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Mit Fragen zur Musik im Internet beschäftigte sich ein Seminar im Rahmen des Kontaktstudiums der Robert-Schumann-Hochschule und der Schule für Rundfunktechnik in Zusammenarbeit mit dem WDR. Das Themengebiet umfaßte Probleme der Audiocodierung bis hin zu künstlerischen Präsentationsformen. In seinem Grußwort griff Professor Joachim-Felix Leonhard, Direktor der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main-Berlin, prinzipielle Probleme der „Musik in technischen Medien“ auf, die unter der Oberfläche technischer Innovationen gerne verschwinden: Autorität, Authentizität und Legitimität.
„Musik“, sang früher einmal Caterina Valente, „liegt in der Luft“, und der AFN-Frankfurt sendete „Music in the air“. Von irgendwoher kam diese Musik in das Radiogerät und gelangte von dort an unser Ohr, wenn nicht jemand eine Schallplatte aufgelegt hatte und so den gleichen Effekt, nämlich Musik zu hören, erzeugte. Diese Form des Musik-Hörens hatte – neben den öffentlichen Konzerten – bereits eine lange Tradition, an die man kurz erinnern darf:
Vergänglichkeit der Technik Foto: Tonstudio Burghardt & Sohn
Im Deutschen Rundfunkarchiv Frank-furt am Main–Berlin befindet sich unter den zahlreichen historischen Tondokumenten aus der Zeit vor 1945 ein Tondokument in Gestalt einer beim Abspielen von allerlei Ächzen und Krächzen begleiteten alten Werbe-Schellackplatte der Grammophongesellschaft aus dem Jahre 1908. In dieser Aufnahme vom Anfang des Jahrhunderts wird eine Projektion vorgenommen auf ein sogenanntes „Sprechmaschinenfest“ im Jahre 2000. Ähnlich den Zukunftsvisionen, wie wir sie von Aldous Huxley oder George Orwell, neuerdings natürlich auch von postmodernen Zukunftstheoretikern und Kritikern der Massengesellschaft wie Neil Postman und Paul Virilio kennen, äußert sich ein Sprecher zur Situation der menschlichen Kommunikation des Jahres 2000. Er begrüßt die Anwesenden des Sprechmaschinenfestes im Jahre 2000 und entschuldigt sich gleich zu Anfang mit dem Hinweis, daß nicht etwa ein Mensch die Anwesenden begrüße; vielmehr habe eine Sprechmaschine diese Funktion übernommen und biete mithin einen Ersatz für die menschliche Kommunikation. Sodann wird, in parodierender Weise und natürlich ohne zu ahnen, daß knapp 90 Jahre später bereits über Multimedia-Produkte „virtuelle Realität“ vermittelt werden könnte, ein Bild entworfen, in dem nicht mehr die Menschen selbst als Handelnde auftreten: an ihre Stelle haben sie Maschinen treten lassen, zwar noch nicht digital, sondern mechanisch-analog, die alle Funktionen, auch das „Sprechen, ja sogar das Denken“, übernommen hätten.
Utopie und Realität
Denkt man an virtuelle und digitale Studios, die es in der Gegenwart bereits gibt, so könnte eine Parodie des Jahres 1908 – umgekehrt zur sonstigen Erfahrung im Umgang mit Parodien – kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts Realität werden, auch wenn ansonsten Satire eher auf die Realität Bezug nimmt.
Genau vor 100 Jahren hatte ein gewisser Adolf Rechenberg seiner Frau einen Phonogrammapparat zum Weihnachtsfest 1899 geschenkt, wobei er auf der Wachswalze selbst den Apparat pries und zugleich die Vorzüge hervorhob, nämlich nun alles das, was in der Welt passiert (Konzerte und so weiter) zu Hause genießen und wiederholen zu können, so lange Lust und Laune ist. Wenn Musik heute im Internet, einem ursprünglich textualen Informationsnetz, vermittelt wird, wenn Musiktitel ohne Radiogerät und Schallplatte konsumierbar sind am anderen Ort, zu jeder Zeit, auch wiederholbar – was passiert da eigentlich, was hat sich, was wird sich ändern?
