Antonio Salieri gehört zu den verkanntesten unter den heute beinahe vergessenen Komponisten. „Musikerlegenden, biographische Irrtümer, falsche Behauptungen usw., all das kennt man ja, und vieles davon ist nur mühsam auszurotten. Aber kein Komponist leidet unter einer so falsch gezeichneten Darstellung im allgemeinen Bewusstsein wie Antonio Salieri.“ (Otto Baba).
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Verkannt, Verleugnet, Vergessen – Zum 200. Todestag des Komponisten Antonio Salieri
Er wird meist als Gegenspieler und Neider Mozarts gesehen, wo nicht gar als sein Mörder. Es gab schon früh Gerüchte, dass er Mozart vergiftet habe. Alle diese Gerüchte gründeten allerdings auf vermeintlichen Äußerungen des alten und todkranken Salieri.
Der Beethoven-Biograph Anton Felix Schindler schrieb schon 1824: „Mit Salieri geht es wieder sehr schlecht. Er ist ganz zerrüttet. Er phantasiert stark, dass er an dem Tode Mozarts schuld sey und ihn mit Gift vergeben habe.“ Salieris früherer Schüler Ignaz Moscheles hingegen, der den Sterbenden noch kurz vor seinem Tod besucht hatte, berichtet in seiner Autobiographie von einer entschiedenen Zurückweisung dieses Vorwurfs durch den zu Unrecht Beschuldigten: „Sie wissen ja – Mozart, ich soll ihn vergiftet haben. Aber nein, Bosheit, lauter Bosheit, sagen Sie es der Welt, lieber Moscheles; der alte Salieri, der bald stirbt, hat es Ihnen gesagt.“
Heute gilt es – entgegen aller anderen Behauptungen und häufig zitierten Quellen – als erwiesen, dass sich keinerlei schlagkräftige Hinweise auf eine Rivalität der beiden Komponisten finden lassen. Die meisten anderslautenden Unterstellungen datieren überwiegend lange nach Mozarts Tod und sind in ihrer Glaubwürdigkeit höchst fragwürdig.
Freilich, als Mozarts Musik in den Jahrzehnten nach seinem Tod immer populärer wurde und Salieris Kompositionen mit der beginnenden Romantik immer seltener gespielt wurden, schließlich in Vergessenheit gerieten, begannen die unbegründeten Behauptungen, die Legenden und Gerüchte ins Kraut zu schießen und beschädigten Salieris zu Lebzeiten exzellenten Ruf. Auch das zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkeimende Nationalbewusstsein – gepaart mit dem inflationären Geniekult – trug zur Abwertung Salieris bei.
Der in Italien – am 18. August 1750 in Legnago (Republik Venedig) geborene Salieri wurde gegen das „deutsche Genie“ Mozart ausgespielt. Legnago liegt circa 39 km von Verona entfernt im Süden der gleichnamigen Provinz am rechten Ufer der Etsch. Zu Salieris hundertstem Todestag 1925 wurde das Teatro Salieri eingeweiht. Seit dem Jahr 2000 findet dort in unregelmäßigem Abstand das „Festival Antonio Salieri“ statt, das sich dem Schaffen des Komponisten widmet. Es zeichnet sich vor allem durch moderne Erstaufführungen von Salieri-Opern aus, die seit dessen Lebzeiten nicht mehr gespielt worden sind.
Der aus seiner oberitalienischen Heimat stammende Antonio Salieri kam schon 1766 im Alter von sechzehn Jahren nach Wien, wo er eine höhere musikalische Ausbildung erhielt, seine Karriere machte und bis zu seinem Tod lebte. Als Halbwüchsiger und junger Mann hat Salieri in Wien in der Familie seines Entdeckers und Lehrers Florian Leopold Gassmann gelebt, der für guten Deutsch- und Französisch-Unterricht sorgte, er hat 1775 in die wohlhabende Wiener Familie Helferstorfer eingeheiratet und in deren Haus eine Wohnung mit elf Räumen bezogen, in der er bis zu seinem Tod verblieb; seine acht Kinder, von denen fünf die Kindheitsjahre überlebten, wurden deutschsprechend aufgezogen. In Musikerkreisen sprach er, wie damals üblich, meist Italienisch, ansonsten Deutsch.
