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Lore Auerbach während der Feierstunde zur Verleihung der Hans-Lenz-Medaille. Foto: Jan Felix Bergmann

Lore Auerbach während der Feierstunde zur Verleihung der Hans-Lenz-Medaille. Foto: Jan Felix Bergmann

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Werben und Einstehen für die Amateurmusik

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Die AMJ-Ehrenvorsitzende Dr. h.c. Lore Auerbach erhält die Hans-Lenz-Medaille
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Die Würdigung ehrenamtlichen Engagements ist in der heutigen Zeit einer zunehmend polarisierten Gesellschaft wichtiger denn je, auch und gerade, wenn es schon eine Weile her ist wie bei Dr. h. c. Lore Auerbach, die am 19. Juni die Hans-Lenz-Medaille für ihr lebenslanges Wirken als Kulturpolitikerin (SPD), Chorleiterin, Netzwerkerin, Impulsgeberin und Ehrenamtliche erhielt. Die Hans-Lenz-Medaille wird seit 2006 jährlich für besondere Verdienste um das Amateurmusizieren vergeben, ursprünglich von der Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) gestiftet und mittlerweile vom Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) verliehen. BMCO-Präsident Benjamin Strasser überreichte die diesjährige Auszeichnung im Rahmen einer Feierstunde in der Musikschule Hildesheim und würdigte die Geehrte in seiner Laudatio mit den Worten: „Lore Auerbach war nie nur Teil der Entwicklung der Amateurmusik – sie war eine ihrer entscheidenden Treiberinnen. Seit Jahrzehnten zeichnet sie sich durch Zuversicht, Bildungsbegeisterung und kulturpolitischen Gestaltungswillen aus.“

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Bei der Feierstunde erklang außerdem Musik von Kinder- und Jugendensembles und die Vorsitzende des Arbeitskreises Musik in der Jugend Gabriele Nogalski hielt ein weiteres Grußwort, da Auerbach langjährige Vorsitzende des Arbeitskreises war: „Lore Auerbach hat Zeit ihres Lebens die musikalische Bildung, insbesondere der Jugend, als Aufgabe angenommen und diese fachlich und kulturpolitisch mit Beharrlichkeit und Unbeirrbarkeit, dabei empathisch und konsensorientiert, verfolgt. Integrität und ein kluges Urteil zeichnen ihre Persönlichkeit aus und machen sie zum Vorbild für alle, die mit ihr zu tun hatten und haben.“

Tatsächlich habe sie die Auszeichnung überrascht, gestand Auerbach der nmz im Gespräch, denn es sei ja alles schon so lange her. Allerdings prägte Auerbachs politisches, gesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement über Jahrzehnte das Musikleben Deutschlands. Die Liste ihrer Ehrenämter ist beeindruckend: 1976 bis 1991 ehrenamtliche Bürgermeisterin der Stadt Hildesheim, seit 1959 Vorstandsmitglied und von 1988 bis 2000 Vorsitzende des Arbeitskreises Musik in der Jugend (AMJ), von 1985 bis 1994 Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände (ADC), von 1981 bis 1990 Vizepräsidentin des Landesmusikrats Niedersachsen, von 1991 bis 2000 Vizepräsidentin des Deutschen Musikrats und von 1987 bis 2002 Beiratsvorsitzende der Bundesakademie Wolfenbüttel. Des Weiteren vertrat sie den AMJ europaweit und international in der Europäischen Föderation Junger Chöre (EFJC), heute European Choral Association – Europa Cantat (ECA), in der sie drei Jahre Vizepräsidentin war, sowie in der International Federation for Choral Music (IFCM). Darüber hinaus hatte sie weitere Posten in ihrer Heimatstadt Hildesheim inne und ist Mitglied verschiedener kultureller Stiftungen. 1994 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim und 1995 das Bundesverdienstkreuz.

