Düsseldorf, 1983. Schauplatz Robert-Schumann-Hochschule, Abteilung Instrumentalausbildung. Für einen kurzen Moment legen einige Studenten ihre Instrumente zur Seite und stecken dafür etwas intensiver die Köpfe zusammen. Da ist diese leidige Frage, die sie seit geraumer Zeit umtreibt, auf die keiner, außer Achselzucken und mahnenden Hinweisen zur Übedisziplin, bisher eine vernünftige Antwort bekommen hat: Wir studieren Musik im 20. Jahrhundert, doch die Musik des 20. Jahrhunderts kommt in der Ausbildung überhaupt nicht vor!? Einzelunterricht? Gruppenunterricht? Angebote zu A wie Antheill bis Z wie Zimmermann? – Fehlanzeige. Was tun? Vielleicht einmal den Kompositionsprofessor Günther Becker konsultieren...
Düsseldorf, 1983. Schauplatz Robert-Schumann-Hochschule, Abteilung Instrumentalausbildung. Für einen kurzen Moment legen einige Studenten ihre Instrumente zur Seite und stecken dafür etwas intensiver die Köpfe zusammen. Da ist diese leidige Frage, die sie seit geraumer Zeit umtreibt, auf die keiner, außer Achselzucken und mahnenden Hinweisen zur Übedisziplin, bisher eine vernünftige Antwort bekommen hat: Wir studieren Musik im 20. Jahrhundert, doch die Musik des 20. Jahrhunderts kommt in der Ausbildung überhaupt nicht vor!? Einzelunterricht? Gruppenunterricht? Angebote zu A wie Antheill bis Z wie Zimmermann? – Fehlanzeige. Was tun? Vielleicht einmal den Kompositionsprofessor Günther Becker konsultieren...Der, ehemaliger Fortner-Schüler, hatte für das Begehren der Studenten vollstes Verständnis und bot Hilfe an, vermittelte der ebenso ratlosen wie wissbegierigen Jugend die Positionen und Schreibweisen zeitgenössischen Komponierens. Rückblickend sagt er: „Die jungen Leute mussten sich erst mal ein bisschen in die Mentalität von Isang Yun, Edgar Varese und Gigi Nono eindenken. Das kann man nicht von jetzt auf nachher machen, nachdem sie vorher in dieser Weise überhaupt nicht unterrichtet worden sind. Das braucht eine gewisse Zeit.“ Die hatten „die jungen Leute“, besser gesagt: sie nahmen sie sich. Soviel zur Keimzelle des notabu.ensemble neue musik.Erfolgreiche Ensemblegründungen beginnen nicht selten als Selbsthilfeprojekt. Versteinerte Verhältnisse in Bewegung zu bringen, sie eingreifend umzugestalten, ihnen mitbestimmend neue Form zu verleihen, setzt nicht nur Selbstbewusstsein voraus, sondern auch frei. Bekannt sind die Anfänge des Ensemble Modern aus dem Wunsch einiger Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie, sich als Orchestermusiker ausschließlich auf die Interpretation von Werken des 20. Jahrhunderts konzentrieren zu wollen. Ob allerdings dem zwischenzeitlichen, geradezu kometenartigen Aufstieg dieses Ensembles entnommen werden darf, dass die Idee einer zeitgenössischen Ästhetik in Programmierung und Ausbildung ubiquitär geworden ist, scheint eher zweifelhaft. Vielmehr steht zu vermuten, dass im Fall der Frankfurter die Möglichkeit gesehen wurde, dem nationalen Musikleben ein Aushängeschild zu geben, das den internationalen Wettbewerbern (London Sinfonietta, Ensemble Intercontemporain) die Stange halten konnte und kann.
Solchen Erwartungen, verbunden mit dem Rampenlicht einer interessierten Öffentlichkeit, ist das notabu.ensemble in den bisherigen siebzehn Jahren seines Bestehens kaum ausgesetzt worden. Sicher, da stehen seit der Gründung 1983/84 über 400 Werke mit zahlreichen Uraufführungen in der Konzertbilanz, vier Biennale-Zyklen Europa ohne Grenzen, Komponistenporträts, Festivalauftritte, Musikratskonzerte seit 1986, Tonhallen-Engagements seit 1988 sowie eine kontinuierliche Beteiligung bei zeitgenössischen Musiktheaterproduktionen – und dennoch will der Eindruck chronischer Unterbeschäftigung des Ensembles nicht weichen, weswegen viele der insgesamt zwanzig notabu-Mitglieder ganz zwangsläufig in anderen Orchestern Unter- und Auskommen suchen. Los des „freischaffenden“ Künstlers. Die jetzt wieder besetzte neue Geschäftsleitung wird insofern als vordringliche Maßnahme die Aquirierungsturbine anwerfen müssen.