Er galt als deutscher Komponist, wie eine Äußerung Maria Theresias im November 1772 und viele andere Bekenntnisse von Zeitgenossen belegen. Seine vielen kaisertreuen Kantaten, Lieder und Gesänge in deutscher Sprache sprechen im Übrigen für sich.
Fake-Rivalität
Was die vermeintliche Feindschaft oder Rivalität Salieris und Mozarts angeht: Als Da Ponte in Prag war, um die Uraufführung von Mozarts Don Giovanni mit vorzubereiten, wurde er wegen einer königlichen Hochzeit, zu der Salieris Oper „Axur, re d’Ormus“ uraufgeführt werden sollte, nach Wien zurückgerufen; sicherlich war Mozart von diesem Vorhaben nicht amüsiert. Salieri beabsichtigte aber offenbar gar nicht, Mozarts Karriere aufzuhalten: Nachdem Salieri Hofkapellmeister geworden war, hatte er 1789 anstatt einer eigenen Oper sogar Mozarts „ Figaro“ auf die Bühne gebracht, und als er 1790 zu den Krönungsfeierlichkeiten für Leopold II. reiste, hatte er nicht weniger als drei Messen Mozarts im Gepäck.
In allen Zeugnissen der Zeitgenossen ist vom guten Einvernehmen der beiden, ihrer Kollegialität, ja ihrer Freundschaft die Rede. Als es darum ging, in Wien für Haydn und Mozart ein Denkmal zu errichten, war Salieris Votum dafür ausschlaggebend, dass das Projekt in eine definitive Planungsphase ging.
Es gibt z. B. Ein gemeinsames Werk: die Kantate „Per la ricuperata salute di Ofelia“ KV 477a (1785) deren Text von Da Ponte stammt. Das Stück war lange nur aus zwei zeitgenössischen Zeitungsannoncen bekannt und galt als verschollen, bis es im Dezember 2015 von dem Musikwissenschaftler Timo Jouko Herrmann wiederentdeckt wurde. Auf Salieris Anregung hin wurden u. a. die Kantate „Davide penitente“ KV 469 (1785), das Klavierkonzert Es-Dur KV 482 (1785), das Klarinettenquintett KV 581 (1789) und die berühmte Sinfonie g-Moll KV 550 (1791) uraufgeführt, letztere sogar unter Salieris Leitung.
In seinem letzten erhaltenen Brief an seine Frau Constanze vom 14. Oktober 1791 schreibt Mozart von einem gemeinsamen Besuch der „Zauberflöte“ , bei der sich Salieri geradezu enthusiastisch über das Werk geäußert haben soll: „Er hörte und sah mit aller Aufmerksamkeit und von der Sinfonie bis zum letzten Chor, war kein Stück, welches ihm nicht ein bravo oder bello entlockte […].“
Dass Salieri den sechs Jahre jüngeren Kollegen nach dessen Tod in einem ehrenden Andenken behielt, beweisen viele Aufführungen von Werken Mozarts, die unter der Stabführung Salieris in Wien stattfanden. Zudem unterrichtete er dessen jüngsten Sohn Franz Xaver in Komposition und stellte ihm im März 1807 ein hervorragendes Zeugnis aus.
Postume Diffamierung Salieris
Die postume Diffamierung Salieris begann recht eigentlich nach Salieris Tod (am 7. Mai 1825) mit Alexander Puschkins Drama „Mozart i Saljeri“ (1831), das später Nikolai Rimski-Korsakows vertonte. Sie erlangte in Peter Shaffers Bühnenstück „Amadeus“ und dessen Verfilmung durch Miloš Forman ihren Höhepunkt. In dem äußerst populären, um nicht zu sagen populistischen Film, der eine enorme Breitenwirkung hatte, wird Salieri als skrupelloser und ehrgeiziger Zeitgenosse und unsympathischer Kollege Mozarts dargestellt, als mittelmäßiger Komponist, und Intrigant, was seinem Werk und seinem Wirken nicht annähernd gerecht wird.
