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Philippe Jordan zum ständigen Gastdirigent an die Berliner Staatsoper berufen +++ Dirigent Stefan Klingele erhält Kurt-Hübner-Preis +++ Riccardo Muti will kein dauerhaftes Engagement mehr +++ Busoni-Kompositionspreis der AdK für Michael Hirsch +++ Polemik als Markenzeichen - Marcel Reich-Ranicki wird 85
Philippe Jordan zum ständigen Gastdirigent an die Berliner Staatsoper berufen
Philippe Jordan wird ab der Saison 2006/2007 Principal Guest Conductor der Staatsoper Unter den Linden. Der Vertrag, der in der letzen Woche geschlossen wurde, hat eine Laufzeit bis zum Jahr 2011. Jordan wird an der Staatsoper bis zu 20 Abende pro Saison dirigieren, darunter eine Premiere, bis zu zwei Wiederaufnahmen und ein Konzert mit der Staatskapelle Berlin.
Die enge Zusammenarbeit mit der Staatsoper Unter den Linden begann in der Spielzeit 1998/99, als Philippe Jordan Kapellmeister und Assistent des Generalmusikdirektors, Daniel Barenboim, wurde (bis 2001). 1998 dirigierte er mit Christoph Kolumbus seine erste Premiere am Haus. In den folgenden Spielzeiten leitete er u.a. Vorstellungen von Der fliegende Holländer, Falstaff, Madame Butterfly, Der Rosenkavalier, Die Zauberflöte, Die Hochzeit des Figaro und Don Giovanni.
Der 30-jährige Philippe Jordan sei einer der talentiertesten Dirigenten seiner Generation, so die Staatsoper Berlin. Er stand unter anderem bei den Festspielen in Aix-en-Provence und am Théâtre du Châtelet in Paris am Dirigentenpult. Des Weiteren arbeitete er u. a. in Genf, an der Staatsoper Wien, in New York und Houston. Von 2001 bis 2004 hatte er außerdem den Posten als Generalmusikdirektor des Grazer Opernhauses und musikalischer Leiter des Grazer Philharmonischen Orchesters inne. In der Saison 2004/2005 leitete Jordan die Produktion Don Giovanni an der Metropolitan Opera in New York, Ariadne auf Naxos in Dresden und Paris, eine Neuproduktion des Werther und Wiederaufnahmen von Don Carlos und Der Rosenkavalier an der Wiener Staatsoper.
Dirigent Stefan Klingele erhält Kurt-Hübner-Preis
Bremen (ddp-nrd). Der Dirigent Stefan Klingele erhält den diesjährigen Kurt-Hübner-Preis. Die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung der Bremer Theaterfreunde soll dem 1. Kapellmeister am Bremer Musiktheater am 27. Juni im Schauspielhaus verliehen werden, wie das Bremer Theater am Dienstag mitteilte.
Klingele widme sich «sehr intensiv und risikobereit» der modernen und zeitgenössischen Musik, würdigte die Jury, die zum ersten Mal einen Dirigenten auszeichnet. Ihm seien mehrere Bremer Erstaufführungen von Werken des 20. Jahrhunderts zu verdanken. Die Bremer Theaterfreunde verleihen den Preis in diesem Jahr zum zehnten Mal. Hübner war von 1962 bis 1973 Intendant am Bremer Theater.
Riccardo Muti will kein dauerhaftes Engagement mehr
Der im April zurückgetretene Musikdirektor der Mailänder Scala, Riccardo Muti, will kein dauerhaftes Engagement an einem internationalen Theater mehr annehmen. "Ich möchte meiner Zukunft auf neue Weise entgegenblicken und mich frei fühlen", sagte Muti in der Dienstag-Ausgabe der römischen Tageszeitung "La Repubblica".
"Ich habe viele Angebote, doch jetzt will ich nur die Beziehungen mit den Orchestern intensivieren, mit denen ich mit großem Enthusiasmus bereits zusammengearbeitet habe: die Wiener Philharmoniker, das Orchester des Bayerischen Rundfunks, das New Yorker Philharmonic Orchestra", so der Dirigent.
Auch die Salzburger Festspiele interessieren Muti stark. "Ich habe ein langes Gespräch mit (dem designierten Intendanten, Anm.) Jürgen Flimm geführt, mit dem ich Projekte bis 2010 habe. Es ist jedoch verfrüht, bereits jetzt etwas zu sagen", so Muti.
Der Stardirigent trat am 2. April vom Posten des Scala-Musikdirektors zurück und folgte damit den mehrmaligen Aufforderungen seiner Musiker, das Opernhaus zu verlassen. Auch Intendant Mauro Meli musste zurücktreten. Er wurde durch Stephane Lissner, Musikdirektor der Wiener Festwochen und Leiter des Musikfestivals von Aix-en-Provence, ersetzt.
Busoni-Kompositionspreis der AdK für Michael Hirsch
Der Busoni-Kompositionspreis der Akademie der Künste wird seit 1988 vergeben. Preisträger dieser von Aribert Reimann gestifteten und mit 6 000 € dotierten Auszeichnung waren seitdem Stefan Carow, Ludger Brümmer, Jörg Birkenkötter, Isabel Mundry, Pierluigi Billone, Orm Finnendahl und Enno Poppe - Komponisten, deren Namen inzwischen zu einem festen Begriff in der zeitgenössischen Musikszene geworden sind. In diesem Jahr entschied sich die Jury, der die Sektionsmitglieder Frank Michael Beyer, Friedrich Schenker und Dieter Schnebel angehören, für den in Berlin lebenden Komponisten Michael Hirsch.
