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Musikalische Eingriffe im Baseball-Stadion

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Yankees-Legende an der Hammond-Orgel: Eddie Layton &middot
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Unten auf dem Baseball-Feld in der Bronx wird die Plastikplane vom Rasen gezogen. Die Reihen im Yankee-Stadium füllen sich mit Fans. Doch noch ist nicht sicher, ob wegen der starken Regenfälle das Spiel überhaupt stattfinden kann. Hinter den Kulissen des Stadium laufen die Telefondrähte heiß, jeder verfügbare Fernseher ist auf den Wetterkanal gestellt. Starke Gewitter sind für den Abend angekündigt. Manager, Organisatoren und PR-Leute laufen aufgeregt durch die Gänge. Nur ganz oben im Stadion, in einem zwei mal zwei Meter kleinen Glaskubus, der über der Galerie für die Fernsehteams thront, ist es vollkommen ruhig.

Es ist kurz nach sechs Uhr. Eddie Layton zündet sich eine letzte Zigarette an, bevor er zum Auftakt des Spiels New York Yankees gegen Toronto BlueJays „New York, New York” anstimmen wird. Zwar ist es im ganzen Stadion nicht erlaubt zu rauchen, aber nach vier Jahrzehnten will niemand dem fast 80-jährigen Organisten diese Gewohnheit verbieten. Es gibt einfach Traditionen, die man nicht brechen darf. Gerade in den USA, einem Land, dem stets zu wenig Kultur vorgeworfen wird, hält man alles eisern hoch, an das man selige Kindheitserinnerungen hat. Und dazu gehören beim Baseball eben nicht nur Käppis, Hot Dogs und Cracker Jack, sondern auch Eddie Layton und seine Hammond-Orgel. Layton ist seit genau 38 Jahren offizieller Organist im Yankee-Stadium – Eddie Layton ist eine Legende.

Der Organist kennt jeden Spieler, jeden Trick – und scheut sich nicht zu behaupten, „die Yankees bei so manchem Match zum Sieg gespielt zu haben.” Bevor nicht eine von Layton intonierte Hymne knarzend und quäkend durchs Stadion tönt, kann kein Spiel beginnen. Bevor er zum Schlachtruf in die Tasten greift, schweigen die Fans. Die Stimmung steigt und fällt mit den Orgel-Akkorden. Layton und seine Hammond gehören ins Yankee-Stadium wie Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffanys“, wie die New York Philharmonics ins Lincoln Center.

Dabei lehnte Layton den Job als Organist der Yankees anfangs ab. „Ich hatte damals keinen blassen Schimmer von Baseball”, erklärt Layton. „Außerdem lebte ich in Queens, Subway-Stunden weg von dem Stadion in der Bronx und konnte nicht Auto fahren.” Als die New York Yankees ihm dann aber eine Limo mit Fahrer offerierten, konnte der gewitzte Gentleman nicht mehr nein sagen. Heute zählt der Chauffeur, Herb Steier, zusammen mit dem mittlerweile weit über 80-jährigen Stadium-Sprecher Bob Sheppard, zu seinen besten Freunden. Vor jedem Spiel sitzen die drei in der Kantine neben dem Vorfeld und tauschen bei Kaffee, Kartoffelpüree, weich gekochtem Schinken und Vanille-Pudding Erinnerungen aus. Und davon gibt es – nach fast 3.500 Spielen – eine Menge.

Vor seinem Engagement bei den New York Yankees im Jahr 1967 intonierte Layton verschiedene Seifenopern für CBS. Da dem Fernsehsender damals auch das Yankee Baseballteam gehörte, lag die Idee nicht fern, Layton als Stadium-Spieler anzuheuern. „Wenn ich es mir genau überlege, ist Baseball gar nicht so verschieden von den Fernseh-Shows“, gesteht Layton heute. „Beides ist sehr dramatisch. Einem ungeübten Zuschauer mag das seltsam anmuten, aber spannend ist beim Baseball ja genau das, was nicht passiert“, erklärt Layton, der sich heute als großer Fan bekennt.