Da ist die Lage des „großen Bruders“, des „offiziellen“ NRW-Klangkörpers – 1990 gewissermaßen „über Nacht“ und „von oben“ eingesetzt, luxuriös im Landeshaushalt abgesichert – des Landesensembles Musikfabrik, schon anders. Allerdings haben die letzten zehn Jahre hinlänglich bewiesen, dass die selbstständig gewordene, ehemalige studentische Initiative der mit ihrer Ausbildung hadernden Junginstrumentalisten den Vergleich mit den Musikfabrikern in keiner Weise zu scheuen braucht. Verdienst vor allem des Dirigenten und Komponisten Mark-Andreas Schlingensiepen, der als erster und bisher einziger Leiter zu den drei noch aktiven Gründungsmitgliedern zählt. Seine insistierende Arbeit an den Partituren, das punktgenaue Übersetzen einer kompositorischen Handschrift hat das Ensemble zum fortgesetzten eigenen Nutzen als Voraussetzung seiner ästhetischen Präsenz und Überzeugungsarbeit erkannt. Geschätzt wird Schlingensiepens künstlerische Kompetenz auch von anderen Orchestern, die er bei seinen zahlreichen nationalen wie internationalen Gastdirigaten leitet.
Dass notabu seine Selbstdarstellungs- und Selbstverständigungsprozesse, wie geschildert, im Windschatten der großen nationalen oder regionalen „Hoffnungsträger“ wie Musikfabrik und Ensemble Modern absolvieren durfte, hatte beziehungsweise hat auch sein Gutes. Es hat die (wie es so schön heißt) Profilierung des Ensembles im Sinne der jetzt vielfach beschworenen Nachhaltigkeit befördert und geschärft. So hat sich das Ensemble seit rund zehn Jahren den Faible seines Leiters für Stummfilmmusik zu Eigen gemacht. Für seine Orchesterfassung des „Panzerkreuzer Potemkin“ nach dem Klavierauszug von Edmund Meisl wurde Schlingensiepen 1988 der Deutsche Schallplattenpreis zugesprochen. Zu Klassikern wie Ruttmanns „Sinfonie der Großstadt“, Lubitschs „Madame Dubarry“ oder zum „Student von Prag“ von Stellan Rye hat er Ensemble- und Orchesterfassungen beigesteuert und zu den Avantgardefilmen eines Fernand Léger, René Clair und Man Ray teilweise eigene Musiken komponiert. „Das Kabinett des Dr. Cagliari“ von Robert Wiene sowie „Der letzte Mann“ und „Tabu – A South Sea Story“ von Friedrich-Wilhelm Murnau gehören längst zum Repertoire des Ensembles. Letzterer wurde 1992 sogar zum Inspirationsgeber des neuen Ensemblenamens. Mit schillerndem Assoziationsraum wurde „Tabu“ anverwandelt zu notabu. Die Musik von Violetta Dinescu zum Murnau-Klassiker ist zur Zeit Gegenstand einer CD-Produktion. Apropos. Auch wenn die Qualität einer Formation an seiner Bereitschaft zur Veräußerlichung kaum gemessen werden kann, ist bezeichnend, dass sich notabu in die Plattenkataloge noch kaum eingetragen hat. Die erste und (bisher) einzige CD (Cybele 360 201) war beinahe ein Muss. Mit der Einspielung von Kompositionen Günther Beckers aus den 60er- bis 80er-Jahren ehrte das Ensemble seinen langjährigen Mentor und Förderer. Der hatte in der Anfangszeit auf eigene Rechnung Saalmiete und Plakatkosten übernommen, ehe Peter Girth als erster Intendant der Düsseldorfer Tonhalle seine Zuständigkeit erkannte. Übrigens ging die Bescheidenheit des mittlerweile im Ruhestand, fern von Düsseldorf lebenden Komponisten so weit, dass er dem Ensemble anfänglich förmlich untersagte, seine Werke zu spielen, nur um ja nicht dem Verdacht ausgesetzt zu werden, er „halte“ sich ein „Hausensemble“.
Schöne alte Welt. Einspruch wegen Nostalgieverdacht? – Zugelassen. Denn das bessere Schlusswort für dieses Ensemble wie für den bekennnenden Freund des musikalischen und humanen Fortschritts wäre sicherlich eine 1989/90 entstandene Komposition, deren Titel Becker einem Dickens-Roman entlehnt hat: Hard times – Multisounds.