Wenigstens hat er inzwischen einen Schreibtisch. Der neue Geschäftsführer des Bundesjugendorchesters, Volker Spicker, lebt noch immer ein wenig provisorisch in der Berliner Dépendance des Deutschen Musikrates. Aber das gibt sich nach und nach – und immerhin arbeitet er mitten im Zentrum der Bundeshauptstadt. Zur Friedrichstraße und Unter den Linden ist es nur ein Katzensprung, und die Mittagspause kann er schmökernd im Kulturkaufhaus Dussmann verbringen.
Wenigstens hat er inzwischen einen Schreibtisch. Der neue Geschäftsführer des Bundesjugendorchesters, Volker Spicker, lebt noch immer ein wenig provisorisch in der Berliner Dépendance des Deutschen Musikrates. Aber das gibt sich nach und nach – und immerhin arbeitet er mitten im Zentrum der Bundeshauptstadt. Zur Friedrichstraße und Unter den Linden ist es nur ein Katzensprung, und die Mittagspause kann er schmökernd im Kulturkaufhaus Dussmann verbringen.Erst 32 Jahre jung ist der Musikwissenschaftler und -pädagoge, der seit Mai dieses Jahres für die Geschicke des deutschen Spitzennachwuchsorchesters verantwortlich ist. Sein Studium absolvierte er in Gießen, ein Promotions-Stipendium lehnte er ab, um zunächst einmal die Praxis auszuprobieren: Der hessische VdM bot ihm an, die vakante Stelle des Landesjugendorchester-Managers zu übernehmen. Also stürzte er sich in die organisatorische und pädagogische Arbeit. Die Promotionspläne sind aber noch nicht endgültig ad acta gelegt. Vielleicht gelingt es ihm ja im Ruhestand?Er selbst ist Pianist und konnte nie eigene Erfahrungen im Jugendorchester sammeln. Aber die Begeisterung für diese Art der Jugendarbeit hat ihn schon in Hessen schnell gepackt. Sein besonderes Interesse gilt der neuen Musik, und diesen Schwerpunkt möchte er auch im Zusammenhang mit der BJO-Arbeit ausbauen. In jedes Konzert des Orchesters gehöre mindestens ein Werk der zeitgenössischen Musik, und eine besondere pädagogische Aufgabe sei es, auch die Jugendlichen dafür zu begeistern.
Volker Spicker tritt das Erbe von Hans Timm an, dem langjährigen „Vater“ des BJO. So wie dieser sich die Übergabe vorgestellt hatte, klappte sie leider nicht. Frühzeitig hatte Hans Timm eine gemeinsame Arbeitsphase des alten und des neuen Geschäftsführers geplant, damit man gemeinsam den Ernstfall proben konnte. Stattdessen gab es einen Interims-Geschäftsführer, der schon nach einem Jahr das Handtuch warf, und der Neue musste – alleine – ins kalte Wasser springen. Die erste Bewährungsprobe war eine Konzert-Tournee durch Kroatien und Serbien im Sommer mit Mahlers Neunter. Aufführungsorte waren unter anderem Belgrad und Slawonski Brod, einer zwischen Serben und Kroaten geteilten Stadt. Im Anschluss an das Konzert gab es eine große Party, an der Jugendliche aus beiden Teilen der Stadt teilnahmen: bewegend für alle, die dabei waren.
Bewegend war auch die zweite Aufgabe des neuen Geschäftsführers, die auf dem Fuße folgte. Hier konnte er sich gleich bei einem der wichtigsten Partner des BJO, der Deutschen Stiftung Musikleben, bewähren. Als Reaktion auf die New Yorker Terroranschläge plante diese ein Benefiz-Konzert für die Kinder der Opfer. Innerhalb von nur einer Woche galt es, zirka hundert Jugendliche zusammenzurufen, nach Berlin zu holen und sie vor einem Publikum von 1.000 Menschen spielen zu lassen. Und es gelang, das Orchester fast komplett in der Originalbesetzung vom Sommer zu präsentieren. Jeder, der einmal ein Jugendorchester gemanagt hat, weiß, was das bedeutet! Dieses Erlebnis zeigte im Übrigen auch, wie viel es den jungen Musikern bedeutete, ihre eigene Betroffenheit kundzutun.