Der Film „provozierte mit einem Normalitätszuruf eigener Art die musikalische Elite: ‚Ihr Mittelmässigen überall – jetzt oder in der Zukunft –, ich erteile euch meine Absolution. Amen.‘ Der Bühnenautor Sir Peter Shaffer hatte diese Worte dem greisen Komponisten Antonio Salieri in den Mund gelegt. Salieri war als Komponist zwar kein Versager, doch, anders als Mozart, nicht singulär: … Peter Shaffer hat ihn zum Schutzpatron des Mittelmaßes ausgerufen, doch damit nicht genug. Der dramaturgische Clou bestand darin, dass Salieri die heimliche Hauptrolle spielt und das Genie Mozart in seinem Schatten steht. Gesundes Mittelmaß, so die Pointe, hat mehr Gewicht, als die Faszinationskraft des Singulären glauben macht.“ (Stephan Schaede). Bis heute hat dieser Film das vorherrschende falsche Bild Salieris, das um es zeitgemäß zu sagen – auf Fake News basiert – nachhaltig geprägt.
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Erfolgreich und fleißig
Tatsächlich war Salieri – er war sechs Jahre älter als Mozart und überlebte ihn um 34 Jahre – einer der erfolgreichsten und fleißigsten Komponisten seiner Zeit und er hatte eines der prestigeträchtigsten Ämter seiner Zeit inne: Antonio Salieri war zunächst Kammermusiker Kaiser Josephs II., schließlich kaiserlicher Kammerkomponist und Kapellmeister der italienischen Oper, dann sogar Kapellmeister der kaiserlichen Hofmusikkapelle. Dieses Amt übte er bis 1824 aus. Salieri feierte zu Lebzeiten als Komponist mit seinen Opern europaweit Erfolge.
Seine Herkunft war gutbürgerlich: Antonio Salieri wurde in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie hineingeboren. Er war das achte Kind aus der Ehe von Antonio Salieri sen. (1702–1764) mit Anna Maria Scacchi (1722/23–1763). Schon früh lernte er Violine, Cembalo und Gesang bei seinem Bruder Francesco, der von Giuseppe Tartini unterrichtet wurde, sowie beim Domorganisten von Legnano, Giuseppe Simoni, der ein Schüler Padre Giovanni Battista Martinis gewesen war. Nach dem frühen Tod seiner Eltern ging Salieri nach Padua, später nach Venedig, wo er bei Giovanni Battista Pescetti im Generalbass und dem Tenor Ferdinando Pacini im Gesang unterrichtet wurde.
Salieri erwarb sich während seines langen Lebens größtes Ansehen als Komponist und Dirigent, besonders von Opern (er hat an die 40 musiktheatralische Werke geschrieben).
Sein Opernschaffen ist zum einen durch die Tradition der italienischen Opera Seria, zum anderen durch die reformistischen Opernbestrebungen Glucks geprägt, wie besonders seine Pariser Werke zeigen. Später wendete sich Salieri wieder mehr dem italienischen Melos zu, das er mit deklamatorischen Elementen und neueren Strömungen der Opera buffa durchsetzte.
Nachdem die Italienische Oper in Wien 1776 zugunsten des vom Kaiser protegierten Deutschen Nationalsingspiels geschlossen worden war, nutzte Salieri die Gelegenheit zu einer längeren Italienreise. Er machte sich mit großem Erfolg in Mailand, Rom und Neapel einen Namen als Opernkomponist. 1780 kehrte er schließlich nach Wien zurück, wo er 1781 mit dem „Rauchfangkehrer“ seinen Beitrag zum deutschen Singspiel beisteuerte.
Mit der Wiedereröffnung der italienischen Oper in Wien 1783 nahm Salieri dort seine Tätigkeit als Kapellmeister wieder auf. Unterbrochen wurde diese Arbeit nur durch eine Reise nach München, wo er im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor die Oper „Semiramide“ mit großem Erfolg auf die Bühne brachte und von zwei triumphalen Parisreisen 1784.
Lehrer und Organisator
Salieri arbeitete häufig mit anderen gefeierten Komponisten, wie Joseph Haydn oder Louis Spohr zusammen und unterrichtete später so berühmte Komponisten wie Ludwig van Beethoven, Carl Czerny, Johann Nepomuk Hummel, Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer, Ignaz Moscheles, Franz Schubert, Franz Xaver Süßmayr, Joseph Weigl, Peter von Winter und Wolfgang Amadeus Mozarts jüngsten Sohn Franz Xaver Wolfgang Mozart.
Salieri war darüber hinaus ein gefragter Gesangslehrer. Aus seiner Schule gingen u. a. so gefeierte Sängerinnen und Sänger, wie Catarina Cavalieri, Therese Gassmann und Anna Milder-Hauptmann (die erste Leonore im „Fidelio“) hervor.