Die Schellackplatten vom Ende des 19. Jahrhunderts und vom Anfang des 20. Jahrhunderts sind als historische Ton- beziehungsweise neuhochdeutsch Audio-Dokumente in der Kommunikationsgeschichte als eine Art Zwischenergebnis auf dem Wege der Vermittlung von Wort und Ton nach der Erfindung der Edisonschen Tonzylinder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu betrachten und waren eindeutig vom Prinzip der materiellen beziehungsweise physischen Gebundenheit geprägt. Von einer solchen Schallplatte, aber genauso von Photos und Filmen, technisch: Stand- und Bewegtbildern, konnte es – bis in unsere Zeit – mehrere Exemplare geben, die wie Bücher und Zeitungen vervielfältigt, verbreitet und verkauft wurden. Mit Beginn des Rundfunks, also des Hörfunks, der in die „Runde“ und über den Äther ging, trat Anfang der 20er Jahre aber bereits eine Form der Verbreitung von Information und Kultur ein, die nicht mehr ausschließlich dem Gebot physischer Fixierung folgte. Entsprechend groß war dann das Problem, das einmal in den Äther Gesandte auch wieder „einzufangen“, das heißt zu archivieren, um es später wiederverwenden zu können; nicht unähnlich unseren heutigen Bemühungen, Dokumente des Internet nicht nur kurzfristig zu nutzen, sondern sie langfristig zu archivieren und zu erschließen. Tatsächlich folgten die Technik der Archivierung und die der Erschließung nach, da die Produktion im Vordergrund des Interesses stand und nicht etwa der auf der Archivierung beruhende Gedanke der späteren Wiederholung und Verwendbarkeit, ganz zu schweigen vom Aspekt der kulturgeschichtlichen Überlieferung und der kommerziellen Verwertung von Produkten geistiger und künstlerischer Kreativität. Die Form der Kommunikation, auch die Probleme der Archivierung und Wiedernutzung hatten Bestand, genauso, als das Fernsehen ab Anfang der 50er Jahre Information und Kultur, aber auch Unterhaltung unmittelbar und materiell zu den Interessenten brachte, also nicht etwa über gegenständliche Vermittler, um beim Vergleich zu Büchern und Schallplatten zu bleiben, sondern direkt in die Wohnstube.
Das Gesagte bezieht sich freilich nicht allein auf die Sendungen des Hörfunks und Fernsehens als audiovisuelle Dokumente der Zeit und ihrer Geschichte. Es gilt in gleicher Weise für alle Sammlungen, die sich mit der Archivierung und Benutzung von Ton- und Bildquellen jeder Art befassen: Stets ist zunächst urheberrechtlich, wenngleich nicht immer im physischen Sinne, von einem Exemplar, einem Unikat auszugehen, bei dem die rechtlichen wie technischen Rahmenbedingungen zu beachten waren und sind. Ganz besonders gilt dies natürlich für Rundfunksendungen: Für die jeweilige Ausstrahlung und Verbreitung müssen unter Berücksichtigung der rasanten technischen Entwicklungen und Veränderungen in der technologischen Generationenfolge sowohl die urheberrechtlichen als auch lizenz- und verwertungsrechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Und so scheinen gewisse Grunderfordernisse für all jene Gültigkeit zu besitzen, die sich mit der Bewahrung, Erschließung und Benutzung audiovisueller Dokumente – das heißt zunehmend eigentlich digitaler Zeugnisse im digitalen Zeitalter – beschäftigen. Im Hinblick auf die entmaterialisierte und globale, unabhängig von Zeit und Raum sich verstehende Wissensvermittlung, die auch die Vermittlung gleichartiger Formen der Kommunikationstechnik ist, sind wir längst dabei, den Gang vom analogen Informationsträger für Text, Ton und Bild zum digitalen Dokument zu vollziehen. Eine Entwicklung, bei der wir eher am Anfang stehen und Quantensprünge mit marktwirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu erwarten haben.