Zusammen mit seinem Kollegen vom Dirigentenforum sitzt Volker Spicker in Berlin weit weg vom Musikrat: von der Bonner Zentrale ebenso wie von der “Jugend musiziert”-Filiale in München. Die räumliche Trennung von “Jugend musiziert” bedeute aber keine inhaltliche Entfernung, so der Geschäftsführer. Nach wie vor ist das BJO als Anschlussmaßnahme an den Wettbewerb zu verstehen, erfolgreiche Preisträger sollen bevorzugt zu Probespielen oder Arbeitsphasen eingeladen werden. Die Trennung von der Zentrale ist jedoch durchaus zu spüren. Als Berliner Musikratsbüro werden die Räumlichkeiten in der Georgenstraße kaum genutzt. Kollegen und Vorgesetzte sieht er selten, hat sie zum Teil noch gar nicht kennen gelernt. Ob das für eine einheitliche Präsentation der Musikrats-Arbeit nach außen und die gemeinsame Lobby-Arbeit für die Musik hilfreich ist, sei dahingestellt. Die Einbindung in den DMR habe er bisher nur über den Präsidenten erlebt, „der voll und ganz hinter dem Projekt steht und mich in jeder Hinsicht unterstützt“. Immerhin hat der Berliner Standpunkt unbedingt Vorteile: die Wege zu den Förderquellen sind kurz, man lernt die zuständigen Personen schneller kennen und kann sich kurzfristig mit ihnen treffen.
Die Finanzen sind ein eigenes Kapitel beim BJO. Schon in seinen ersten Monaten hat Volker Spicker das schmerzhaft zu spüren bekommen. Die sommerliche Balkan-Tournee stand aufgrund der unsicheren Finanzierung kurz vor der Absage. Grund: Die Mittel des Bundes für das BJO reichen allenfalls für die Grundfinanzierung der Geschäftsstelle. Der wichtigste Förderer des Orchesters, die Deutsche Stiftung Musikleben, war dabei, ihre Zusammenarbeit mit DMR und BJO zu überdenken. Ohne deren Gelder aber ginge gar nichts mehr. Unter dem Vorbehalt, dass die Zusammenarbeit mit dem neuen Geschäftsführer gut funktioniere, wurde dann die Entscheidung für das Orchester getroffen.
Dass die Kooperation mit der Stiftung in der Vergangenheit auch Konflikte in sich barg, ist kein Geheimnis. Spicker hat die bisherigen gemeinsamen Projekte jedoch positiv erlebt. Konstruktive Vorschläge paarten sich mit einer Zurückhaltung in inhaltlichen Fragen. Letztere allerdings ist Bedingung für eine gute Jugendorchesterarbeit, die künstlerische und pädagogische Aspekte beinhaltet und über mehrere Arbeitsphasen hinweg eine erkennbare Linie verfolgt. Dass ein Sponsor nicht die Programme bestimmen darf, ist auch die Meinung des neuen Managers.
Inzwischen gibt es eine Vereinbarung zwischen der Stiftung und dem Musikrat, in der viele der problematischen Punkte geklärt wurden. Aufgrund dieser Vereinbarung verfügt das BJO über eine gewisse Planungssicherheit, auch wenn es mit den vorhandenen Mitteln „keine großen Sprünge“ machen kann. Volker Spicker ist aber überzeugt, dass man mit guten Ideen und außergewöhnlichen Projekten auch Sponsoren überzeugen und zur Unterstützung bewegen kann.
Ein Highlight in Planung ist das gemeinsame Projekt mit dem Bundesjazzorchester anlässlich des Musikrats-Jubiläums im Jahr 2003. Gunther Schuller soll eigens für die beiden Ensembles ein Stück schreiben. Und welches sind die Ziele eines Bundesjugendorchesters? In erster Linie, so Spicker, soll hoch begabten Nachwuchsmusikern eine professionelle Plattform geboten werden. Dirigenten, Dozenten, Werke, Projekte entsprechen dem Niveau der Jugendlichen. Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen an die Musiker und der Musiker an sich selbst. In ihren Ansprüchen gleichen sie auf erstaunliche Weise professionellen Orchestermusikern. Die Gemeinsamkeiten hören allerdings auf, wenn es um die Probenbereitschaft geht: „Die sind einfach nicht kleinzukriegen“. Und wenn die letzte abendliche Tutti-Probe beendet ist, geht es mit Kammermusik erst richtig los.
Was gibt es noch zu sagen über Volker Spicker und „sein“ BJO? „Dass es ein fantastisches Orchester ist und ich total begeistert bin. Im Sommer habe ich mir in vielen Proben und zwölf Konzerten Mahlers Neunte angehört. Ich war gespannt, wir mir das gefällt. Aber es war keine Sekunde langweilig.“