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Claudio Abbado: Abschied mit Kritikerpreis

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Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado (68), ist am Donnerstag zum Ende seiner zwölfjährigen Amtszeit für sein Lebenswerk mit dem Preis der deutschen Kritiker ausgezeichnet worden.

orf - "Unser Preis gilt einem Künstler von Jahrhundertrang, der in vielen Kulturstädten Europas und darüber hinaus seine Spuren hinterlassen hat", heißt es in der Begründung. Bei der Preisübergabe im Anschluss an eine Orchesterprobe in der Philharmonie spendeten die Musiker ihrem Chef lang anhaltenden Beifall. Am Freitag steht Abbado, der im Sommer sein Amt an Simon Rattle übergibt, zum letzten Mal als Chefdirigent am Pult der Berliner Philharmonie. Anschließend führt ihn eine Konzertreise mit dem Orchester durch sein Geburtsland Italien und nach Wien, wo er bei Hans Swarowsky studiert hat.

Danach wolle er sich in sein Haus im Engadiner Fextal zurückziehen, berichteten Berliner Zeitungen. Auf die Frage, wie seine Zukunft aussehe, sagte der von seiner Krebserkrankung deutlich gezeichnete Dirigent: "Ich habe meine Musik, meine Bücher, meine Familie, meine Enkelkinder."

Wenn Abbado an diesem Freitag Claudio Abbado seinen Taktstock nach fast 12jähriger Amtszeit als Leiter der Berliner Philharmoniker aus der Hand legt, wird bei vielen Zuhörern Wehmut aufkommen. Mit Dimitri Schostakowitschs Klängen zum sowjetischen Shakespeare-Film "König Lear" wird sich der Maestro von der deutschen Hauptstadt verabschieden.

Als er 1989 zum Nachfolger des charismatischen "Zuchtmeisters" Herbert von Karajan und damit zum fünften Chefdirigenten der Philharmoniker gewählt wurde, wollte das Orchester zu neuen künstlerischen Ufern aufbrechen. Seitdem ist Abbado mit dem bedeutenden Klangkörper immer wieder auf musikalische Entdeckungstour gegangen.

Mit seinen Aufführungszyklen, zum Beispiel zu Shakespeare, zu Faust oder zuletzt zur Parsifal-Figur, hat Abbado die großen Bögen zu Literatur, Geschichte, Oper und Film geschlagen. Weil er bei aller Liebe zur Moderne auch die Tradition des 120 Jahre alten Spitzenorchesters pflegte, konnte der Dirigent auch das große Publikum auf die Reise mitnehmen.

Nach den Stationen an der Mailänder Scala (1968-1986), dem London Symphony Orchestra (1983-1988) und den Wiener Philharmonikern (1987- 1991) stieg Abbado zum stillen, aber unumstrittenen Herrscher der Berliner "Orchesterrepublik" auf. Mit den Philharmonikern wurde der in Mailand geborene Sohn eines Geigers und einer Kinderbuchautorin zu einem der wohl bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

Zu den Höhepunkten der Zusammenarbeit mit den Philharmonikern gehörten lange Tourneen nach Japan, Russland, Südamerika und in die USA, konzertante Opernaufführungen wie "Boris Godunov" und die mit dem jüngst verstorbenen Regisseur Herbert Wernicke in Salzburg gefeierte Inszenierung des Mussorgski-Werks. Verdis "Falstaff" oder Wagners "Tristan und Isolde" wurden als "Ereignisse von Festspielrang" gefeiert. Abbado trat sehr bald aus dem langen Schatten Herbert von Karajans heraus.

Doch mit seinen anspruchsvollen Programmen und seiner reservierten Art in Zeiten, in denen auch Dirigenten Teil des Showgeschäfts sind, blieb das Publikum Abbado nicht nur gewogen. Und auch die lange vom finanziellen Erfolg verwöhnten Orchestermusiker rieben sich an Abbados Zurückhaltung, die sie angesichts schleppender CD-Verkäufe nach den guten Jahren mit dem multimedial präsenten Karajan eher als Manko begriffen.

Zur Zäsur wurde die Zwangspause, die der schwer erkrankte Abbado 1999 nach einer Magenkrebs-Diagnose einlegen musste. Als er im Oktober 2000 an das Pult der Philharmoniker gegen den Rat der Ärzte zurückkehrte, erlebten die Zuhörer einen erschreckend abgemagerten Dirigenten. Doch seine Lebenskraft wirkte ansteckend.

Zwischen Abbado und dem Orchester stellte sich ein "ungekanntes Maß an Verständnis, an Respekt, ja sogar Sympathie und Liebe" ein, wie ein Kritiker schrieb. Im Februar 2001 startete Abbado eine Tournee mit allen Sinfonien und Klavierkonzerten Beethovens - und wurde vom Publikum stürmisch gefeiert.

Bereits im Oktober 1998 hatte der Musiker erklärt, dass er seinen im kommenden August auslaufenden Vertrag nicht verlängern wolle. Am 23. Juni 1999 wählten die Berliner Philharmoniker den Briten Simon Rattle zu seinem Nachfolger.