Hauptbild
Die Kunst, einen eigenen Klang zu finden: Teodoro Anzellotti
Die Kunst, einen eigenen Klang zu finden: Teodoro Anzellotti
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Das Akkordeon hat Karriere gemacht: Teodoro Anzellotti im Gespräch

Autor
Publikationsdatum
Body

Moritzburg (dpa) - Komponist Wolfgang Rihm hat jahrelang für den italienischen Akkordeon-Spieler Teodoro Anzellotti komponiert. Der 53-jährige Anzellotti kennt die Konzertsäle von der Carnegie Hall bis zum Wiener Musikverein. An diesem Donnerstag spielt er beim Moritzburg Festival Rihms Komposition „Fetzen 1–8“. Die Nachrichtenagentur dpa sprach mit Anzellotti über sein Instrument.

Wie sind Sie zum Akkordeonspiel gekommen?

Für mich war das selbstverständlich. Mein Vater spielte Akkordeon. In Italien ist das ein sehr beliebtes Instrument. Er kam als Gastarbeiter nach Deutschland, das Akkordeon war wie ein richtiges Familienmitglied. Ich habe es als kleines Kind schon gehört. Mein Vater spielte nach, was im Radio kam. Er hat es autodidaktisch erlernt, so wie es früher in vielen Teilen der Welt üblich war - über das Gehör.

Warum führte das Akkordeon in der Klassischen Musik bisher eher ein Schattendasein?

Es ist für die Klassische Musik einfach noch zu jung. Für Konzerte wurde es erst vor etwa 50 Jahren entdeckt. Zunächst war es bautechnisch sehr begrenzt. Als typisches Kind der Industrialisierung war es ja erst Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Von Anfang an wurde es industriell hergestellt - alles musste so billig wie möglich sein. Weltweit konnte es sich so zwar explosionsartig verbreiten. Lange Zeit gab es aber keine wirklichen Meisterwerkstätten. Erst als es zum polyphonen Instrument wurde, das man spielen konnte wie ein Klavier oder eine Orgel, fand es Einklang in die Klassik.

Gibt es eine „Stradivari“ unter den Akkordeons?

Es gibt heute sehr gute Instrumente. Die Entwicklung geht immer weiter, es wird ständig nach neuen Materialien gesucht. Das Akkordeon ist ein sehr komplexes Instrument mit einer sehr komplexen Mechanik. Die ersten Akkordeonbauer waren ja Uhrmacher. Heute haben sich zwei Standards herausgebildet. In Italien haben Akkordeons einen speziellen Klang, für eine andere maßgebende Richtung steht Moskau. Dort existierte schon früher eine Experimentierwerkstatt, deren Instrumente ausschließlich an hochbegabte Interpreten gingen. Ich selbst spiele ein italienischen Instrument mit russischen Zungen.

Fühlen Sie sich im Konzertsaal manchmal als Exot?

Vielleicht ein bisschen. Aber das ändert sich momentan. Als ich mit dem Studium begann, hätte ich mir kaum vorstellen können, einmal von einem Kammermusikfestival wie dem in Moritzburg eingeladen zu werden. Doch in den letzten 20 Jahren hat das Akkordeon Karriere gemacht. Häufig taucht es nun bei den großen Festivals auf. Mein Terminkalender ist gefüllt. Für das Akkordeon gibt es heute einen Markt.

Welche besondere Klangfarbe bringt Ihr Instrument ein?

Im Prinzip kann man die ganze Tastenliteratur auf ihm spielen. Beim Klavier hat man den Anschlag, bei uns geht es mit dem Ton aber weiter. Dann kommt die Luft dazu. Das Akkordeon ist von den Kriterien her ein Blasinstrument. Ohne Luft geht nichts. Das Tönende wird über die Luft reguliert. Die Tasten sind nichts anderes als die Klappen bei einer Klarinette oder Flöte. Auch die Bewegung des Balges spielt eine Rolle. Es gibt also mehrere Artikulationsmöglichkeiten. Die Kunst dabei ist, einen eigenen Klang zu finden.

Beschreiben Sie uns Wolfgang Rihms „Fetzen“?

Bei ihm ist das Akkordeon wie ein Chamäleon. Das Instrument besitzt die Fähigkeit, ständig die Farbe zu verändern. Es kann sich sehr leicht mit anderen Instrumenten mischen oder auch abheben. All das macht Rihm auf unglaublich fantasievolle Weise. Es gibt Stellen, bei denen kein Mensch mehr hören kann, ob das hohe Streicher sind oder ein Akkordeon. Er durchkreuzt aber auch die Klänge, das Akkordeon grätscht praktisch dazwischen.

Hätten auch Mozart oder Beethoven für Akkordeon komponiert, wenn es das Instrument damals schon gegeben hätte?

Keine Frage! Auch Bach. Die waren sehr neugierig und haben die Entwicklung der Instrumente sehr genau verfolgt. Ihnen hätte ein Tasteninstrument gefallen, das dynamisch sehr flexibel ist und wo sich jeder Ton individuell modulieren lässt. Bach, Mozart, Beethoven, waren Avantgardisten, die haben damals Neue Musik gemacht.

Interview: Jörg Schurig, dpa

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!