Trotzdem, wäre da nicht der Sonnenuntergang, der den grünen Rasen des Stadions an schönen Abenden in ein goldenes Licht taucht, der Geruch nach frischem Popcorn und Würstchen, diese Mischung aus Feierabendstimmung und Fan-Nervosität, für einen Nichtkenner wäre es schwierig, sich mitreißen zu lassen von den paar Figuren auf dem Feld, die mal den Schläger schwingen, mal den Ball fangen, manchmal von Base zu Base laufen, und manchmal sogar einen Home-Run. Trotzdem, Layton hatte es schon beim ersten Spiel erwischt. „Ich konnte einfach nicht anders“, sagt er. „Ich griff mitten im Baseball-Spiel in die Tasten.“ Ein bis dahin unerhörtes, ungehörtes musikalisches Intermezzo. Eigentlich sollte Layton die Fans nur zwischen den Innings (also zwischen den einzelnen Spielsätzen) bei Laune halten, aber es kam wie es kommen musste: „Es war ein schwüler Sommernachmittag, die Yankees lagen einige Punkte zurück, die Fans waren müde und gelangweilt”, erinnert er sich. „Da musste ich sie einfach anfeuern.” Noch heute fangen die Fans an zu jubeln, wenn Laytons „Babatataamtataam“ durch das Stadion dröhnt. Unnötig zu erwähnen, dass die Yankees dieses Spiel gewannen, die Manager beide Daumen nach oben hielten und Layton seine erste Gehaltserhöhung gaben, sowie die absolute musikalische Narrenfreiheit.

Über die Jahre hinweg hat Layton dem Yankee-Stadium einen eigenen Ton gegeben, mit einzigartigen Akkord-Kombinationen und Melodie-Versatzstücken, die er selbst seine „proven war-horses” (erprobte Kavallerie) nennt. „Ich spiele alles, was funktioniert, was Fans und Spieler anheizt”, sagt er, etwa den „Mexican Hat Dance”, „Hava Nagila” oder eine Akkordfolge aus „The Hour Dance”. Viele Baseballstadien adaptierten mit den Jahren Laytons Stadion-Klassiker und Schlachtruf-Akkorde, sogar einige Werbefilme wurden damit vertont. „Die Fans warten auf Eddie, bevor sie applaudieren“, erklärt Stadionsprecher Bob Sheppard, genannt „The Voice of the Yankees“.

In seinen besten Zeiten hatte Layton für jeden Spieler eine eigene kleine Melodie. Seinem Freund Mickey Mantle, einem begnadeten Baseballspieler in den 60-er Jahren, der an einer seltenen Knochenkrankheit litt, widmete er mehrere Songs. Und mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen stimmt er Mickeys Lieblingssong – Judy Garlands „Somewhere over the rainbow“ – an, die beiden anderen alten Herren summen mit.

Noch heute schreibt niemand Eddie Layton vor, welche Songs er im Stadion spielen soll. Doch mehr und mehr wird Laytons Life-Stadion-Soundtrack von produzierten Jingles und Songs von CD ergänzt, die irgendwie moderner und auch frischer klingen, aber es fehlt das altbekannte, vertraute heimelig Hammond-Quäken. Layton nimmt es gelassen: „Das bedeutet einfach nur weniger Arbeit für mich“, sagt er, legt dabei jedoch seine Hände auf die Orgel-Tastatur, als ob er beweisen wolle, dass er durchaus in der Lage sei, mehr zu spielen, als er es heute noch tut.

