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Der Gründer und Namensgeber ist legendär, sein Quartett währenddessen nicht weniger. Als er 1969, im Alter von 62 Jahren, das Raschèr Saxophone Quartet ins Leben rief hatte der Name Sigurd Manfred Raschèr (geb. 1907) schon einen bewährten Klang. Denn für ihn schrieben Jacques Ibert, Paul Hindemith, Alexander Glasunow, Da-rius Milhaud und viele andere ihre Kompositionen. Es führt infolgedessen nicht zu weit zu behaupten, daß es teilweise das persönliche Verdienst Sigurd Raschèrs ist, daß das Saxophon – dieser relativ junge Zweig im riesigen Wald der Instrumente – sich allmählich emanzipiert hat in der E-Musik. Im Mai feiert der Amerikaner schweizerischer Herkunft seinen 92sten Geburtstag; sein Quartett begeht im Moment das 30jährige Jubiläum.
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Der Gründer möge sich seines fortgeschrittenen Alters wegen inzwischen zurückgezogen haben, das Quartett fordert jedoch noch immer unermüdlich zu neuem Repertoire auf. Und gerade das wird durch die vier Bläser bis heute als die wichstigste Daseinsberechtigung angeführt. Zu Beginn gab es nur eine Handvoll „Qualitäts“-Quartette, doch die klägliche Anzahl wuchs in drei Jahrzehnten zu ansehnlicher Menge. Das Quartett selbst gibt keine Geldaufträge und trotzem haben viele Komponisten aus reinem Enthusiasmus für es geschrieben.
Mehr als 200 Kompositionen zählt die Ehrenliste, darunter Werke der Größten des ausgehenden Jahrhunderts, wie Luciano Berio, Franco Donatoni, Iannis Xenakis, Philip Glass, Sofia Gubaidulina, Tristan Keuris. Über 30 Nationalitäten sind in diesem Korpus vertreten. Über das Raschèr Saxophone Quartet zu berichten, heißt schreiben über große Zahlen.
Das Quartett hat sich als eine stabile Gemeinschaft erwiesen; in 30 Jahren gab es nur drei Personenwechsel. Als Nachfolger Sigurd Raschèrs wurde in den 80er Jahren John Edward Kelly berufen; vor gut neun Jahren nahm seinerseits Harry-Kinross White den Platz des Altsaxophonisten im Quartett ein. 1993 hat Kenneth Coons, Baritonsaxophon, Gründungsmitglied Linda Banks ersetzt.
Bis jetzt noch ungenannt sind die Mitglieder der ersten Stunde: Sopran-Saxophonistin Carina Raschèr – „die Tochter von“ – und Tenorist Bruce Weinberger. Alle sind amerikanische Staatsbürger, dennoch ist das deutsche Lörrach ihr Sprungbrett zu den Konzerthäusern der ganzen Welt. Gespielt wird von Amsterdam bis Atlanta, von Berlin, Basel, und Barcelona bis Boston, Jerusalem oder Helsinki.
Wo immer die vier Musiker auftreten, ständig rühmen die Kritiker ihre Spieltechnik, sowie das homogene und makellose Zusammenspiel. „Phänomenale Klangkultur“, „die ungekrönten Könige“, „ein Instrument mit vier Köpfen“, „umjubeltes Gastspiel“, lauteten einige Schlagzeilen. Das mag wohl kaum verwundern, wenn man vertraut ist mit den gründlichen Vorbereitungen, die einem Konzert des Raschèr Saxophone Quartet vorangehen – dennoch ist es eine glänzende Leistung, jahrein jahraus ein solches Niveau zu halten. Nicht umsonst bezeichnete die „Wiener Zeitung“ die Musiker als „eine Art La Salle Quartet des blasenden Fachs.“
Der Umstand, daß man einmal 18 Monate lang nur eine einzige Fuge Bachs einstudierte, illustriert wie gewissenhaft das Quartett hervorgeht. „Natürlich konnten wir diese Musik technisch schon am ersten Tag spielen“, erläutert Carina Raschèr. „Aber es dauerte anderthalb Jahre, um die Interpretation reifen zu lassen. Wenn wir Bach spielen, erleben wir eine heilende Wirkung.“
Gelegentlich wird neben der Neuen auch ältere Musik gespielt. Hierzu kommt fast nur Barockmusik in Betracht, weil die Komponisten jener Zeit, anders als in der Romantik, in bezug auf Besetzungen flexibel waren. Daß das Saxophon damals noch nicht existierte, ist für die Musiker kein Problem, doch es soll gesagt sein, daß die Transkriptionen ohne Ausnahme getreue Übersetzungen des Urtexts sind. „Das Raschèr Saxophone Quartet ist ein Way of life“, betont Bruce Weinberger. Es ist unmöglich, die Mitgliedschaft mit einer Solokarriere zu kombinieren. Nach 30 Jahren werden noch heute fast 20 Stunden pro Woche geprobt. Carina Raschèr hat ihre Solokarriere gehabt und mit dem Vater bereiste sie die ganze Welt. Das Quartettspielen ist für sie jedoch die wichtigste Form des Musizierens. „Man opfert einen Teil seiner musikalischen Persönlichkeit auf, um etwas zu kreieren, das viel größer ist, als die Addition der unterschiedlichen Talente.“ Das „Größere“ hat im Falle des Raschèr Saxophone Quartets sogar Weltklasse zur Folge. Und das schon seit drei Jahrzehnten. Kann sich Sigurd Raschèr ein noch schöneres Geschenk zum Geburtstag wünschen?