Drei Grundfaktoren
Ungeachtet aller Diversifikationen, die sich mit der Eröffnung neuer Techniken, aber auch neuer marktorientierter und politisch gewollter Strategien der pluralistischen Gesellschaft ergeben haben, gelten nach wie vor die nachfolgenden drei Grundfaktoren für diese Formen der Informations- und Dokumentenvermittlung im Primärverständnis des Vermittlungsauftrages: Erstens die Autorität über die Bestände, das heißt die präzise Bezeichnung der individuellen und/oder kollektiven Urheberschaft, zweitens die Authentizität, die Desinformation und Manipulation vorbeugen soll, und beide Gebote münden schließlich in der Frage der Legitimität, mit der die Nutzung erfolgt: Nur wer über diese in sich kausal verbundenen Faktoren verfügt, gewährleistet, daß der Inhalt ein Gut bleibt, das der Vermittlung und Kultur dient und zugleich die Kommunikation der Gesellschaft bestimmen kann. Dabei sind Urheber- und Leistungsschutzrechte ebenso zu berücksichtigen und in die Strategiebildung einzubeziehen wie die Verwertungsrechte, ein Postulat, dem jetzt in den USA, aber sicher auch in Europa, Bedeutung zugebilligt wird, da sich Vorformen bereits in der Gegenwart dokumentieren. So stellt sich auch die Frage, ob wir nicht – analog zur Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und vor allem zur GEMA – ein operationales System zur Verwertung geistigen und künstlerischen Eigentums, das in elektronischen Wegen und Speichern deponiert ist, brauchen.
Nun soll dieser Beitrag ja keineswegs historisch retrospektiv orientiert sein und die Primärfunktion des Rundfunks erläutern. Weit wichtiger erscheint die Frage, welcher Formen und Verfahren sich die öffentliche Vermittlungskultur hinsichtlich ihrer Infrastruktur für Wissensvermittlung und Dokumentenbeschaffung bedienen wird und welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten sich nicht nur für Rundfunkanstalten im Zeitalter globaler Netze bieten. Dabei ist bei letzterem nicht nur der Frage nachzugehen, ob das, was heutzutage über Netze verbreitet wird, also auch elektronische Zeitschriftenaufsätze oder Faktendatenbanken, Ton- und Bilddokumente, nicht möglicherweise und eigentlich Rundfunk im klassischen Sinne darstellt, eine Diskussion, die derzeit in nicht wenigen Ländern der Welt schon deshalb stattfindet, weil sich Rundfunk und Netzanbieter – neuhochdeutsch: sogenannte content provider – im Sinne weitverbreiteter Marktstrategien bei gleichzeitig stattfindenden kartellrechtlich nicht unproblematischen Konzentrationsbildungen als Konkurrenten empfinden müssen. Das wirkt sich auf den Musikmarkt, auf den Konsumenten, die Anbieter und Produzenten, auf die Entwicklung insgesamt aus.
Was mag dies alles bedeuten für die Frage der Musik im Internet? Lassen Sie mich daher ein paar Anmerkungen zu Fragen der Verbreitung machen, bei der es sich im Grunde genommen um gleich drei Problemkomplexe handelt:
Die Grundfrage lautet
Was wird verbreitet? Neben der Verbreitung über Konzerte, Tonträger und Rundfunk wird Musik auch im Internet verbreitet. Dabei handelt es sich um: Klangbeispiele, die den klassischen Konsum von Musik anregen, die Informationen transportieren, bei der die Qualität nicht im Vordergrund steht, ferner um Musik in CD-Qualität, die als Konkurrenz zur klassischen Verbreitung von Musik auf Tonträgern steht, und um MIDI-Dateien, mit deren Hilfe Musikstücke durch elektronische Musikinstrumente realisiert werden können. Neuerdings werden auch abspielbare Partituren und Aufführungsmaterial, die von Musikverlagen angeboten werden könnten, verbreitet und endlich Rundfunkprogramme; bei letzteren können entweder bereits gesendete Programme wieder aufgerufen werden oder aber auch Programme von Sendern gehört werden, die weder über Kabel noch terrestrisch angeboten werden (fremde Länder, fremde Sprachen). Beispiele hierfür sind Bayern 5 und Deutsche Welle, die bis nach Chile empfangen werden können.
Gehen wir über zum zweiten Fragenkomplex: Wie wird verbreitet?
Trotz Internetboom sind der Verbreitung von Musik im Internet bestimmte technische, wirtschaftliche und rechtliche Grenzen gesetzt. Prinzipiell gilt: je besser die Audioqualität, um so größer ist die Datenmenge, die übertragen werden muß. Je größer die Datenmenge, um so schneller müssen die Netze sein. Es gibt deshalb Datenformate und Kompressionsverfahren, die die Datenmenge reduzieren. Welche Verfahren eingesetzt werden, hängt von der Verwendung der Musik ab. Zu Informationszwecken genügt oft „Mittelwellenqualität“ (Real Audio), für „CD-Qualität“ gibt es andere Verfahren, vor allem MPEG.
