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Grass soll Auszeichnungen zurückgeben

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Die Debatte um den Literaturnobelpreisträger zieht weitere Kreise +++ Hochhuth, Jens und Walser äußerten sich

Hamburg (ddp). In der Debatte um die Mitgliedschaft von Literaturnobelpreisträger Günter Grass in der Waffen-SS gibt es immer neue Wortmeldungen. Der Dramatiker Rolf Hochhuth erklärte am Montag in drei Zeitungen, er finde Grass ekelhaft. Dagegen nahmen die Schriftsteller Walter Jens und Martin Walser Grass in Schutz. Der CDU-Kulturexperte Wolfgang Börnsen verlangte die Rückgabe des Nobelpreises. Polens früherer Präsident Lech Walesa forderte Grass zum Verzicht auf die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Danzig auf.

Grass war im Zweiten Weltkrieg Mitglied der Waffen-SS und hatte das der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« erstmals öffentlich bekannt. Sein Erinnerungsbuch, in dem er seine Kindheit in Danzig, Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft sowie seine Anfänge als Künstler im Nachkriegsdeutschland schildert, erscheint im September unter dem Titel »Beim Häuten der Zwiebel« im Steidl-Verlag.

Hochhuth sagte, Grass sei moralisch diskreditiert. Grass habe sich moralisch über den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl ereifert, weil dieser mit US-Präsident Ronald Reagan einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem neben Hunderten amerikanischer und deutscher Soldaten auch 49 Mitglieder der Waffen-SS begraben wurden. «Widerlich» sei auch Grass\' Kritik am ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der den «besten Geist des Großbürgertums» in der Zeit des Nationalsozialismus repräsentiert habe.

Jens sagte hingegen, es sei eine sehr eindrucksvolle und bewegende Tat, dass ein alter Mann reinen Tisch machen wolle. «Wenn man fast 80 Jahre alt ist, finde ich es sehr würdig und nobel zu sagen: Diesen Punkt in meinem Leben habe ich leider nicht berührt und hole das nun nach», sagte Jens. Er glaube nicht, dass mit dem späten Bekenntnis Grass und sein Werk beschädigt würden.

Walser sagte: »Der Mündigste aller Zeitgenossen kann sechzig Jahre lang nicht mitteilen, dass er ohne eigenes Zutun in die Waffen-SS geraten ist. Das wirft ein vernichtendes Licht auf unser Bewältigungsklima mit seinem normierten Denk- und Sprachgebrauch.« Grass habe durch die souveräne Platzierung seiner Mitteilung diesem »aufpasserischen Moral-Klima« eine Lektion erteilt.

Börnsen sagte, Grass habe sein Leben lang hohe moralische Ansprüche vor allem an Politiker gestellt. «Diese Ansprüche sollte er jetzt auch an sich selbst stellen und alle Ehrungen, die er erhalten hat honoriger Weise zurückgeben - auch den Nobelpreis», fügte er hinzu.

Friedensnobelpreisträger Walesa sagte, es wäre das Beste, wenn Grass von sich aus auf die Ehrenbürgerschaft Danzigs verzichtete. «Ich weiß nicht, ob man nicht überlegen sollte, ihm diesen Titel abzuerkennen. Wenn bekannt gewesen wäre, dass er in der SS war, hätte er die Auszeichnung nicht bekommen», sagte Walesa, der selbst Ehrenbürger Danzigs ist.

Martin Roy