In diesem Jahr hat die „Digitale Bibliothek“ aus Berlin damit begonnen, neben Büchern (vornehmlich enzyklopädischen Charakters, Anthologien, Gesamtwerke) und Sammlungen von Werken der Bildenden Kunst (im Yorck-Projekt) Musik gesammelt zur Verfügung zu stellen. Dafür hat man eigens eine „Gesellschaft für Musikarchivierung“ unter dem Label „Aretinus“ gegründet. In kurzer Zeit sind zehn DVDs mit Portraits von Komponisten erschienen (Vivaldi, Händel, Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Dvorák und Brahms; zu je etwa 40 Stunden Musik) und eine drei DVDs umfassende Sammlung von „1.000 Meisterwerken der klassischen Musik“ (67 Komponisten vom Barock bis zur Spätromantik mit etwa 275 Stunden Musik). Alles in allem also eine Musikbibliothek im Umfang von 675 Stunden Musik oder – in alter Währung – von etwa 500 CDs. Das alles ist gar nicht einmal teuer, sondern ausgesprochen günstig. Die „1.000 Meisterwerke“ kosten 39,90 Euro, die Einzelausgaben komplett 169,90 Euro oder einzeln 24,90 Euro im nmz-shop (Angebot bis Ende 2006, solange der Vorrat reicht).
Nun ist der Preis nur ein Kriterium, ein nicht geringes anderes ist selbstverständlich die Qualität. Technisch gesehen handelt es sich bei den vorliegenden Daten um MP3-Daten, also datenkomprimierte Versionen „reiner“ Musik. Bei den Ausgaben hat man den Versuch unternommen, bei der Kompression eine hohe Qualität zu erhalten. Im Durchschnitt handelt es sich um eine Bitrate von 224 kBit (in Onlineshops für Popmusik sind es gewöhnlich nur 128 kBit). Zur Kompression hat man den LAME-Encoder verwendet, einen freien Codex im Gegensatz zum berühmten Codex des Fraunhofer-Instituts. Zudem liegen die sogenannten Meta-Daten bei, die genauere Informationen über die einzelnen Dateien verraten (in den Formaten ID3v1 und ID3v2). So erhalten Nutzer dieser DVDs in MP3-fähigen Endgeräten gegebenenfalls durchaus Zusatzinformationen über die einzelnen Stücke wie „Interpret“ oder „Jahr“. Allerdings unterliegen diese Meta-Informationen systembedingt gewissen Einschränkungen, weil diese Daten auf den Bereich der Popmusik zugeschnitten sind. Der Komponist interessiert in diesem Bereich relativ wenig. Statt des Komponisten zeigen gewöhnliche MP3-fähige Abspielgeräte den Interpreten und den Titel des Stückes an. Aus diesem Grunde weisen zahlreiche Abspielgeräte statt des Interpreten an dieser Stelle den Komponisten aus, die Interpreten wandern stattdessen in das Feld „Beschreibung“. Dieses Manko der MP3-Katalogisierung von Kunstmusik ist bekannt, eine Lösung ist allerdings nicht in Sicht. Mit diesen Einschränkungen muss man leben. Bei den „1.000 Meisterwerken“ erwies sich offenbar der Eintrag ins Feld „Jahr“ als problematisch. Eigentlich sollte dieser mit irgendetwas Nützlichem korrespondieren, Aufnahme-Datum oder besser Entstehungszeit. Bei Mahler steht da jedoch beispielsweise immer 1885, bei Mozart 1781, bei Bruckner 1849. Die anderen Komponisten dürften ebenso betroffen sein. Offenbar ein Fehler bei der automatisierten Verarbeitung einer Datenbank. Auf Nachfrage hat die Digitale Bibliothek versprochen, diesen Mangel in späteren Revisionen der „1.000 Meisterwerke“ zu korrigieren.
Die DVDs selbst sind selbstverständlich nicht kopiergeschützt oder mit Mitteln eines Digital Rights Managements limitiert. Alle Daten können so häufig kopiert werden, wie man will, und auf welches Gerät auch immer, sofern es sich für Datenspeicherungen eignet. Von der DVD auf den MP3-Player oder auf eine CD zu kopieren, dürfte mit den gängigen Programmen keine Schwierigkeiten bereiten. Ein Booklet liegt den DVDs nur noch in elektronischer Form als PDF bei – auch hier war die erste Absicht, Kosten einzusparen (das Booklet für die „1.000 Meisterwerke“ umfasst gut 60 Seiten, nur mit den Namen der Werke und ihrer Interpreten). Die Qualität der einzelnen Aufnahmen dieser umfangreichen Sammlungen zu überprüfen, konnte aus nachvollziehbaren Gründen nicht erfolgen (der Rezensent hätte dazu schließlich Tag und Nacht etwa 28 Tage benötigt). Dennoch lässt sich einiges über die verschiedenen Ausgaben sagen. Grundsätzlich handelt es sich bei dem verwendeten Material um vorliegende Aufnahmen aus den Katalogen verschiedener Labels: Brillant Classics, Joan Records und Mediaphon. Diese haben für die verschiedenen Komponisten CD-Kartons gefertigt. Die Auswahl der Interpreten und Werke der vorliegenden Ausgaben der Digitalen Bibliothek übernehmen die Qualität und die Mängel dieser CD-Konfektionen.
