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München (ddp). Der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim erhält den mit 150 000 Euro dotierten Ernst von Siemens Musikpreis 2006. Dies teilte die Ernst von Siemens Musikstiftung am Donnerstag in München mit. Der Preis gilt als Nobelpreis der Musik und wird Barenboim am 12. Mai bei einem Festakt in Wien übergeben. Die Laudatio hält der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez.
Die Jury würdigte Barenboim als «Universalmusiker, der als Dirigent und Pianist mit herausragenden Interpretationen das gesamte Repertoire der klassisch-romantischen Tradition abdeckt und sich auch stark für zeitgenössische Musik engagiert». Hervorgehoben wurde auch Barenboims völkerverbindendes Engagement und seine Bemühungen für einen Frieden im Nahen Osten. Barenboim hatte 1999 das «West Eastern Divan Orchestra» ins Leben gerufen, das junge Musiker aus Israel und der arabischen Welt zusammenführen soll.
Barenboim will den größten Teil des Preisgeldes nach Angaben der Stiftung für die Sanierung der Berliner Staatsoper spenden. Ein kleinerer Teil soll an die neue Barenboim-Stiftung für Musikbildung gehen. Der 63 Jahre alte Musiker ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Im Jahr 2000 wählte die Staatskapelle Berlin Barenboim zum Chefdirigenten auf Lebenszeit.
Der Ernst von Siemens Musikpreis wird seit 1974 jährlich verliehen. Im vergangenen Jahr war der französische Komponist Henri Dutilleux ausgezeichnet worden.
Musikalisches Universalgenie - Der Dirigent und Friedensstifter Daniel Barenboim - Ein Portrait
München (ddp-bay). Wenn der eher klein gewachsene Mann das Dirigentenpult erklimmt, besser gesagt erstürmt, merkt man schon, was in ihm steckt. Daniel Barenboim ist ein Powerpak. Ob als genialer Pianist und energischer Dirigent, streitbarer Opernchef oder musikalischer Friedensstifter. Der 63-jährige Künstler erregt die Gemüter, und das nicht nur in den Feuilletons. Legendär ist sein Einsatz für die israelisch-palästinensische Aussöhnung. Dass der Alleskönner nun mit dem renommierten Ernst von Siemens Musikpreis, dem Nobelpreis der Musik, geehrt wird, ist eigentlich überfällig.
Barenboim gilt als musikalisches Ausnahmetalent. Überall war er der jüngste, der beste. Schon als Siebenjähriger gab das in Buenos Aires geborene Kind russisch-jüdischer Eltern sein erstes öffentliches Konzert, nahm mit elf in Salzburg an Dirigierklassen bei Edwin Fischer und Igor Markevitsch teil. An der «Academia di Santa Cecilia» in Rom wurde er als jüngster Meisterschüler aller Zeiten aufgenommen, erhielt 1955 mit 13 Jahren sein Diplom. Wilhelm Furtwängler, den Barenboim verehrt, nannte den jungen Israeli ein «Phänomen».
1956 begann Barenboims pianistische Weltkarriere. Regelmäßig konzertierte er in Europa, den USA, Südamerika, Australien und Fernost. Legendär war seine Gesamteinspielung aller Mozart-Klavierkonzerte mit dem English Chamber Orchestra, das er vom Klavier aus selbst dirigierte. Barenboims Ausflüge aufs Dirigentenpult wurden seither immer häufiger. Stationen seiner «zweiten» Karriere als Orchesterleiter waren das Orchestre de Paris, die Pariser Bastille-Oper und das Chicago Symphony Orchestra, das er seit 1991 leitet.
1992 wurde er Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Deutschen Staatsoper Berlin. Sein Vertrag läuft bis 2012. Barenboim ist ein kultureller Leuchtturm in der wirtschaftlich kränkelnden Hauptstadt. Falls sich Spekulationen um eine Berufung als neuer Musikchef der Mailänder Scala bewahrheiten würden, es wäre ein schwer zu ersetzender Verlust. Gegen Mailand spricht, dass der Weltbürger Barenboim in Berlin Wurzeln geschlagen hat. «Ich bin kein Deutscher, aber ich empfinde als Berliner», sagte er in einem Interview. Das Preisgeld des Ernst von Siemens Musikpreises in Höhe von 150 000 Euro will Barenboim zum großen Teil für die Sanierung der Staatsoper spenden. Ein kleinerer Teil soll an die neue Barenboim-Stiftung für Musikbildung gehen.
Das Projekt, das ihm zur Zeit vielleicht am meisten am Herzen liegt, ist das West Eastern Divan Orchestra. In dem Klangkörper, den er zusammen mit dem palästinensischen Intellektuellen Edward Said als praktischen Beitrag zum Frieden gründete, musizieren junge israelische und arabische Musiker einträchtig miteinander. Höhepunkt seines Völker verbindenden Engagements war bislang das weltweit beachtete Konzert des Divan-Orchestra in Ramallah im israelisch besetzten Westjordanland im August 2005.
Preise erhielt der Barenboim, der als uneitel gilt und ohne Starallüren auskommt, schon in rauen Mengen. Einmal nützte er die Übergabe einer Auszeichnung im israelischen Parlament in Jerusalem zu einer heftigen politischen Attacke auf sein Heimatland. Der ungelöste Konflikt im Nahen Osten treibt den israelischen Staatsbürger um. «Es schmerzt mich eben, dass wir Juden, obwohl wir selbst eine Minderheit sind, noch immer nicht in der Lage sind, eine andere Minderheit, die Palästinenser, anzuerkennen», sagte er in einem Interview. Ob er auch die Vergabe des Siemens-Musikpreises am 12. Mai in Wien zu einer politischen Demonstration nutzen wird - zuzutrauen wäre es ihm allemal.
Georg Etscheit