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Artist in Residence in Essen: Dave Douglas. Foto: Stefan Pieper
Artist in Residence in Essen: Dave Douglas. Foto: Stefan Pieper
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„Etwas schaffen, das zu mir gehört“ – der Jazztrompeter Dave Douglas im Gespräch

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„Moonshine“ hat der New Yorker Trompeter Dave Douglas sein aktuelles Projekt nach einem Filmfragment von Roscoe Arbuckle und Buster Keaton aus dem Jahr 1918 benannt. Cineastisches der Stummfilmära aber auch aus dem Genre des Film Noir zog er heran, um solches Material mit der Musik seiner jüngsten Band, dem Keystone-Sextett zu vereinen. Dabei überrascht nicht zuletzt das neue stilistische Gewand, in dem Douglas charismatisches Trompetenspiel daherkommt.

Funkige Grooves, brachiale Beats, futuristische Freejazz-Anflüge und psychedelische Fender-Rhodes – hier geht es hochenergetisch, manchmal absolut tanzbar zur Sache.

Zurzeit ist der US-Trompeter für mehrere Auftritte als Artist in Residence an der Essener Philharmonie gebucht. Eine Mischung aus Vorfreude und Aufregung kennzeichnete seine Verfassung, bevor es an den akribischen Soundcheck für das Film-Konzert im Ruhrgebiets-Konzertsaal ging. Zuvor fand er sich zum ausgiebigen Gespräch in der Hotel-Lounge.

nmz Online: Neben deinem Engagement als Essener Residence-Künster ist dein Terminplan  ja ganz schön voll. Kommst du jetzt gerade von New York?

Dave Douglas: Ich bin gestern angekommen. Meine Band ist schon etwas früher angereist. Ich komme übrigens gerade vom Fahrkartenschalter des Essener Hauptbahnhofs, da musste ich etwas in der Schlange stehen. Morgen geht es nach Frankfurt, wo ich zusammen mit der HR-Bigband auftrete.

nmz Online: Macht dir die Zeitverschiebung zu schaffen?

Dave Douglas: Nein - zurzeit ist alles von einer gewissen Aufregung in Bezug auf das kommende bestimmt. Wir sind alle sehr neugierig, wie hier unser Filmkonzert laufen wird.

nmz Online: Du bist nun schon zum zweiten Mal „Artist in Residence“ in Essen. Es scheint dir also hier zu gefallen?

Dave Douglas: Oh ja – ich schätze das hiesige Publikum. Und vor allem liebe ich diesen großen Konzertsaal der Essener Philharmonie.

nmz Online: Die Musik des Keystone-Sextetts ist, verglichen mit anderen Projekten ungewohnt funky. Hast du hier einen Wendepunkt erreicht oder markiert „Moonshine“ einen Bruch? 

Dave Douglas: Nein, das Keystone Sextett sehe ich nicht als Bruch, sondern als Teil des Ganzen. Es ist eine neue Spielart von dem, was ich musikalisch in mir habe und ausdrücken will. Was auch immer in den unterschiedlichen Projekten entsteht – ich bleibe musikalisch ich selber. Ich wache ja auch nicht morgens auf und bin ein anderer.

nmz Online: Das treibende Potenzial der Arrangements auf „Moonshine“ ist immens. Sind die Stücke als Filmmusik gedacht und dementsprechend funktional konzipiert?

Dave Douglas: Durchaus. Wenn die Filme über der Bühne laufen, wird unser Spiel zum gleichberechtigten Partner des filmischen Geschehens. Bei den Filmen, die heute abend zu sehen sind, handelt es sich um Fragmente – es beginnt mit einem Kurzfilm von Roscoe Arbuckle mit Buster Keaton in der Hauptrolle, danach folgt ein Zusammenschnitt von sehr raren, gerade erst wiederentdeckten Fragmenten von Filmen aus den 40er Jahren, schließlich ein weiterer kurzer Film von Narbuckle. Die Musik ist dabei weder Hintergrund-Untermalung wie in manchen Hollywood-Produktionen, noch dominiert sie das Geschehen. Ich würde sagen, hier ist das Verhältnis Hälfte-Hälfte.

nmz Online: Welche Rolle spielt der DJ im Keystone-Sextett?

Dave Douglas: DJ Olive nutzt sein Equipment als völlig emanzipiertes Instrument, gleichberechtigt etwa mit Saxofon oder dem Fender Rhodes. Er ist dabei für weit mehr zuständig als nur für rhythmische Impulse oder Ergänzung der Schlagzeug-Beats. Es gibt solistische Passagen, klangliche Gesten und Samples, die etwas zitieren. Er spielt also ganz verschiedene Rollen.

nmz Online: Auf der Bühne fällt immer wieder auf, dass du und deine Mitmusiker sehr eng zusammenstehen. Warum?

