Reaktionen wie «Hätte ich nicht gedacht» oder «Kann ich mir nicht vorstellen» hört Katharina Stiebing oft, wenn sie erzählt, welcher Tätigkeit sie neben ihrem Studium der Geschichte und Schulmusik nachgeht. Während sich andere in ihrem Alter - sie ist 26 - mit Babysitten oder bei McDonald's etwas zum BAföG hinzuverdienen, schwingt sie den Taktstock und leitet gleich zwei Klangkörper: das Junge Orchester Oberhausen und das Rheinische Orchester Duisburg.
«Musik ist immer das Hobby meiner Eltern gewesen», erinnert sich die junge Dirigentin, die im Taunus aufwuchs. «Es begann mit Blockflötenunterricht, dann hatte ich Klavierunterricht. In der Schule haben wir Musicals aufgeführt», beschreibt sie die ersten Stationen ihrer musikalischen Laufbahn. Es folgten der Besuch des Frankfurter Konservatoriums, schließlich das Studium an der Essener Folkwangschule. «Musik ist neben Sprache und Tanz das stärkste Ausdrucksmittel. Sie spricht unmittelbar die Emotionen an, wirkt direkt auf die Seele ein. Sie schafft Gemeinschaft und Verbundenheit», schildert Stiebing die Bedeutung der Musik für sie. «Musik kann meine Stimmung total verändern. Traurige Stücke tun mir weh.»
Dirigentinnen sind nicht nur im deutschen Konzertbetrieb rar. Stiebing erinnert sich an ein Schlüsselerlebnis für ihren Werdegang: «Dirigierunterricht ist ein Teil des Studiums. Ich habe da Einblicke bekommen, die mich noch heute faszinieren.» Sie wurde Assistentin des Dirigenten und Dozenten Oliver Leo Schmidt - der 2009 den Herbert-von-Karajan-Preis erhielt - und «dann hab ich mal vor seinem Orchester gestanden und ein Stück dirigiert». Da war es um sie geschehen: «Das war ein Erlebnis, da wusste ich, das muss weitergehen.» Werke von Beethoven, Händel, Grieg, Tschaikowsky und Debussy hat sie unter anderen mit ihren beiden Orchestern einstudiert und zur Aufführung gebracht.
Einem Außenstehenden gegenüber sei es nicht so leicht zu beschreiben, worin die Faszination des Dirigierens bestehe. «Der Dirigent interpretiert die Partitur und führt die Musiker, die alle auch eine Interpretation haben, zu einer gemeinsamen Interpretation zusammen», sagt sie. «Es ist ein Geben und Nehmen. Ich gebe, das Orchester nimmt auf, gibt zurück. Das ist ein unheimlich interessanter Prozess. Der Idealfall ist, dass alle am Ende das Instrument sinken lassen und gemeinsam erfüllt aufatmen.» Mit wenigen energischen Bewegungen der Hände und wachem Gesicht deutet sie an, wie das geht, die Aufmerksamkeit von dreißig und mehr Musikern auf sich zu ziehen. Stiebing betont, dass «die herausgehobene Position als Dirigentin keine Rolle für mich spielt». Im Gegenteil: «Ich bin froh, dem Publikum den Rücken zuzukehren. Ich bin kein Solist, mag das nicht.»
Manchmal, wenn es «nicht läuft», ist sie auch «durchaus von Panik ergriffen. Aber wenn ich dann höre: Jeder gibt sich Mühe und dann die Musik, die daraus hervorgeht, das ist einfach schön». Volker Buchloh, der Leiter der Städtischen Musikschule Oberhausen, bei der das Junge Orchester angesiedelt ist, hält mit seiner Begeisterung über Stiebing nicht hinterm Berg. «Glücklich, sie als Orchesterleiterin zu haben», rühmt er ihre Kompetenz und Professionalität. «Eine tolle Arbeit. Und weil sie selbst sehr jung ist, kann sie klassische Musik gerade jüngeren Menschen sehr authentisch nahebringen.» Steht da das Dirigieren als Hauptberuf schon fest? Stiebing gibt sich zurückhaltend: «Ich bin keine der Künstlernaturen, die von Luft und Brot leben können, brauche schon Planung in meinem Leben. Ohne Musik geht es sicher nicht. Aber hauptberuflich? Mal schauen.»