jahren: Die Faschistin wirkt gefährlich normal – Syberbergs Film-Porträt von Winifred Wagner
Die Engländerin Winifred Williams kam 1914 nach Bayreuth, heiratete Richard Wagners Sohn Siegfried und übernahm nach dessen Tod 1930 die Leitung der Bayreuther Festspiele. Schon 1923 hatte sie Hitler kennen und bewundern gelernt, der erklärte, alles, was ihn bewege, dem Werk Wagners entnommen zu haben, Der Wagner-Fan Hitler wurde Freund des Hauses Wahnfried, Ehrengast und Förderer der Familie – und immer wieder tauchten Gerüchte über eine Liaison, gar mögliche Heirat auf. Immerhin dürfte zwischen Hitler und Winifred eine Beziehung bestanden haben, in der sich politisches Kalkül, Wagner-Kult und versteckte Erotik mischten. So soll Hitler jedesmal beim Schluß der „Götterdämmerung“ in der dunklen Bayreuther Ehrenloge Winifred einen Handkuß gegeben haben. Mit dem Feuer muß Hitler schon immer gern gespielt haben, denn Winifred berichtet nun, daß auch im Sommer nachts für den Führer der Kamin brennen mußte, damit er in der Glut kokeln konnte.
Die abtrünnige Tochter und Emigrantin Friedelind, Verfasserin des antinazistischen Buches „Nacht über Bayreuth“, bezeichnete Hitler als den „guten Onkel mit der Pistole in der Tasche“ und Wieland Wagner meinte später boshaft, seine Mutter habe auch nach Kriegsende noch an den „Endsieg“ geglaubt. Der schwer belasteten Winifred wurde von den auf die Integrität von Neu-Bayreuth bedachten Wagner-Enkeln ein Redeverbot auf erlegt, an das sie sich immerhin dreißig Jahre lang gehalten hat.
Daß sie eine einzigartige Kronzeugin deutscher Geschichte ist, war klar, und es ist denn auch oft versucht worden, sie aus ihrer Reserve zu locken. Doch erst Syberberg ist es gelungen, sie fünf Tage lang vor Kamera und Mikrophon zum Reden zu bewegen. Syberberg schaffte es, die Hemmschwelle abzubauen, Winifred Wagner das Gefühl zu nehmen, einem inquisitorischen Tribunal ausgeliefert zu sein, ihr eine unverkrampfte Selbstdarstellung zu ermöglichen. Fünf lange, doch nicht zu lange Stunden sieht und hört man nun, wie die Achtundsiebzigjährige auf Syberbergs Fragen eingeht, ihr Leben erzählt, von der Geschichte Bayreuths und ihren Beziehungen zu Hitler, auch vom neuen Bayreuth berichtet: eine alte Dame, resolut, clever, redegewandt, reaktionsschnell, mitunter witzig und alles in allem eher das, was man sympathisch nennt als das von manchem wohl erwartete verknöcherte Monument blonder Bestialität. Doch gerade darin liegt das Schockierende: nicht das Entsetzliche kommt zum Vorschein, sondern das Normale, Selbstverständliche und scheinbar Harmlose.
Gerhard R. Koch, Neue Musikzeitung, XXIV. Jg., Nr. 6, Dezember 1974
Man erlebt eine Greisin, die hellwach und lässig-konzentriert sich ihrer Führungsrolle und ihrer großen Liebe erinnert: Adolf Hitler. Virtuos versteht sie es, auf Syberbergs Fragen auf zwei Ebenen zu reagieren – einmal als einstige Herrin der mächtigsten ideologischen Kultur-Institution des deutschen Faschismus, und einmal als reine Privat-Person. Auch in Hitler hat sie nur den Privat-Mann, begnadeten Menschen und beglückenden Messias geliebt, den Seelenfreund und glühenden Wagnerianer den guten Onkel, über dessen Besuche sich alle freuten, der den Kindern gute Nacht sagte und Geschenke mitbrachte. Gewiß sei er Antisemit und Mili-tarist gewesen doch „Endlösung“ und Krieg seien ihm von den bösen Militärs und der SS abgezwungen worden, und ein vulgärer Judenhetzer wie Streicher hätte eben einfach nicht nach Bayreuth gepaßt. Beiläufig erwähnt sie, Hitler 1923 Papier nach Landsberg geschickt zu haben; um sich gleich darüber zu mokieren, daß man ihr die Mitverantwortung für „Mein Kampf“ unterstellt habe. Die Heiratsgerüchte tut sie als lächerlich ab: der Führer hätte doch keine Ausländerin geheiratet. Ebenso geschickt pariert sie die Frage, ob sie die Verfemung jüdischer Musiker nicht bedauert hätte: Mahlers Musik hätte sie sowieso nicht gemocht!
In Zdenko von Krafts Siegfried Wagner Buch berichtet sie, Hitler sei im Sommer 1940 das letzte Mal mit ihr zusammengetroffen. Jetzt bekennt sie, daß sie ihn noch 1944 in der Reichskanzlei besucht habe. Seine letzten Worte „Ich höre die Flügel der Siegesgöttin rauschen“ seien auf die Drogen des Leibarztes Morell zurückzuführen. Als makabres Kuriosum teilt sie mit, Hitlers Deckname bei den Altnazis nach 1945 sei gewesen USA: unser seliger Adolf. Er ist für sie bis heute die unschuldsvolle Lichtgestalt geblieben. Ihre Äußerung, daß sie es als höchstes Glück empfände, würde Hitler heute wieder zur Tür hereintreten, hat Wolfgang Wagner bewogen, ihr erneut das Festspielhaus zu verbieten.
Aber das Erstaunliche und Erschreckende an diesem Film sind nicht nur die markigen Bekundungen, sondern auch und mitunter sogar fast noch mehr – die Unbetroffenheit Winifred Wagners, die nur selten nicht antwortet und sich mit beredtem Schweigen und tief-gefährlichem Lachen zurücklehnt. Die alte Herrenmenschenhaltung, der Sinn für Macht, die Fähigkeit, sich durchzusetzen, die Mischung aus Elite-Bewußtsein und gesundem Menschenverstand, das unbeirrbare Festhalten an Idealen über alles Grauen hinweg – gerade in diesen keineswegs abnormen, sondern weitverbreitet-alltäglichen Verhaltensmustern läßt sich das erblicken, was man als „faschistisches Bewußtsein“ umschreibt.
Syberberg, dessen Film mehrfach an den Dokumentarfilm „Der gewöhnliche Faschismus“ des sowjetischen Regisseurs Michail Romm denken läßt, dokumentiert hier ebenso ausführlich wie unaufdringlich „die Banalität des Bösen und das Böse der Banalität“. Aber wer den Film gesehen hat, der, wenn auch arg gekürzt, im Fernsehen gezeigt werden soll, wird kaum umhin kommen, auch Wagner mit anderen Ohren zu hören. Denn Musik und Politik haben offenkundig doch eine ganze Menge miteinander zu tun.
Gerhard R. Koch, Neue Musikzeitung, XXIV. Jg., Nr. 6, Dezember 1975
- Share by mail
Share on