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Berlin (ddp). Als 1968, auf dem Höhepunkt der linken Studentenproteste, Hans Werner Henzes Oratorium «Das Floß der Medusa» uraufgeführt werden sollte, kam es zum Tumult. Das dem Revolutionär Che Guevara gewidmete Werk wurde nach wütenden Protesten des Hamburger Publikums einfach abgebrochen. Der deutsche Musikbetrieb machte fortan einen Bogen um den bekennenden Linken Henze.
Er galt als «politischer Musiker». Erst fast zehn Jahre später setzte seine langsame Rehabilitierung ein, und seitdem gilt Henze als der meistgespielte lebende Opernkomponist sowie führende Sinfoniker seiner Generation. Auch in Hamburg wurde schließlich 2001 sein «Medusa»-Oratorium vom Publikum gefeiert. Am Samstag begeht der gebürtige Westfale mit Wohnsitz in Italien seinen 80. Geburtstag.
Henze wurde am 1. Juli 1926 in Gütersloh als ältestes von sechs Kindern eines Lehrers und einer Büroangestellten geboren. Bis zum Frühjahr 1943 besuchte Henze das Gymnasium in Bielefeld und begann mit zwölf Jahren, erste Klavierstücke zu komponieren. Nachdem er die Schule wegen schlechter Leistungen vorzeitig verlassen hatte, studierte er an der Staatsmusikschule Braunschweig Klavier, Schlagzeug und Musiktheorie. Zu Beginn der 50er Jahre verließ Henze Deutschland und lebt seitdem an verschiedenen Orten in Italien.
Nach mehreren musikalischen Stationen debütierte er 1952 in Hannover mit seiner Oper «Boulevard Solitude» und avancierte zu einem der bedeutendsten Opernkomponisten seiner Zeit. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit der Oper «Der junge Lord», die in Zusammenarbeit mit seiner engen Freundin, der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, entstanden war. Die schwierige Beziehung des bekennenden Homosexuellen Henze zu der exzentrischen Dichterin wurde in ihrem ganzen Ausmaß vor zwei Jahren durch die Veröffentlichung des berührenden Briefwechsels der beiden bekannt.
Mit der Uraufführung der «Bassariden» 1966 bekannte sich Henze deutlich zur politischen Verantwortung des Künstlers. Er betätigte sich fortan als Wahlhelfer der SPD, beteiligte sich an Aktivitäten der studentischen APO und arbeitete im DDR-Komponistenkollektiv mit. Musikalisch jedoch blieb Henze auch nach fast fünf Jahrzehnten künstlerischen Schaffens ein Außenseiter: Den Opernabonnenten war er zu schrill, und der Avantgarde komponierte er zu populistisch. «Von Anfang an hatte ich Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang», lautet sein künstlerisches Credo.
Neben dem Komponieren liegen Henze auch die Vermittlung und das Verstehen moderner Musik besonders am Herzen. Mehrere Jahre lang war er künstlerischer Direktor eines von ihm in Montepulciano ins Leben gerufenen Musikfestes. Nach Auseinandersetzungen mit dem Rat der Stadt trat er 1992 von der Leitung zurück. 1988 rief Henze die Münchner Biennale für Neues Musiktheater ins Leben, deren Leitung er 1998 an Peter Ruzicka abgab, und in Gütersloh gründete er die «Sommerakademie für junge Künstler».
Eigentlich sollte «L\'Upupa und der Triumph der Sohnesliebe» der Abschied Henzes von der Opernbühne sein. Seine zwölfte Oper sei auch seine letzte, hatte er angekündigt. Der Erfolg, den er bei der Uraufführung 2003 in Salzburg feiern konnte, war triumphal. Doch jetzt können sich alle Henze-Fans freuen, denn derzeit arbeitet der Meister an einem neuen Werk für die Staatsoper Unter den Linden in Berlin. «Phädra» soll Ende 2007 uraufgeführt werden. Phädra ist in der griechischen Mythologie die Frau des Helden Theseus, die sich in ihren Stiefsohn verliebte und Selbstmord beging. Doch zuvor wird Ende August die Neufassung seiner Erfolgsoper «Das verratene Meer» in japanischer Sprache in Berlin aufgeführt.
Angelika Rausch