Eddie Layton war Sieben als er seine ersten Klavierstunden bekam. “Ich hatte eine typisch klassische Ausbildung.” Noch heute sind Strauss, Bach und Beethoven seine Lieblingskomponisten. Dennoch entschloss sich Layton mit 15 gegen eine klassische Karriere und wählte die Hammond-Orgel als sein zukünftiges Instrument. „Musik, das ist Harmonie, Melodie und Rhythmus. All das kann die Hammond”, erklärt er. Unterrichtet wurde Layton von keinem geringeren als Jesse Crawford, der in den 30ern Organist des Paramount Theater am New Yorker Times Square war und bekannt wegen der chromatischen Läufe, mit denen er den vielfach kopierten, gerne als emotionales Crescendo verwandten, „Portamento”-Effekt kreierte.
Offiziell Musik studiert hat Layton nie, obwohl er durchaus über Kompositions-Kentnisse verfügt. Auch an einer Band hatte Layton nie großes Interesse. Ihm ging und geht es einfach darum, zu spielen, diesen wunderbaren, einmaligen Klang der Hammond-Orgel auszukosten, weshalb ihn die Firma Hammond dann auch als Internationalen Solisten für die Hammond B-3 engagierte.

Seine Profi-Karriere startete Layton in der Navy, als Organist der Naval Air-Station in Lyndenhurst, New Jersey. Nicht ungewöhnlich für einen Musiker in der Zeit des 2. Weltkriegs. Nach seinem Dienst für´s Vaterland spielte er im legendären New Yorker Nachtclub Copacabana. Ein Engagement, das ihm die Türen zum nationalen Hörfunk öffnete. Layton war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, hatte sein Handwerkszeug gelernt und die richtigen Kontakte gemacht. Lange Zeit spielte er noch regelmäßig live im Park Sheraton Hotel als Lounge-Pianist.

Anfang der 60er melodramatisierte er die Seifenopern „Secret Storm”, “Love of Life” und „Love is a Many Splendid Thing” für CBS live mit seinen Hammond-Klängen. Mercury (Epic) Records nahm Layton unter Vertrag. „Mitte der 60er hatte ich alle großen Städte in den Vereinigten Staaten bereist und hatte 100 Konzerte in Europa gegeben.” Noch heute spielt er auf spezielle Einladung vor einigen Shows in der berühmten Radio City Hall die gigantische Wurlitzer Orgel und selbst im Yankee-Stadium trägt er die Hockey-Jacke des Teams der Long Island University, das er ebenfalls mit seinen Orgelklängen anfeuert. Baseball, Hockey und College-Football, das sind die Sportarten, deren „Action“-Moment in den USA traditionell mit einem Live-Soundtrack dramatisiert wird. Am College sind es die Marchingbands, die ihre Teams anfeuern, den Stadien geben Organisten ihren persönlichen Klang-Charakter. Layton spielt hier ganz vorne mit.

Und so ist für den fast 80-Jährigen – trotz mehr als 50 Platten (vorwiegend für Epic und Mercury), weltweit vollen Konzerthallen, Fernsehshows, Radioauftritten und Touren rund um den Globus – sein Engagement bei den New York Yankees „der beste Teil meiner Karriere”. Immerhin spielt er vor 55.000 Fans wenn das Stadion voll ist – und dann natürlich seine Lieblingslieder: „Take me to the ballgame”, „Somewhere over the rainbow”, „Bring on the Yankees”. Viele davon wurden zu Laytons 30-jährigen Jubiläum von SilvaScreen Records auf der Scheibe „Ya Gotta Have Heart” verewigt, die mittlerweile Gold eingespielt hat.

Einige der Original-Noten liegen etwas angegraut und mit Eselsohren, aber säuberlich zu einem Stapel geschichtet, links neben der Hammond-Orgel. Das Stück Pappkarton, das Layton über die Klimaanlage geklebt hat, flattert im Wind des etwas zu kühlen Luftstroms. Layton drückt seine Zigarette aus, zieht sich die Kopfhörer über sein HipBob-Records Käppi und stimmt „New York, New York” an. Während er sich die Noten für die Kanadische Nationalhymne heraussucht, wird das Spiel dann doch abgesagt. Fans und Spieler verlassen das Stadion – auch Layton macht sich auf den Weg nach draußen – für heute zumindest. „Ich habe nicht vor, aufzuhören für die Yankees zu spielen. Nicht in den nächsten 20 Jahren”, sagt er.

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