Den seit 1992 vergebenen Förderpreis von 2 500 € für Komponisten, die sich noch in der Ausbildung befinden, erhält Philipp Blume, der zur Zeit an der University of California in Berkeley bei Cindy Cox studiert.
Polemik als Markenzeichen - Marcel Reich-Ranicki wird 85
Berlin (ddp). Seine besondere Liebe gilt den Werken Goethes und Thomas Manns, speziell dem «Zauberberg». Doch die Initialzündung für sein Leben mit der Literatur lieferte Anna Seghers Roman «Das siebte Kreuz». «Unter dem Einfluss dieses Romans in der Gefängniszelle habe ich beschlossen, mich, wenn ich wieder frei komme, vielleicht doch mit Literatur zu befassen», sagt Marcel Reich-Ranicki. Er ist seit Jahrzehnten der erfolgreichste, aber auch umstrittenste Literaturkritiker des Landes. Am Donnerstag feiert der literarische «Großinquisitor», der die Polemik zu seinem Markenzeichen machte und sich selbst als «bisweilen boshaft» bezeichnet, seinen 85. Geburtstag.
In Wloclawek an der Weichsel (Polen), wo er am 2. Juni 1920 geboren wird, lebt er als Kind einer deutschen Jüdin und eines polnischen Juden, bis der geschäftliche Ruin seines Vaters die Familie zwingt, nach Berlin umzuziehen. Als Jude und polnischer Staatsangehöriger kann er dort zwar 1938 noch sein Abitur machen, das Studium wird ihm aber verwehrt. So arbeitet er zunächst als Lehrling in einer Exportfirma, wird im Herbst 1938 verhaftet und nach Polen deportiert, lebt dort ab 1940 im Warschauer Getto, aus dem er 1943 zusammen mit seiner Frau in den Untergrund flieht. Sein Vater, seine Mutter und sein Bruder werden ermordet.
Die Sowjetische Armee befreit ihn, er tritt der Kommunistischen Partei Polens bei, arbeitet 1948 und 1949 als Konsul der Republik Polen in London und zugleich im polnischen Geheimdienst, bittet aus politischen Gründen um seine Abberufung, wird nach der Rückkehr in Warschau aus der Partei wegen «ideologischer Entfremdung» ausgeschlossen, dann einige Wochen in einer Einzelzelle gefangen gehalten. Mit der Haftzeit endet Reich-Ranickis politische Karriere im diplomatischen Dienst - und es beginnt eine neue im Dienst der Literatur.
Er arbeitet in einem Verlag, schreibt für die Zeitung und für den Rundfunk, und er übersetzt deutsche Literatur für polnische Leser. In der Bundesrepublik steht er 1958 zusammen mit seiner Frau ein weiteres Mal vor dem Nichts. Geld hat er keines, doch vorzügliche Kenntnisse der deutschen Literatur, publizistische Begabung und Erfahrung sowie einige Bekanntschaften mit westdeutschen Autoren. Heinrich Böll verhilft ihm zu einem Visum, Siegfried Lenz tut alles, um ihm Kontakte zu verschaffen.
Kritiken machen ihn rasch so bekannt, dass ihn 1960 «Die Zeit» als Literaturkritiker einstellt. Mit Polemik, Ironie und Neid, mit Bewunderung und Respekt spricht man von ihm in diesen Jahren als «Großkritiker» und «Literaturpapst». 1973 übernimmt er die Leitung des Literaturteils der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Als er sie 1988 an einen Jüngeren abgeben muss, glauben manche, eine Ära der Literaturkritik sei zu Ende. Doch mit seinem «Literarischen Quartett» im ZDF schafft es der unbarmherzige Kritiker, seine Popularitätskurve sogar steigen zu lassen. Seinen größten Erfolg hat er jedoch im Alter von fast 80 Jahren als Autor seiner Autobiografie «Mein Leben».
1994 gerät Reich-Ranickis Tätigkeit im kommunistischen Polen auf den Prüfstand. Er bestätigt seine Zusammenarbeit mit dem polnischen Geheimdienst, bestreitet jedoch, «Chefagent» gewesen zu sein. Für seine schwierige politische Biografie findet er in Deutschland überwiegend Verständnis, so auch bei den Schriftstellern Siegfried Lenz und Rolf Hochhuth. Auf wenig Verständnis dagegen stößt sein emotionaler Verriss des Günter-Grass-Romans «Ein weites Feld» 1995.
Selbst zum literarischen Gegenstand wird der «Literaturpapst» erkennbar in Martin Walsers Roman «Tod eines Kritikers», in dem sich Walser «gegen die Machtausübung im Literaturbetrieb zur Wehr setzen» will. Ein Kritikerkollege sagte unlängst über Reich-Ranicki, seine Verrisse und Lobreden seien in gleicher Weise Liebesschwüre. Die Liebe sei der eigentliche Antrieb seiner Tätigkeit als Literaturkritiker.