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Karlheinz Stockhausen wird 75

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Wahrhaft abgehoben mit «Helikopter-Streichquartett» - Karlheinz Stockhausen, Papst der Neutöner, wird 75 Jahre alt

München (ddp). Es ist schon ein merkwürdiges Geburtstagsständchen, das da zu Ehren des Meisters zur Aufführung gelangt: Vier Helikopter erheben sich in die Lüfte, kreisen über dem Salzburger Flughafen. An Bord: jeweils ein Mitspieler eines Streichquartetts. Die Klänge der Saiteninstrumente vermischen sich mit dem Rotorengeknatter zu einer fremdartigen Performance, der das Publikum per elektronischer Übermittlung in Hangar 7, einer futuristischen Ausstellungshalle auf dem Flughafengelände, lauschen darf. Schöpfer des abgehobenen «Helikopter-Streichquartetts» ist Karlheinz Stockhausen, einer der radikalsten Köpfe der zeitgenössischen Musik. Der Papst der Neutöner wird am 22. August, dem Tag der Aufführung seines Quartetts im Rahmen der Salzburger Festspiele, 75 Jahre alt.

Stockhausen ist so etwas wie ein Synonym für die musikalische Avantgarde des 20. und 21. Jahrhunderts, für einen Komponisten, der, einem Entdecker gleich, in neue, nie gehörte Klangwelten vorstößt. Wie kaum ein anderer verkörpert er die konsequente Abkehr von den Hörgewohnheiten, den Kompositions- und Rezeptionstraditionen der Vergangenheit. Stockhausen selbst sieht sich nicht nur als Klangerfinder und Schöpfer kühner musikalischer Prozesse, sondern auch als «akustischen Forscher, der die »kosmischen Gesetze« erkennt und immer wieder »anders neu« zu formulieren sucht.

Der Weg des Künstlers zu weltweitem Ruhm begann in den 50er Jahren. Damals machte er bei den legendären Internationalen Ferienkursen für neue Musik in Darmstadt mit radikalen Konstruktionen »punktueller Musik« auf sich aufmerksam. Zusammen mit Luigi Nono und Pierre Boulez, den er bei seinem Pariser Lehrer Olivier Messiaen kennen gelernt hatte, bildete er ein viel beachtetes »Dreigestirn« der musikalischen Revolution.

1953 wurde Stockhausen, der aus einem kleinen Ort bei Köln stammt, Mitarbeiter, später Leiter des Studios für elektronische Musik des Nordwestdeutschen Rundfunks, des heutigen Westdeutschen Rundfunks (WDR). Zwischen 1953 und 1956 entstanden seine ersten, bahnbrechenden Kompositionen elektronischer Musik. In den Augen mancher Techno-Musiker ist er seither so etwas wie der geistigen Väter dieser Popmusikrichtung.

Seine Hinwendung zu »intuitiver« und »kosmischer« Musik brachte Stockhausen in den späten sechziger Jahren harsche Kritik von Verfechtern der politisch bewegten Avantgarde ein. Eine Kritik, die bis heute noch nicht ganz verstummt ist. Wesentlich für Stockhausens Übergang zu einer meditativ-mystischen Kompositionsweise war seine Begegnung mit Ostasien, mit Japan und dem Zen-Buddhismus. »Das Essenzielle meiner Musik ist immer religiös und spirituell, das technische ist nur Erläuterung«, formulierte Stockhausen einmal sein musikalisch-philosophisches Credo.

Seit den 70er Jahren ging Stockhausen dazu über, nicht nur den musikalischen Ablauf seiner Kompositionen zu fixieren, sondern auch die Gestik der Interpreten festzulegen. Wegweisend sollte hier seine Mammut-Komposition »Licht« werden, an der er 1977 bis 2003 gearbeitet hat. Die Vertonung aller sieben Tage der Woche, die auch auf die Schöpfungsgeschichte verweist, ist ein modernes Gesamtkunstwerk, das alle Elemente seines musikalisch-theatralischen Werkes miteinander verbinden soll. Ein »alles Irdische transzendierendes Welttheater«, wie »Die Zeit« schrieb.

So ist die zweite Szene von »Sonntag« aus »Licht« mit dem Titel »Engel - Prozessionen« ein A-cappella Stück in sieben Sprachen, die für die sieben größten Bevölkerungsgruppen stehen sollen. Das Werk wird von einem Chor gesungen, der um das Publikum herum verteilt ist. Die Sänger bewegen sich in einer Prozession durch kreuzförmige Gänge im Saal auf die Mitte zu, wo sie Blumen zu einem »Blumenberg« aufschichten. Auch Stockhausens »Helikopter-Streichquartett« ist Teil des »Licht«-Zyklus, wie seine neueste Komposition »Düfte - Zeichen«. Das Werk kommt im Rahmen der Avantgardereihe Salzburg Passagen am 29. August auf der Perner-Insel in Hallein zur Uraufführung.

Stockhausen hat aber nicht nur durch seine musikalisch-theatralischen Schöpfungen Aufsehen und Widerspruch erregt, sondern auch durch gelegentliche politische Äußerungen. Für einen Eklat sorgte er, als er anlässlich des Hamburger Musikfestes 2001 die Terroranschläge von New York und Washington als »das größte Kunstwerk Luzifers" bezeichnete. Stockhausen fand für seine Einlassungen, selbst wenn sie in erster Linie künstlerisch-ästhetisch gemeint waren, nur wenige Fürsprecher.

Georg Etscheit