Was die Werkauswahl angeht, sind Lücken selbstverständlich und unumgänglich. So beinhaltet die Haydn-DVD zwar das Klavierwerk sehr umfangreich, dafür fehlen jedoch die Streichquartette komplett (die jedoch ausschnittsweise in der DVD-Sammlung der „1.000 Meisterwerke“ auftauchen). Manche weitere Lücke wäre vermutlich leichter zu beheben gewesen. In den „1.000 Meisterwerken“ sind auch Sinfonien von Bruckner und Mahler dabei, allerdings auch nicht komplett (Mahler 1, 2, 5, 6 und das Adagio der 10.; bei Bruckner 2, 4, 6, 7, 9). Oder bei Debussy, bei dem das Booklet die 12 Préludes (Heft 1) mit Peter Schmalfuss ankündigt, am angegebenen Ort finden sich jedoch nur die Nummern 7, 8, 10 und 12. Ähnlich der Fall bei den Kinderszenen von Robert Schumann. Solche Ungeschicklichkeiten wird man hinnehmen müssen. Ein Mangel im emphatischen Sinne sind sie nicht, sieht man in erster Linie auf den Preis. Fehlerhaft dagegen ist die Auswahl bei Grieg. So firmieren die gleichen Aufnahmen einmal unter Norwegische Bauerntänze für Klavier op. 72 und zugleich als Norwegische Hochzeitstänze. Das angegebene „Slowakische Philharmonische Orchester“ unter den Dirigenten Bystrik Rezucha und Libor Pesek ist erstaunlich still. Bei der Brahms-DVD leidet das Liedschaffen sehr unter der Auswahl der Interpreten, vor allem im Vergleich mit den Aufnahmen Schuberts. Die Aufnahmen sind nicht unbedingt schlecht, jedoch vor allem älteren Datums – durchwegs zwischen 1937 und 1944 aufgenommen – und nennen sich deshalb historische Aufnahmen. Unter den Sängern finden sich Hans Hotter, Julius Patzak, Elisabeth Schwarzkopf oder Aulikki Rautavaara. Anders bei der Schubert-DVD: „Die schöne Müllerin“ (Peter Schreier, Walter Olbertz 1974), „Schwanengesang“ (John Shirley-Quirk, Steuart Bedford 1977) und „Winterreise“ (Robert Holl, Num Grubert 1995). Die Werkinterpretationen sind bei den „1.000 Meisterwerken“ in gewissem Sinne pluralistisch; das heißt zum Beispiel, dass jede Bruckner-Sinfonie von einem anderen Orchester und einem anderen Dirigenten eingespielt worden ist. Aber es gibt auch Konsistenz: Die Schubert-Sinfonien spielt The Hanover Band unter Roy Goodman. Was einem lieber ist, ist Geschmackssache. Vorab sollte man sich, will man unangenehme Überraschungen vermeiden, die Booklets aus dem Internet laden und genau durchschauen.
Über diese Beschränkungen muss man sich im Klaren sein. Wie erwähnt, es handelt sich nicht um Hochpreis-Produkte, die übrigens auch nicht automatisch für Qualität bürgen. Jenseits solcher Aspekte stellt sich eigentlich nicht die Frage, ob diese Editionen sich lohnen. Billiger und umfangreicher kommt man nicht an Musik, jedenfalls nicht legal – es sei denn, man hat in seinem privaten Umfeld jemanden, der noch mehr Musik besitzt und verleiht, und man findet die Zeit, die Musik entsprechend aufwendig in das MP3-Format zu kodieren. Abgesehen davon kann man, je nach Geschmack, beispielsweise die historischen Aufnahmen des Liedschaffens von Brahms als Eigenwert auffassen. Und natürlich gibt es viel Musik, die die meisten wohl nicht unbedingt kennen: zum Beispiel die Bagatellen op. 47 wie auch sämtliche Streichquartette Dvoráks oder die „Missa canonica“ WoO 18 von Brahms und viele andere Schätze des musikalischen Schaffens der Portrait-Komponisten.
Pläne für weitere Portraits gibt es bei der Digitalen Bibliothek, ein Verkaufserfolg sind die „1.000 Meisterwerke“ schon jetzt. Wünschenswert wäre es, den Zeitraum der erfassten Musik bis ins Mittelalter zu erweitern – auch um dem Namensgeber des Unternehmens, Aretinus, also Guido von Arezzo, die Ehre zu erweisen. Die Moderne wird aus urheberrechtlichen Gründen weiterhin tabu bleiben. Anzuregen wäre auch eine Ergänzung mit außereuropäischer Musik, wie sie in alten Dokumenten verstreut in Archiven vorliegt. In Ergänzung der traditionellen Vertriebswege denkt die Digitale Bibliothek auch darüber nach, die Musik auf Downloadbasis anzubieten.
Im nmz-shop
1.000 Meisterwerke der klassischen Musik
275 Stunden MP3: Das große MP3-Paket; DVD – 3 DVD-ROMs zum Sonderpreis (nur solange der Vorrat reicht).
www.nmz-shop.de, Bestell-Nr.: NMZ 198– DVD 1: Bach Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 188)
– DVD 2: Beethoven Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 189)
– DVD 3: Brahms Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 190)
– DVD 4: Dvorák Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 191)
– DVD 5: Händel Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 192)
– DVD 6: Haydn Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 193)
– DVD 7: Mendelssohn Bartholdy Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 194)
– DVD 8: Mozart Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 195)
– DVD 9: Schubert Meisterwerke –40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 196)
– DVD 10: Vivaldi Meisterwerke – 40 Stunden MP3
(Bestellnummer NMZ 197