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György Ligeti ist im Alter von 83 Jahren in Wien gestorben

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(nmz-ckr) Der österreichisch-ungarische Komponist György Ligeti ist im Alter von 83 Jahren in Wien gestorben. Er erlag am Montagmorgen einer schweren Krankheit. Mit ihm verliert die Musikwelt einen der wirkungsmächtigsten Klangschöpfer des 20. Jahrhunderts.

György Ligeti war ein Abenteurer der Form und des Ausdrucks und ein großer Visionär der Neuen Musik. Sein faszinierend vielseitiges Werk, das weitgehend vom Mainzer Schott-Verlag betreut wurde, nimmt in Hinsicht auf musikalische Qualität und kompromisslose Individualität eine Ausnahmestellung ein. Komplexe polyrhythmische Strukturen, experimentelle elektronische Musik, phonetische Experimente: Ligeti bewegte sich zeitlebens fernab ästhetischer Moden und Schulen. Ihn kennzeichneten frische und unorthodoxe Ideen, jeder Dogmatismus war ihm fremd, radikale Einschnitte prägen sein gesamtes Schaffen. Mit seinen phantastischen Ideen hat er nicht nur das Fachpublikum angesprochen. Die sinnliche Zugänglichkeit seiner Musik wirkt auf alle Hörer faszinierend und anregend.

Das 1961 entstandene Orchesterstück Atmosphères machte Ligeti schlagartig bekannt. Er verzichtet darin beinahe vollständig auf traditionelle melodische, harmonische und rhythmische Parameter und konzentriert sich auf Klänge mit ständig sich wandelnden Texturen. „Mikropolyphonie bedeutet ein so dichtes Gewebe, dass die Einzelstimmen unhörbar werden und nur die resultierenden ineinanderfließenden Harmonien als Gestalt wirken“, beschrieb er selbst einmal diese von ihm entwickelte Kompositionsweise. Techniken waren für ihn nie Selbstzweck. So blieb er nicht bei irisierenden Klangflächen, sondern suchte weiter nach neuen Wegen.

Sein Vater und Bruder starben in Konzentrationslagern; er selbst konnte aus dem Arbeitsdienst der ungarischen Armee 1941 nur knapp entkommen und musste nach dem Ungarnaufstand 1956 nach Österreich fliehen. Solchermaßen geprägt, entwickelte er eine heftige Abneigung gegen jede Diktatur und jede Form von geistiger Enge: „Ich bin ein Feind der Ideologien in den Künsten. Totalitäre Systeme mögen keine Dissonanzen.“ Biochemie, Chaosforschung, fraktale Geometrie, aus allem gewann der ursprünglich zum Physikstudium tendierende Ligeti Inspiration für neue Kompositionsprinzipien. Im Laufe seiner internationalen Lehrtätigkeit ermutigte er seine Schüler zu Unabhängigkeit, Originalität und kompromissloser Selbstkritik: „Es gibt nur die eine Tradition. Entweder unsere Musik hält vor ihr stand oder eben nicht.“

Nach seiner intensiven Arbeit im Studio für elektronische Musik des WDR in Köln in den 1950er und der Entwicklung der Mikropolyphonie in den 1960er Jahren wurde sein Personalstil in den 70ern einfacher und transparenter. Und wie um sich vorherrschenden musikalischen Tendenzen zu entziehen, waren auch wieder tonale Klänge zu hören. Ligeti dazu: „Den Verordnungen, was als modern und unmodern zu gelten hat, höre ich nicht mehr zu.“ Sein einziges abendfüllendes Bühnenwerk Le Grand Macabre ist vom absurden Theater inspiriert und strotzt vor operettenhaftem Schalk und schwarzem Humor. Der Komponist wollte dem Publikum wieder zugänglich werden: „Bühnengeschehen und Musik sollten gefährlich-bizarr, ganz übertrieben, ganz verrückt sein.“

In den 1980er und 1990er Jahren erweiterte Ligeti seinen kompositorischen Horizont erneut und bezog nun Strukturprinzipien afrikanischer Trommelmusik in seine Werke ein. Er entwickelte neue komplexe polyrhythmische Kompositionstechniken; diese liegen den 3 Sammlungen seiner Études pour piano zugrunde, die als wichtigstes Klavierwerk des ausgehenden 20. Jahrhunderts gelten.

György Ligeti hat einen langen Weg zurückgelegt: von der rumänischen Volksmusik und der Tonsprache seines Landsmanns Béla Bartók bis zu seinem eigenen Klangkosmos. Der Mentor einer ganzen Komponistengeneration parodierte mit seiner Musik das Alte und ließ das Neue vertraut erscheinen. Er wollte nach eigenem Bekunden „die Angst vor dem Tod mit dem Lachen darüber verschmelzen“. (CKR)