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„Pamina ist bei mir ’ne Zicke“

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Regisseurin Corinna Palm in einem Gespräch über ihre Arbeit
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Biberach an der Riß. 30.000 Einwohner, ein Stadttheater aus den 70er-Jahren mit knapp 600 Plätzen und einer mäßigen Musikakustik. Betreiber ist das Kulturamt der Stadt Biberach. In fünf Minuten fährt man mit dem Auto durch die Stadt, nach weiteren fünf Minuten über Land kommt man in das Dorf Attenweiler. Niemand würde erwarten, dass hier der bundesweit tätige Bühnenbildner Hanns Dieter Schaal wohnt. Der ist natürlich nie da, sondern „auf Arbeit“ zwischen Essen, Frankfurt, Leipzig, Ulm und Berlin. Doch er ist auch nicht mein Ziel. Ich fahre zum Interview mit Corinna Palm, einer jungen Regisseurin, die seit etwa sechs Jahren freischaffend tätig ist, seit zwei Jahren in Attenweiler wohnt und sich im Gegensatz zu Schaal ihren Namen noch machen muss.

Biberach an der Riß. 30.000 Einwohner, ein Stadttheater aus den 70er-Jahren mit knapp 600 Plätzen und einer mäßigen Musikakustik. Betreiber ist das Kulturamt der Stadt Biberach. In fünf Minuten fährt man mit dem Auto durch die Stadt, nach weiteren fünf Minuten über Land kommt man in das Dorf Attenweiler. Niemand würde erwarten, dass hier der bundesweit tätige Bühnenbildner Hanns Dieter Schaal wohnt. Der ist natürlich nie da, sondern „auf Arbeit“ zwischen Essen, Frankfurt, Leipzig, Ulm und Berlin. Doch er ist auch nicht mein Ziel. Ich fahre zum Interview mit Corinna Palm, einer jungen Regisseurin, die seit etwa sechs Jahren freischaffend tätig ist, seit zwei Jahren in Attenweiler wohnt und sich im Gegensatz zu Schaal ihren Namen noch machen muss.Dass die Tochter des Cellisten Siegfried Palm ihren Weg gehen wird, daran zweifelt man nicht, wenn man sich länger mit ihr unterhält. „Biberach war für mich vor zwei Jahren“, so die heute 31-Jährige, „die Chance an Opern zu kommen, die man sonst noch nicht mit so jungen Jahren machen kann.“ An einem Freitagabend erhielt die Regisseurin einen Anruf aus Biberach. Am Apparat war Bariton Thomas Berau (früher Bauer), der die Palm noch aus ihrer Assistenz- und Abendspielzeit in Mannheim kannte. Er fragte: „Kannst Du ab Montag ‚Cosi’ in Biberach inszenieren?“ Palm wusste nicht wo Biberach liegt, auch „Cosi fan tutte“ hatte sie bis dahin noch nicht gemacht. Aber sie traute sich, denn „‚Cosi’ ist auch eines von diesen Stücken, die jahrelang in einem drin leben. Ich habe mich dann auch überhaupt nicht vorbereitet, sondern direkt Montag angefangen zu proben mit einem sehr modernen Konzept, das den Sängern einiges abverlangte.“ Doch auch diese waren unter Zeitdruck, es hieß einfach sich aufeinander einlassen oder es sein lassen.

Die Aufführung wurde ein Erfolg und das hatte Folgen für Biberach und für Corinna Palm. Sie bekam im Anschluss das Angebot der dortigen Jugendkunstschule für eine Dozentenstelle und vom Städtischen Musikdirektor Peter Marx das Angebot, 2000 „Des Esels Schatten“ von Richard Strauss und 2001 die „Zauberflöte“ zu machen. Es war also nur logisch, in die Biberacher Provinz, genauer nach Attenweiler in die Nachbarschaft von Hanns Dieter Schaal, zu ziehen.