Dave Douglas: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dadurch eine echte, tiefe Kommunikation gefördert wird. Aber so was kann man nicht überall machen. Das hängt von den Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen Bühnen ab.  

nmz Online: Fühlst du dich als Leader, der alle Richtungen vorgibt?

Dave Douglas: Ich fasse es als meinen Job auf, eigene Ideen zu kommunizieren. Aber es macht auch einen guten Bandleader aus, Freiräume offen zu lassen, die von den Entscheidungen der Mitspieler gefüllt werden. Ich habe mir nun eben speziell diese Leute ausgesucht, weil ich mag, was diese selbst tun und kreieren.

nmz Online: Ist alles schon vorher von dir auskomponiert?

Dave Douglas: Das ganze ist ein langer Kommunikationsprozess, der schon früh beginnt. Wenn wir in der allerersten Probe zusammenkommen, steht tatsächlich schon sehr viel von dem fest, wohin die Reise schließlich gehen wird. Aber bis zum Endergebnis ist es noch ein weiter Weg. Da kommt viel physische, intuitive Aktivität zum Tragen. Ähnlich wie das, was zwischen der ersten Niederschrift einer klassischen Komposition und ihrer Interpretation im heutigen, zeitgenössischen Kontext liegt. Ich lese auch ständig viel über Musik. 

nmz Online: Was zum Beispiel liest du über Musik?

Dave Douglas: Ich lese viel über Beethoven. Vor allem seine letzten Kompositionen faszinieren mich außerordentlich.

nmz Online: Ist Beethoven ein moderner Komponist?

Dave Douglas: Absolut. Auch heute noch. 

nmz Online: Beethoven hegte ja hohen Respekt vor dem Erbe der Vergangenheit und er entwickelte ungemein viel neues daraus.  Der Facettenreichtum an Einflüssen, die unterschiedliche Ausrichtung deiner vielen Projekte legt nahe, dass du einen ähnlichen Anspruch hast, oder?  

Dave Douglas: Mein Job als Bandleader und Komponist ist es, aus der Vielfalt von Einflüssen zu schöpfen, diese zu verstehen, um sie dann in eine Sprache zu übersetzen, die meine ist. Ich will daraus etwas schaffen, dass zu mir gehört.

Und da sind wir dann auch schon beim Jazz als einer progressiven Musik – so etwas will ich verwirklichen. Charlie Parker, Eric Dolphy oder Ornette Coleman haben es vorgemacht.

nmz Online: Dein Spiel auf der Trompete besticht vor allem durch seine lyrische Intensität. Gibt es ein musikalisches Erweckungserlebnis von ganz früher?

Dave Douglas: Ich hatte das Glück, in einer musikalisch sehr offenen Familie aufzuwachsen. Da lernte ich schon früh den Gesang von Billy Holliday kennen. Das war  eine Offenbarung für mich – diese Phrasierungen, dieses Feeling, diese Tiefe. Das hat mich sicherlich geprägt.   

nmz Online: Also geht deine Spielauffasung auf der Trompete vom Gesang aus?

Dave Douglas: Auf jeden Fall!

nmz Online: Alle deine Projekte und Aktivitäten sind mittlerweile um Ihr eigenes Label zentriert. Fühlst du dich unabhängig von der Musikindustrie?

Dave Douglas: Nein, eine völlige Unabhängigkeit davon gibt es wohl kaum. Wir sind ja alle Bestandteil der Musikindustrie, sobald wir von der Musik leben. Trotzdem läuft bei mir seit ungefähr fünf Jahren fast alles in Eigenregie. Ich sehe das als logische Konsequenz des ganzen Strukturwandels in der Weitergabe von Musik, etwa durch das Internet. Es geht heute nicht nur darum, die Musik weiter zu entwickeln, sondern auch deren Verbreitung und Vermittlung.  

nmz Online: Deine musikpädagogischen Aktivitäten zeugen vom Wunsch, auch menschlich etwas weiterzugeben? 

Dave Douglas: Ja … ich bin jetzt 45 Jahre alt, also auf der mittleren Altersskala. Da kommt irgendwann dieser Wunsch auf. Zum Glück habe ich schon seit Jahren die Möglichkeit, den „Banff International Workshop“ zu leiten, wo erstaunliche junge Talente zusammenkommen.

nmz Online: Hast du Kinder, gibst du ihnen etwas weiter?

Dave Douglas: Meine Tochter ist bereits 25, mein Stiefsohn 13, der kommt oft zu meinen Konzerten. Er spielt bereits jetzt fantastisch E-Gitarre und ist damit vielleicht irgendwann einmal populärer als ich selber. Kürzlich hat mich schon gefragt, warum wir keinen Sänger haben (lacht) ...


CD-Tipp:
Dave Douglas Keystone Sextet
Moonshine
Green Leaf Music 2007
Sämtliche Tonträger können direkt auf der eigenen Webseite von Dave Douglas bestellt werden.

 

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