Auerbach wurde 1933 in Amsterdam in der Emigration geboren, ihre Familie, die während des Zweiten Weltkriegs in England im Exil lebte, kehrte erst nach Kriegsende nach Deutschland zurück. Nach ihrem Abitur 1951 studierte Auerbach an der Pädagogischen Hochschule in Hannover zunächst Musik und später noch Realschullehramt an der Akademie für Musik und Theater (heutige Hochschule) mit den Fächern Musik und Englisch. In den 70er Jahren studierte sie dann nochmals berufsbegleitend bei der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie sowie an der Pädagogischen bzw. Wissenschaftlichen Hochschule Hildesheim Kulturpädagogik. Nachdem sie zunächst als Lehrerin an einer Schule und Musikschule in Hannover tätig war, gründete sie 1962 die Musikschule in Hildesheim. Es folgten weitere Lehrtätigkeiten an der Hochschule für Musik und Theater Hannover sowie an der Fachschule für Sozialpädagogik in Hildesheim. Ihr Wirken als Kulturpolitikerin begann 1972 als Ratsmitglied der Stadt Hildesheim (1972–1991), ab 1976 als Erste Bürgermeisterin, außerdem war sie Mitglied des Niedersächsischen Landtages (1986–1994) und dort Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst (1990–1994).

Erfahrungen und Kontakte

Ihr Berufsweg und ihr kulturpolitisches Wirken ergänzte sich mit ihrem ehrenamtlichen Engagement: „Ich brachte Erfahrungen und Kontakte mit, das war sehr hilfreich“, so Auerbach. Begonnen hatte ihr ehrenamtliches Engagement im Jahr 1959, als die 26-Jährige von Willi Träder, ihrem damaligen Chorleiter, als erste und einzige Frau in den Vorstand des AMJ geholt wurde. Ein Schicksal, das sie viele Male danach, zum Beispiel 1963 als Chorleiterin eines gemischten Chores, ehemals ein Männerchor, und in Ehrenämtern erneut ereilt hatte, selbst noch im Jahr 1991 als Vizepräsidentin des Deutschen Musikrats. Auch wenn Auerbach nie in den Kategorien Mann/Frau gedacht hat, da es ihr immer um die Sache ging und sie sich kompetent an ihren Aufgaben orientierte, ist ihr bewusst, dass sie durch ihr Wirken ein Vorbild für die nachfolgende Generation von Frauen darstellt. Eine Quote lehnt sie dennoch ab und sorgte in ihren Ämtern vor allem dafür, kompetente junge Frauen ins Team zu holen, wenn sie „reinpassten“.

Auch sie selbst bewährte sich in ihren Ehrenämtern, so hatte sie zum Beispiel drei dreijährige Amtsperioden als Präsidentin der ADC inne, obwohl nur zwei vorgesehen waren, da sie einstimmig ein drittes Mal wiedergewählt worden war.

Die Ausübung ihrer zahlreichen Ehrenämter fällt überwiegend in die Wendezeit. „Besonders in der EFJC habe ich damals versucht, ausgleichend tätig zu sein, das gemeinschaftliche und die gemeinsamen Ziele hervorzuarbeiten, da war viel diplomatisches Geschick vonnöten und das Einbringen moderner Betrachtungsweisen notwendig. Mittlerweile hat sich die ECA enorm weiterentwickelt.“ So waren nationales Denken und regionale Konkurrenz ebenso zu beachten wie mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass nur ein italienischer Chorleiter italienische Musik dirigieren könne. Dennoch war das Chorwesen auf europäischer Ebene seiner Zeit voraus, denn bereits Ende der 80er-Jahre waren osteuropäische Länder Mitglied in der EFJC, bevor das jeweilige Land EU-Mitglied wurde.

Die jüngere Entwicklung weiterer Zusammenschlüsse von Verbänden, wie dem 2019 gegründeten BMCO, entstanden aus einem Zusammenschluss der Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände (BDC) und der Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO), bewertet Auerbach positiv: „Das Werben und Einstehen für die Amateurmusik gegenüber der Öffentlichkeit und vor allem der Politik, insbesondere im Deutschen Musikrat, ist nötig und eine große Mitgliederzahl an Musizierenden verleiht der Organisation mehr Gewicht.“ Auch den 2005 erfolgten Zusammenschluss der Verbände Deutscher Sängerbund und Deutscher Allgemeiner Sängerbund zum Deutschen Chorverband (DCV) hielt Auerbach für mehr als überfällig.

