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Erkenntnis durch Musik - Erinnerung an Sergiu Celibidache - Vor zehn Jahren starb der große «Klangmagier»
München (ddp-bay). In seinen letzten Lebensjahren hatte Sergiu Celibidache immer gebrechlicher gewirkt. Nur mit Mühe gelang es ihm noch, das Dirigentenpodium in der Philharmonie im Münchner Gasteig zu erklimmen. Oben angekommen, ließ er sich langsam und schwer in einen Spezialstuhl fallen. Seine Gesten mit dem Dirigentenstab waren zum Ende nur noch kleine Zeichen, die im Orchester aber größte Wirkung entfalten konnten. Der Tod des 88 Jahre alten «Klangmagiers» am 14. August 1996, der wie kaum ein zweiter das Münchner Musikleben geprägt hat, kam schließlich aber doch überraschend. Seither ist das Andenken an ihn nicht erloschen.
Für die Pflege seines Erbes war 1999 in München die «Sergiu-Celibidache-Stiftung» ins Leben gerufen worden. Sie veranstaltete bislang zwei Celibidache-Festivals, begann mit dem Aufbau eines Archivs und finanzierte Aktivitäten der Celibidache-Gemeinde europaweit. Mittlerweile ist die Stiftung jedoch pleite, die Anschubfinanzierung der Familie Celibidache aus Schallplattenerlösen ist aufgebraucht. «Wir müssen unsere Strukturen jetzt komplett auf ehrenamtliche Arbeit umstellen», sagt Celibidache-Schüler und Stiftungsintendant Mark Mast und wirbt um Spenden und Zustiftungen.
Obwohl aus Rumänien stammend, war «Celi» einer der letzten großen Dirigenten, welche die alte deutsche Klangtradition hoch hielten: dunkle Grundierung, solides Bassfundament, weicher Bläsereinsatz. Die Knalleffekte etwa US-amerikanischer Klangkörper mit zackigem Blech und einer zuweilen oberflächlich anmutenden Brillanz waren ihm zuwider. Er war der «große Unzeitgemäße», urteilte ein Kritiker der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und mit seiner kompromisslosen Haltung gegenüber den Vermarktungsstrategien der Musikindustrie ein «Pfahl im Fleische der Musikkultur».
Sein Handwerk hatte Celibidache unter anderem bei Wilhelm Furtwängler gelernt. Kurz nach dem Krieg, als Furtwängler noch nicht entnazifiziert war, übernahm er die Berliner Philharmoniker und führte sie mit seinem überschäumenden Temperament und seinem Charisma zu Höchstleistungen. Das Publikum war begeistert von dem jungen Feuerkopf mit den schwarzen Korkenzieherlocken; viele Musiker fürchteten seine Wutausbrüche. Legendär waren seine Ausfälle gegen Dirigentenkollegen und das Medium Schallplatte. Gegen die «tönenden Pfannkuchen» empfand er eine tiefe Abneigung. Celis Repertoire galt als relativ klein. Den Komponisten Gustav Mahler etwa mied er, weil der, wie er sagte, nicht habe komponieren können. Opern dirigierte er nie.
Celibidache übergab Furtwängler 1952 ein Orchester in Bestform. Dass nach Furtwänglers Tod Herbert von Karajan statt seiner zum neuen Chef der Berliner Philharmoniker gewählt wurde, blieb zeitlebens ein Stachel in seinem Fleisch. Seither mied er die Musikhauptstädte Berlin und Wien und leitete zuweilen zweitklassige Orchester, die freilich unter seiner Stabführung zu ungeahnten Leistungen imstande waren. Erst 1961 verband er sich wieder für längere Zeit mit dem Schwedischen Radiosymphonieorchester, danach mit dem Stuttgarter Radiosymphonieorchester.
Als er 1979 die Leitung der Münchner Philharmoniker übernahm, hielt die Musikwelt gespannt den Atem an. In den 17 Jahren unter seiner Leitung entwickelte sich das etwas behäbige Orchester zu einem Klangkörper von Weltrang. Berühmt waren vor allem seine Brahms- und Bruckner-Interpretationen. Zahlreiche triumphale Konzertreisen brachten ihm auch im Ausland den Ruf eines «Musikgurus» ein. Umstritten bis zuletzt waren seine breiten Tempi, durch die Bruckner-Sinfonien zu andachtsvollen Weihestunden wurden.
Viel Wert legte Celibidache auf die Ausbildung des musikalischen Nachwuchses. An der Mainzer Universität hielt Celibidache, der auch Mathematik und Philosophie studiert hatte, Seminare über seine Theorie der «musikalischen Phänomenologie». Musik war für ihn mehr als ein Klangerlebnis, sondern Quelle der Erkenntnis: «Das Wesen der Musik ist Wahrheit», sagte er einmal. Um sich herum scharte er einen ergebenen Kreis von Nachwuchsdirigenten, denen allerdings meist eine internationale Karriere verwehrt blieb. Viele Kurse hielt er auch in seinem privaten Wohnsitz, einer alten Mühle in Neuville-sur-Essonne bei Paris, wo er schließlich seine letzte Ruhestätte fand.
Auch als Komponist war Celibidache hervorgetreten, hielt aber selbst nicht viel von seinen diesbezüglichen Leistungen. Zu seinem zehnten Todestag wird im Herkulessaal der Münchner Residenz von der Jungen Münchner Philharmonie unter Mark Mast seine Komposition «Der Taschengarten» aufgeführt. Das Stück hatte Celibidache 1979 für die UNICEF ausnahmsweise einmal auf Schallplatte eingespielt; im Konzert erklang es noch nicht.
Georg Etscheit
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