Sehen Sie sich selbst als Repräsentant einer Bewegung, die die starke Unterscheidung Wissenschaft/Kunst, wie sie in der Moderne in der Disziplin der Ästhetik gilt, immer stärker aufweicht?
Mit treffenden Analysen, markiger Polemik und fordernder Neuer Musik gleichermaßen mischt Claus-Steffen Mahnkopf die Musikszene auf. Aufgrund seiner breiten Ausbildung und seiner vielfältigen Interessen ist Mahnkopf in der Lage, sich auf dem Gebiet der Kunst wie dem der kritisch begleitenden Reflektion zu äußern: Komposition studierte er bei Klaus Huber und Emmanuel Nunes, das Philosophieexamen legte er bei Jürgen Habermas ab. Von seinem theoretischen Engagement zeugen einige Veröffentlichungen, besonders in der Zeitschrift „Musik & Ästhetik“, deren Herausgeber er seit 1995 ist. Seine neues-te kompositorische Arbeit, das Musiktheaterprojekt „Angelus Novus“ in Zusammenarbeit mit Taygun Nowbary wurde soeben während der Münchener Biennale uraufgeführt. Das Gespräch führte Michael Bastian Weiß. nmz: Sehen Sie sich selbst als Repräsentant einer Bewegung, die die starke Unterscheidung Wissenschaft/Kunst, wie sie in der Moderne in der Disziplin der Ästhetik gilt, immer stärker aufweicht? >Claus-Steffen Mahnkopf: In den letzten 20 Jahren, im postmodernen Diskurs, war die Verbindung von Philosophie und Kunst so stark wie nie zuvor. Aber bis heute bleibt musikphilosophische Arbeit aus. Die wenigen großen modernen Komponisten werden mit unglaublicher Verspätung rezipiert, dann aber sozusagen als Heilige, wodurch der Geniekult des 19. Jahrhunderts fortgesetzt wird. Das ganze Bild vom Komponisten, vom Urheber, ist anachronistisch. Man verehrt in anderen Künsten zwar ebenfalls gewisse Personen, aber als Menschen mit einer gewissen politischen Überzeugung, einer Heimat, nicht als irgendein Genie, das die Töne ordnet, ohne dass wir wissen, warum. Es fehlt die Selbstverständlichkeit, eine lebendige Diskussion über Neue Musik zu führen.Gut, aber Musik ist auch das, was uns sehr stark umgibt, und man müsste sie konsequenterweise auch in einem geistigen Diskurs präsent machen. Andererseits machen auch wir Komponisten nicht wenig falsch, und das ist ein Teufelskreis: Auf der einen Seite herrschen Selbstgefälligkeit und Arroganz der Funktionäre, wo immer sie tätig sein mögen. Andererseits glaubten die Komponisten ja früher sowieso, sie hätten Wahrheit und Fortschritt gepachtet und das Pub-likum würde ohnehin erst viel später beginnen zu verstehen. Komponisten sind ja auch Musiker, und die sind selbstgenügsam, wollen musizieren, und das reicht ihnen dann mitunter. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar hocheloquente Persönlichkeiten, Boulez, Stockhausen, Kagel, Schnebel, in den letzten 20 Jahren hingegen hat das deutlich abgenommen.
Aber einen breiten theoretisch-praktischen Austausch, wie er etwa zwischen der „postmodernen“ Architektur und Jacques Derrida gepflegt wird, gab es in der Musik auch damals kaum. Den Komponisten scheint der Diskurs, der hier geführt wird, nicht vertraut zu sein.Damit muss man eben anfangen. Unter anderem deswegen wurde in Freiburg die Zeitschrift „Musik und Ästhetik“ gegründet, um diese Diskussion systematisch aufzubauen, um die entsprechenden Leute zusammenzuführen. Dem steht natürlich vieles entgegen: Die Verlage sind zur Unterstützung kaum bereit, das allgemeine Feuilleton senkt eher sein Niveau, das Wissenschaftssystem ist darauf kaum ansprechbar.
Wie könnte denn ein Einsickern von theoretischer Reflexion in das kompositorische Material konkret aussehen? Wie findet das in Ihrer Arbeit statt?Nehmen Sie das Verhältnis von Dialektik und deren mittelbarem Nachfolgeprojekt, der französischen Dekonstruktion; da besteht fast so etwas wie ein Fortsetzungsverhältnis, wenn auch mit Brüchen. Dass Ausdruck und Konstruktion zusammenfallen, gehörte zum idealistischen Erbe bei Adorno; das gilt für Schönberg, in fast didaktischer Weise bei Webern, und man könnte es auch über Feldman sagen.
