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Harry Kupfer wird 70

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«Mir fällt ohne Musik nichts ein» - Opern-Regisseur Harry Kupfer wird am Freitag 70 - Über 200 Inszenierungen weltweit


Berlin (ddp-bln). «Für mich bedeutet das Alter ein großes Stück Freiheit», sagt Harry Kupfer. Opern, die er schon oft gemacht habe, brauche er heute nicht mehr zu inszenieren, und von der Verwaltungsarbeit als Intendant sei er entlastet. In den vergangenen 20 Jahren hat der große Opernregisseur viel gesehen von der Welt, denn die bedeutenden Bühnen von Bayreuth über Salzburg und Wien bis nach San Francisco und Sydney rissen sich um den Regisseur aus Ost-Berlin. Jetzt inszeniert er nur noch in Städten, die er immer schon mal besuchen wollte - zum Beispiel Helsinki und Genua. Am Freitag feiert Harry Kupfer seinen 70. Geburtstag.

«Mein erstes Opernerlebnis als Kind hat mich zutiefst getroffen», erinnert sich Kupfer im ddp-Gespräch. Ausgerechnet «die blödeste Oper, die es gibt, der \'Barbier von Sevilla\'», habe er mit zwölf Jahren gesehen. «Es hat mich damals umgehauen, dass man eine Handlung singen kann.» Von da an sei er regelmäßig mit der Schule in die Berliner Kinos gegangen, in denen die aus dem Krieg heimgekehrten Sänger Opern aufführten. Später habe er jede Mark, die er hatte, in die Berliner Opernhäuser getragen.

Kupfers Weg zu einem der bedeutendsten Opernregisseure der Gegenwart begann nach dem Studium an der Theaterhochschule in Leipzig 1958 als Assistent in Halle (Saale). Danach ging er nach Stralsund, Weimar, Dresden und schließlich nach Berlin. «Die ersten internationalen Anfragen kamen 1973 aus Österreich, danach folgten Kopenhagen, Amsterdam und Frankfurt am Main», erzählt er. Frankfurt sei ihm aber von den DDR-Behörden nicht genehmigt worden.

«Stattdessen ging es für mich 1978 nach Bayreuth, wo ich Wagners \'Fliegenden Holländer\' inszenierte.» Von da an folgte für Kupfer national wie international Engagement auf Engagement.

Zwischen seinen internationalen Arbeiten kehrte er immer wieder nach Ost-Berlin zurück. «Berlin und die Komische Oper sind meine Heimat. Und außerdem war diese letzte Phase der DDR die kulturpolitisch und künstlerisch fruchtbarste Zeit», sagt er. Man habe das Publikum damals nicht unterhalten müssen, sondern «man konnte provozieren». Die noch so kleinste Anspielung sei vom Publikum damals verstanden worden. «Man musste nur aufpassen, wie bestimmte Dinge verschlüsselt werden, damit das Stück nicht vor der Generalprobe verboten wurde», sagt Kupfer.

Wer geschickt gewesen sei, habe die Drangsalierung durch die Politik durchaus unterlaufen können. «Gehen oder bleiben - diese Frage hat sich für mich nie gestellt.» Der westliche Kulturbetrieb, bei dem es mehr um Event als um Inhalte gegangen sei, habe ihm nicht gefallen. «Warum sollte ich für Luxus weggehen, wo es mir in der Arbeit so gut ging?»

Zurückschauen mag Kupfer auch zu seinem 70. nicht gerne. «Wenn eine Neuinszenierung erst mal auf der Bühne ist, dann langweilt sie mich», sagt er. Ungefähr 210 Inszenierungen sind es, die er im Laufe seines Lebens auf die Bühnen gebracht hat. «Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Wagner sind die beiden Eckpfeiler, die mir am liebsten waren.» Manche Wagner- und Mozart-Opern hat er bis zu fünf Mal neu interpretiert. «Vor allem Mozart hat es mir angetan. Wenn man den ein paar Jahre nicht angerührt hat, kann man ihn wieder völlig neu lesen», sagt er. «Das ist so subtil und genial gearbeitet - da stehe ich immer wieder vor einem Wunder.»

Doch mehr als zwei Opernproduktionen pro Jahr will er künftig nicht mehr machen. Dem heutigen Opernbetrieb steht er zunehmend kritisch gegenüber. «Heute spielt doch nur noch eine Rolle, ob die Hosen runtergehn, dass Sex auf der Bühne ist und dass Schweinereien passieren», sagt er. Dagegen gehe er «mit Feuer und Schwert» an.

Kupfers neue große Liebe ist das Musical. «Oper hat doch sehr viel Konservatives, die Sänger müssen den Kapellmeister sehen und können nicht nach hinten singen.» Beim Musical sei das anders. «Die jungen Leute sind trainiert, können singen, tanzen, spielen. Da kann man alles machen, man ist frei in seiner Fantasie», ist Kupfer begeistert. Schauspiel dagegen habe ihn als Regisseur nie interessiert. «Mir fällt ohne Musik nichts ein», sagt er.

Angelika Rausch