Politik in der Pflicht

Die derzeitigen Krisen und ihre Auswirkungen, vor allem der Coronapandemie im Kinder- und Jugendbereich, erfüllen sie mit großer Sorge. „Im Chor zu singen, ist wichtig, weil man keine teuren Instrumente braucht, weil man spontan mitmachen kann und Teil einer Gemeinschaft sein kann unabhängig vom intellektuellen Bildungsgrad und der Herkunft.“ Auerbach sieht hier vor allem die Politik in der Pflicht. „Die kulturellen Leuchttürme müssen auf Felsen stehen, nicht auf Sand.“ Die Fördersummen sollten nicht abgesenkt, sondern potentiell erhöht werden. „Wir brauchen die Laienmusik und die Musikschulen als Basis.“

Die aktuellen Entwicklungen der Chorszene beobachtet Auerbach einerseits in ihrer Funktion als Ehrenvorsitzende des AMJ und andererseits in ihrem Wohnort Hildesheim. Dass sich viele Chöre vom konventionellen statischen Konzertieren ohne Publikumsansprache verabschieden, findet sie grundsätzlich gut. Allerdings fragt sie sich auch, ob zu viel Bewegung gerade im Kinder- und Jugendchorbereich nicht doch zu sehr vom Singen ablenkt „Wahrscheinlich folgen alle jetzt erstmal diesem Trend und dann wird man sich irgendwann in der Mitte finden.“ Beim Eurotreff, dem Internationalen Festival für junge Chöre, empfand sie die Choreografien hingegen als angemessen.

Partnerschaftliches Miteinander

Zum Thema Projektchöre sei sie hin- und hergerissen. Sie verstünde die Schwierigkeiten Einzelner, sich permanent zu binden, aber Projektchöre böten eben keine Kontinuität: sowohl Chorleitung als auch Mitglieder müssten sich ständig neu finden. Dennoch seien die Ergebnisse manchmal verblüffend gut. „Letztendlich geht es aber im Chor auch um die menschliche Begegnung und das partnerschaftliche Miteinander, um die Gemeinschaft.“ Das gehe eben bei Projektchören verloren.

Mit einem gewissen Schmunzeln blickt sie auf die ganzen, neuen Mitsingformate. „Ehrlich gesagt, gab es das alles schonmal in den 50er- und 60er-Jahren. Aus dem damaligen Offenen Singen ist heute das Rudelsingen geworden.“ Tatsächlich stammt das Konzept des Offenen Singens und der Rundfunksingstunde bereits aus den 20er-Jahren von Vertretern der Jugendmusikbewegung. „Der entscheidende Unterschied ist jedoch,“ so Auerbach, „dass beim Offenen Singen neue Stücke erarbeitet wurden, dazu wurden auch regelmäßig Liederblätter vom WDR und im Möseler Verlag veröffentlicht. Beim Rudelsingen wollen die Leute heutzutage ja das singen, was sie kennen: Schlager, Popsongs und Evergreens.“

Die Bemühungen, die Unterteilung zwischen E- und U-Musik zu überwinden, hält Auerbach für richtig. „Allerdings muss sich dies nun auch noch in den Schullehrplänen durchsetzen.“ Die jüngste digitale Entwicklung mit Lern-CDs und Übetracks überrascht Auerbach: „Aber die Lern-CDs werden ja offenbar gekauft, damit ist es auch eine weitere Chance, mehr Menschen zu erreichen.“ Dennoch sei es dann die Aufgabe der Chorleitung zu einer eigenen Interpretation zu finden, unabhängig von der digitalen Vorlage.

Auerbach, die 2023 ihren 90. Geburtstag feierte, verfolgt somit zwar noch aktiv und mit wachem Blick und ihrem großen Erfahrungsschatz die aktuelle Chor- und Laienmusikszene, selbst ist sie nun nicht mehr aktiv, sondern vor allem beratend tätig, um die jüngere Generation zu unterstützen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.

In ihren Dankesworten zur hiesigen Auszeichnung mit der Hans-Lenz-Medaille wird sie, wie auch im Gespräch mit der nmz, nicht müde, die Bedeutung der Amateurmusik zu betonen und bezieht sich dabei auf einen Ausspruch des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau: „Musik ist nicht das Sahnehäubchen, sondern die Hefe im Teig. Mit dieser Hefe schaffen täglich tausende von Musizierenden in unzähligen Laien-Ensembles der Chor- und Instrumentalmusik das Brot der künstlerischen Gemeinschaft und der Freude – für sich und andere. Eine wichtige und lohnende Aufgabe für unsere Gesellschaft.“

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