Dass in einer 30.000-Seelen-Gemeinde überhaupt derartige über-„kommunal“ beachtete Produktionen stattfinden, hat seinen Grund in der engagierten Arbeit von Peter Marx, Sohn des Komponisten Karl Marx. Nachdem er an Theatern in Passau, Krefeld und Bielefeld als musikalischer Leiter tätig gewesen war, zog es ihn nach Biberach. Dort bekleidet er seit 25 Jahren das Amt des Städtischen Musikdirektors, eine Stelle die es in dieser Ausprägung eigentlich nur in Biberach gibt. Er hat die „Lufthoheit“ über alles, was die Stadt musikalisch macht und kann die Initiative ergreifen, wenn er beispielsweise Opernproduktionen machen will. Neben den Solisten oder Orchestermusikern, die er einkauft, kann er seine Protagonisten aus Mitgliedern des dramatischen Vereins Biberach rekrutieren. Der dramatische Verein blickt im übrigen auf eine über 300-jährige Tradition zurück: Christoph Martin Wieland führte mit den damaligen Vereinsmitgliedern zum ersten Mal Shakespeares „Der Sturm“ in deutscher Übersetzung auf (in Wielands eigener versteht sich). Weiter findet Marx Kräfte im örtlichen Musikverein, in der Musikschule, der Jugendkunstschule und dem Sängerbund. Das Orchester, mit dem Marx in seinen Produktionen zusammenarbeitet, ist die Capella novanta unter der Leitung von Günther Luderer. Über seine jungen Musiker ist Marx voll des Lobes. Er arbeitet mit ihnen lieber als mit den routinierten Profis aus seiner Stadtheaterzeit: „Die jungen Leute kennen keine Uhrzeitbeschränkung, sie sind interessiert an dem, was auf der Bühne passiert, und nutzen gerne die Gelegenheit, einmal die ‚Zauberflöte‘ spielen zu können.“
Mit der Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ in diesem Frühjahr neigt sich auch die Amtszeit von Marx dem Ende entgegen. Ob sich Biberach wohl weiterhin einen derartig einflussreichen Musikdirektor leistet? Oder wird die Musik einfach per Sachbearbeiter ins Kulturreferat eingegliedert? Und Musikschulleiter sind ja leicht zu finden. Unabhängig davon denkt das Team Palm/Marx bereits über neue Opernproduktionen nach.

Auch wenn Palm eine Vorliebe für Mozart hat – „Mozart ist so frisch, so lebendig wie Mauricio Kagel“ –, ihr Blick bleibt auch offen für die Moderne. Während ihrer Zeit am Staatstheater Mannheim bei Klaus Schulz (heute Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters), wo Corinna Palm vor allem Wiederaufnahmen betreute, setzte sie Schwerpunkte mit Kinderopern oder arbeitete an einer szenischen Umsetzung von Nancarrow-Werken für Schlagzeugensemble.
Seit der Berliner Zeit, als Papa Intendant der Deutschen Oper war, wollte Corinna Tänzerin werden. Zu ihrem Unglück taten die Füße nicht mit, doch sie hatte Blut geleckt: „Ich bin eine Rampensau und würde am liebsten immer selber auf der Bühne stehen. Ich spiele auch immer alles vor“, so Corinna Palm über ihre Motivation, Regie zu führen. Ihre Vorstellungen von Regie sind klar: „Für mich kommt alles aus der Musik. So erkläre ich das auch den Sängern. Pamina ist deshalb bei mir ’ne Zicke, weil sie so eine zickige Musik am Anfang hat (singt vor).“ Nach ihrer jüngsten Inszenierung, wo sie ihre Figuren in Räumen spielen lässt, die einzig durch fünf verschiebbare Säulen definiert sind, befragt, meint Palm: „Für mich ist die Zeit, in der etwas spielt, selten wichtig. In dem Moment, wo ich das heute spiele, hat es eine Bedeutung für uns heute.“ Und weiter: „Wenn Leute mit Hintergrundwissen kommen, gut, dann können sie eine Symbolik rauslesen. Aber auch Lieschen Müller soll das spannend finden, auch wenn sie sich unter ‚Zauberflöte‘ etwas ganz anderes vorstellt.“ Palms Auffassung von zeitgemäßer Regie ist einfach: Keinen intellektuellen Kram für eine Minderheit will sie machen, aber heute könne ein Regisseur eben auch nicht einfach hingehen und es machen wie immer. „Dann hat das keine Berechtigung.“

Auch wenn Palms Terminkalender noch nicht überquillt, einige Produktionen stehen schon fest: Im Sommer leitet sie einen Workshop bei den 51. Jugendfestspielen in Bayreuth. Dort wird sie mit Studenten Benjamin Brittens „A Curlew River“ erarbeiten und aufführen. 2002 ist in Biberach wieder Oper und im selben Jahr inszeniert sie am Konservatorium in Maastricht.

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