Aber im Serialismus brechen die Dimensionen auseinander. Man ist also nun an einem Punkt, an dem man an diese Dialektik nicht mehr so recht glauben kann. Ich habe am Anfang noch daran geglaubt; nachdem ich langsam merkte, wie erweiterungsbedürftig Dialektik ist, eröffneten sich unglaublich viele Fragen, etwa: Was sagt das über den Bewusstseinsstand aus, über das Material?
Bemerkt man davon etwas in „Angelus Novus“?Ja, in der Zweiten Kammersymphonie habe ich das erste Mal konsequent das Moment des Dekonstruierens angewendet: bewusstes Einbauen von Brüchen auf der strukturellen, nicht nur phänomenalen Ebene, die dann ein riesiges Netz von Ungereimtheiten und Widersprüchen erzeugen. Das hätte ich nicht so machen können, wenn ich das nicht auch theoretisch vorher klar durchdacht hätte. Jetzt lerne ich von den Ergebnissen und merke, dass das erst der Anfang ist.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass diese Widersprüche in „Angelus Novus“ noch innerhalb einer musiksprachlichen Einheit stattfinden. Zur Bühnenarbeit Taygun Nowbarys hingegen stellen sich kaum Korrespondenzen her. War diese Heterogenität geplant?Ja. In dem Arbeitsprozess seit 1996 einigten Nowbary und ich uns, ein Musiktheater im Geiste Walter Benjamins zu machen, aber keine Oper. Eine Aktualisierung der Geschichte für das Jahr 2000. Wir waren uns einig, dass das nur als Montage, nicht als „Gesamtkunstwerk“ überzeugend sein kann. Den Text Benjamins galt es in diesem Sinne für das Jetzt und Hier zu konkretisieren.
Woher rührt die Einheit Ihrer Musik? Sie wirkt zwar stets nervös, sprunghaft, aber doch bei allem Kontrastreichtum homogen. Sie wenden sich ja auch gegen das falsch verstandene postmoderne „Anything goes“.Ich habe die Postmoderne Anfang der 80er-Jahre – nach dem Motto „Jetzt sind wir alle ganz tolerant“ – als unglaublich verlogen erlebt. Die Funktionäre der Kunstszene sind doch genauso knallhart, ungerecht und unmenschlich wie vorher auch. Die Kunstszene ist ein Kampf aller gegen aller, da hat sich überhaupt nichts geändert. – Ich möchte meine persönliche Sprache sprechen, weil man doch Musiker ist und aus der klassischen Tradition kommt. Man überzeugt die Hörer damit eher als mit „Musik über Musik“. Ich glaube, dass man die eigentlichen Probleme von innen heraus lösen muss.
Darin liegt aber ein Widerspruch: Sie wenden sich gegen den Geniekult des 19./20. Jahrhunderts, bestehen jedoch auf dieser personalstilistischen Einheit.Im 20. Jahrhundert gibt es nur noch Personalstile. Wenn ich mich gegen den Geniekult ausspreche, dann deshalb, weil man der Person oft etwas Übermenschliches, Transzendentes andichtet. Manche Komponisten glauben freilich auch selbst daran. Ich halte das für verlogen. Vielleicht kann man diese Komponisten gesellschaftlich nicht anders denn als sogenannte Lichtgestalten ertragen.
Sie kritisieren ja auch, dass die Postmoderne das Problem einer „Verknüpfungslogik“ nicht gelöst habe. Können Sie Ihre Lösung skizzieren?Da hat sich seit Beethoven und Schönberg nicht viel geändert: Man muss einfach eine Sache durchkomponieren, und zwar mit dem Material, das man hat, also im meinem Fall dem Komponieren mit dem komplexis-tischen Material wie etwa Achteltönen oder mit den beschriebenen Widersprüchen. Das ist eine experimentelle Anordnung, in der die Sache selbst zu lösen ist. Was übrig bleibt, ist das, was man den Hindernissen der Zeit abgerungen hat.
Auch gegen das Werk?Ich würde sagen: im Werk. Interview: Michael Bastian Weiß
- Illuminations du brouillard I–III; Die Schlangen der Medusa; succolarity; Rhizom; Solitude-Nocturne; Mikrotomie; différance II; verschiedene Interpreten; Mitschnitte zweier Konzerte 1994/95; Baldreit-Edition Baden-Baden 1995
- Buchveröffentlichung: Am Beginn des 21. Jahrhunderts. Ist die Musik noch ein Spiegel des Menschen?; veröffentlicht von der Deutschen Akademie – Villa Massimo Rom, 1998