Nach 1800 hat sich Salieri eifrig dem Liedschaffen zugewandt, daneben hat er eine schier unüberschaubare Menge an Kanons und geselligen mehrstimmigen Gesängen mit oder ohne Begleitung geschaffen. Salieris großes Interesse an der Sprache zeigt sich hier besonders in der mannigfaltigen Auswahl italienischer, französischer, lateinischer und deutscher Texte, auf die Salieri zur Vertonung zurückgriff. Nicht zuletzt Franz Schubert, hat sich davon beeinflussen lassen.
Instrumentalmusik schrieb Salieri vergleichsweise wenig, im wesentlichen zwei Klavierkonzerte und ein Orgelkonzert (1773), ein viel gespieltes Konzert für Flöte, Oboe und Orchester (1774), mehrere Serenaden für Bläser, sowie 26 Variationen über La Follia di Spagna für großes Orchester (1815).
Seinen Abschied von der Bühne gab Salieri 1804 mit der Oper „Die Neger“ am Theater an der Wien. Das Singspiel wurde übrigens reserviert aufgenommen. Seinem Titel würde man heute politische Unkorrektheit vorwerfen. Aber Salieri stellt darin Europäer und Schwarze für die damaligen Verhältnisse nahezu gleichberechtigt nebeneinander, rassistische Tendenzen enthält das Stück trotz seines exotisch-kolonialistischen Themas nicht. Danach widmete er sich beinahe ausschließlich der Kirchenmusik. Neben seiner aufzehrenden Tätigkeit als Hofkapellmeister verpflichtete sich Salieri noch zu zahlreichen weiteren Ämtern: Von 1788 bis 1795 war er Präsident, danach Vizepräsident der Tonkünstler-Societät, deren Konzerte er bis 1818 leitete. Ab 1817 war er Oberleiter der Wiener Singschule und saß 1823 im Gründungskomitee des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde. Der erwarb sich bleibende Verdienste für die Musik in Wien. Er war hochgeehrt, ein weithin geschätzter Komponist und Zeitgenosse. Zahlreiche Zeitzeugen belegen Salieris liebenswürdige Art.
Rehabilitation
Das schlechte Image Salieris errang in den letzten Jahren eine erfreuliche Aufwertung. Auf prominenten Sängerrezital fanden sich immer häufiger Salieri-Arien, aber auch auf der Bühne erleben Salieris Opern eine Renaissance.
Aus Anlass seines 200. Geburtstages gibt es nicht nur in Wien zahlreiche Aufführungen seiner Werke und einige Buchneuerscheinungen, die das bisherige Bild des Komponisten korrigieren und den „übersehenen Pionier Antonio Salieri“ (so der Titel eines moderierten Konzerts der Österreichischen Nationalbibliothek) in den Fokus rücken.
Last but not least: Salieri wurde mit Ehren überschüttet. Er war Mitglied der schwedischen musikalischen Akademie (1799), auswärtiges Mitglied der Académie des Beaux-Arts (1805), Ritter der französischen Ehrenlegion (1815), Mitglied des französischen Nationalinstitutes und des musikalischen Konservatoriums in Paris (1816), Ehrenmitglied des steiermärkischen Musikvereins und des Mailänder Konservatoriums (1816) sowie Träger der Großen Goldenen Civil-Ehrenmedaille an der Kette (1816); Salieri war auch Mitglied der literarischen Gesellschaft „Die Ludlamshöhle“. Viele seiner Kollegen und Schüler haben Salieri eigene Werke gewidmet, unter anderem Ludwig van Beethoven, Simon Sechter, Franz Krommer, Ignaz Moscheles und Franz Schubert, ein Beleg für die hohe Wertschätzung, die Salieri während seines ganzen Lebens genoss.
Am 7. Mai 1825 erhielt Salieri die Sterbesakramente und verschied um 20 Uhr am „Brand der Alten“, wie es das Totenbeschauprotokoll des Wiener Magistrats verzeichnet und wie es demzufolge auch die Liste der am 7. Mai Verstorbenen der Wiener Zeitung vom 14. Mai 1825 angibt. In der Sprache der damaligen Zeit war „Brand“ die Bezeichnung für eine arterielle Verschlusskrankheit.
Antonio Salieri wurde auf dem Matzleinsdorfer katholischen Friedhof – dem heutigen Waldmüllerpark – beerdigt, 1874 exhumiert und am Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab beigesetzt.
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