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Die Schnecke im Kopf? Komponist Moritz Eggert. Foto: Mara Eggert
Die Schnecke im Kopf? Komponist Moritz Eggert. Foto: Mara Eggert
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Keine Kindersärge, keine C-Dur-Idylle

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Der Komponist und Pianist Moritz Eggert · Von Andreas Kolb
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Es gab einen Großvater, der war Opernregisseur und Wagnerianer, und eine Urgroßmutter, die Pianistin war. Dass Moritz Eggert aus einer Musikerfamilie stammt, kann man deshalb jedoch nicht behaupten. Sein Vater war der Schriftsteller Herbert Heckmann, seine Mutter Mara Eggert, bei der er allein aufwuchs, Fotografin. Ihr Sujet: Musiker. Mara Eggert nahm ihren Sohn zu Konzerten von Miles Davis und anderen Stars mit, aber auch in die Frankfurter Oper. So schnupperte Eggert als Teenager in den 80er-Jahren bereits Theaterluft: zur Zeit als Michael Gielen in Frankfurt Opernchef war und Hans Neuenfels mit legendären Inszenierungen für Aufsehen sorgte. Eine der Nachwirkungen dieses Einflusses war diesen Juni in Mannheim zu erleben: Neuenfels inszenierte Eggerts Oper „Die Schnecke“ und hatte auch das Libretto geschrieben.

Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre dachte der 1965 geborene Pianist noch nicht ans Komponieren als Beruf und Passion, doch er stellte schnell fest, dass es neben dem Beethoven- und Chopin-Repertoire auch anderes Spannendes gab: etwa in Schulbands zu spielen, wo der hohe Mädchenanteil im Publikum die jungen Musiker anspornte. „Da merkte ich, dass es mir sehr viel Spass macht, für diese Bands zu schreiben, und diese Sachen dann auch aufzuschreiben. Daraus kam eine ganz natürliche Beschäftigung mit dem Notieren von Musik. Ich dachte, das macht man so, auch die klassischen Vorbilder Beethoven und Chopin waren in meinen Augen Pianisten, die komponiert haben.“

Zwischen seinem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr besuchte Eggert das Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt, wo er Klavierunterricht bei Wolfgang Wagenhäuser und Kompositionsunterricht bei Claus Kühnl erhielt. Kühnl hat Eggert als einen Lehrer mit einer außergewöhnlichen Begeisterungsfähigkeit in Erinnerung: „Das, was ihn selber interessiert hat an Neuer Musik, das hat er seinen Schülern auch überzeugend vermittelt.“ Neben seiner inneren Motivation führt Eggert sein Interesse an der Moderne auf diesen ersten Kompositionsunterricht zurück.

Als weiteren wichtigen Anreger nennt er Hans Ulrich Engelmann, der ihn an der Frankfurter Musikhochschule unterrichtete. 1986 geht er nach München zu Wilhelm Killmayer. Er zählt zu dessen letzten Studenten vor der Emeritierung und verdankt ihm wichtige Einflüsse. Heute ist er zur Hälfte als Pianist, zur anderen Hälfte als Komponist tätig. Obwohl Eggert beinahe alle Gattungen zwischen Kammermusik und Musiktheater bedient hat, so blieb die Klaviermusik immer eine besondere Herausforderung für ihn. Den offenen Klavierzyklus „Hämmerklavier“ begann er 1995 zu schreiben. Inzwischen ist er die populärste Komposition Eggerts, geradezu sein Markenzeichen. „ ‚Hämmerklavier’ entstand aus der Frustration, dass die Klavierstücke, die ich bis 1994 geschrieben hatte, geprägt waren von der Musik, die ich als Interpret gespielt hatte. Ich erkannte, dass ich bevor ich zu schreiben begann, ein viel klareres Konzept haben musste.“

Die ersten Hämmerklavierstücke waren kurze Charakterstücke, die sich zum Teil sehr obsessiv auf jeweils ein Thema konzentrierten. „Inzwischen sind die Stücke freier geworden, aber die ersten zehn hatten eine eigene Geschichte: Da wollte ich Performance-Elemente hineinbringen, Sachen machen, die ich noch nie gesehen hatte im Klavierkonzert, das Klavierspielen selber in Frage stellen.“ Einige Spielanweisungen mögen exemplarisch verdeutlichen, um was es Eggert geht:

„Hämmerklavier I“ (Schlagen auf Klavierrahmen), „Hämmerklavier III“ (Stampfen, Spielen mit Kinn, Aktionen im Flügel), „Hämmerklavier V“ (Rhythmisches Stöhnen), „Hämmerklavier VII“ (Spielen zusätzlicher Töne mit dem Radiergummi im Mund), „Hämmerklavier VIII“ (Verwendung von unter dem Flügel befestigten Klangsirenen, Spielen im Sitzen unter dem Flügel, Pianist bewegt sich um den Flügel herum), „Hämmerklavier X“ (Benötigt kein Instrument – sämtliche Musik wird mit genau definierten Mundgeräuschen erzeugt), „Hämmerklavier XI“ (60 einzelne Sekundenstücke in irrwitzigem Tempo vorgetragen, benötigt, evtl. Mundsirene und Muhschachtel).

Beim „Hämmerklavier“ treffen höchster kompositorischer und auch pianistischer Anspruch mit reinem Vergnügen am Spiel aufeinander. Eggert kennt weder Scheu vor dem Populären und Unterhaltsamen, noch vor dem Jazz. „Verständlich sein“ ist ihm als ein Komponist so genannter ernster Musik ein Anliegen, aber keine Notwendigkeit. Die Grenzlinie zwischen U und E ist dabei durchaus Provokation und künstlerische Herausforderung. So forderte etwa der Werkausschuss der GEMA eine Partitur seiner „Sinfonie für 12 Schreibmaschinen“ an, um die Ernsthaftigkeit des Werks zu bewerten.

Doch sowohl dieses, als auch die „Symphonie 3.0 für 6 Schiffshörner oder Autohupen“ (UA 2002 in St. Johns, Neufundland) wurden als E-Musik eingestuft. „Musik muss nicht immer nur das Eine sein“, formuliert Eggert, „ausschließlich Kindersärge als Partituren sind eine Sackgasse, ebenso wie das Komponieren in C-Dur. Soll eine musikalische Sprache funktionieren, dann muss beides möglich sein. Beethoven konnte auf hohem, komplexen Niveau schreiben, aber auch ganz einfach. Nehmen Sie die „Hammerklaviersonate“ und „Für Elise“: Beides ist seine Musiksprache, es funktioniert beides auf seine Weise, er macht keine Kompromisse in beiden Stücken. Das finde ich ein Vorbild.“

Erfüllt Musik Kriterien wie „Klarheit, Faszination, Inspiration“, dann wird sie sich nach Eggerts Auffassung immer durchsetzen. Von vornherein zum Scheitern verurteilt hält er jeden Versuch einen niedrigsten gemeinsamen Nenner anzustreben. Ein wichtiges Anliegen für den Komponisten Eggert ist die „Präsenz in der Zeit“. Allerdings legt er gesteigerten Wert darauf, dies nicht mit modischem Zeitgeist zu verwechseln. Eggerts ästhetische Positionen haben auch eine handfeste kulturpolitische und monetäre Seite.

Moritz Eggert ist Gründungsmitglied der Initiative „Pro Klassik e.V.“, einem Zusammenschluss von Komponisten und Verlegern, die sich gegen die drohende Entwertung der E-Musik zu Wehr setzen. Er ist ein geradezu vehementer Gegner der Idee, U und E abzuschaffen. „Die GEMA muss auch in Zukunft eine Form von Kulturförderung betreiben.“ Damit dies so bleibt, hält er Reformen für zwingend notwendig. So solle man für die Abrechnung der Tantiemen die Komponisten nicht länger in Unterhaltungskünstler und ernste Künstler einteilen, sondern eine U-beziehungsweise E-Aufführungssituation anerkennen.

Nicht das „geprüfte“ Werk entscheidet über seine Zugehörigkeit zu einer Kategorie, sondern der Aufführungsort und die Aufführungsart. Am Ende eines jeden Abrechnungsjahres hat jeder Komponist und jeder Verlag ein U- und ein E-Einkommen.

Das mag Kompromisse für manche bedeuten, im Einzelfall sogar Einbußen, der Gewinn aber ist die Bewahrung der Kultur in unserer Kultur.

Siehe auch:

Zügelloser Schneckenschwarm mit Tempo
Moritz Eggerts Oper „Die Schnecke“ am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt

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