Eine weitere Frage betrifft den finanziellen Aufwand: Solange der Internetzugang für ein paar Stunden so teuer ist wie die Rundfunkgebühren für ein paar Monate, sind dem Zugang zum Internet Grenzen gesetzt.
Wer garantiert die Einhaltung von Urheber- und Leistungsschutzrechten bei einer Verbreitung von Musik losgelöst vom Tonträger, an den bisher die Rechte gebunden waren?
Last but not least gilt: solange der Internetzugang nur über PC möglich ist, ist er für die große Mehrzahl der potentiellen Konsumenten viel zu kompliziert. Heute muß für neue Software oft die gesamte Hardware ersetzt werden.
Schließlich die dritte Frage: Wer verbreitet? Es sind dies Eigentümer von Rechten, die kostenlos verbreiten, ferner Eigentümer von Rechten, die Geld verdienen wollen/müssen. Diese aber tun sich noch schwer. Ein allgemeingültiges, zuverlässiges und technisch einfaches Verfahren zur Sicherung der Rechte und zur Abrechnung gibt es derzeit noch nicht. Da die Rechte aber nicht mehr an einen Tonträger gebunden sind, sind solche Verfahren dringend notwendig. Versuche, ein von den Rechteinhabern kontrolliertes Verschlüsselungsverfahren durchzusetzen, sind noch in den Anfängen (Majors und IBM). Mit dem ISRC steht zwar ein zunehmend genutzter Schlüssel zur Verfügung, der aber nur auf der CD, nicht im Audiofile festgehalten wird. Nicht zu vergessen illegale Verbreiter, nämlich Raubkopien.
Diese sind als MPEG-Dateien schon weit verbreitet und leicht über das Internet abzurufen. Der Kampf gegen diese illegalen Anbieter durch die Rechteinhaber schränkt die Verbreitung von Musik im Internet wieder ein. Schon jetzt ist gewaltig, was sich mit Musik im Internet verbindet: So erbringt eine globale Recherche mit der Suchmaschine „excite“ 3.769.607 Nach-weise mit Datenbanken zu Musik auf CD oder zu Musikshops mit traditionellen Tonträgern, aber auch mit MPEG- oder MIDI-Dateien.
Neue Institutionen
Fürs erste mag dies reichen: Das Internet bietet freilich darüber hinaus neue Formen der Kooperation, wo sonst neue Institutionalisierungen notwendig gewesen wären: So haben sich in einem neuen Musik-Informations-Zentrum (MIZ) gleich mehrere Institutionen zusammengefunden, die in dem vom Deutschen Musikrat ins Leben gerufenen und mit Fördermitteln des Bundesministers des Innern (BMI), jetzt Bundesministers für Kultur und Medien (BKM) finanziertem Netzwerk Datenbanken verknüpfen: Dazu gehören die vom MIZ selbst aufgebauten Informationsmöglichkeiten wie die des Musik-Almanachs in elektronischer Form und wie die Datenbanken der GEMA und des DRA mit der umfassenden Dokumentation des Schallplattenmarktes (ZSK) und den Musiksendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Auch dies ist eine Form der Musik im Internet.
Stets steht hinter allen Angeboten die geistige und intellektuelle Leistung einzelner, die es zu berücksichtigen gilt. Wenn dies nicht geschieht, so erleben wir einen Ausverkauf der Individualrechte, wie es ihn aus Devisengründen schon zu DDR-Zeiten gab: damals nämlich wurden Mitschnitte aus den Archiven außer Landes gebracht, bei Firmen zu neuen Labels gepreßt und mit nicht geringem Gewinn verkauft. Geschäfte auf Kosten Dritter.
Hier ist Aufmerksamkeit gefragt: sonst nämlich können wir – wie beim Sprechmaschinenfest des Jahres 1908 für das Jahr 2000 – die Maschine für uns agieren lassen. Sprechen und Singen, Denken und Handeln. Bis zum Jahre 2000 ist es nicht mehr weit.