In enger Kooperation mit der Uniklinik und der Hochschule für Musik und Theater Leipzig führte der AMJ im Februar erstmals eine mit über 100 Chorleitern und Stimmbildnern total ausgebuchte Veranstaltungsreihe zur „Kinder- und Jugendstimme“ durch. Sie schloss sich an das 13. Interdisziplinäre Phoniatrie-Symposium an, das in langer Tradition Stimmärzte aus ganz Europa zusammenführt. Zum Symposium gehörten Vorträge zu gesangspädagogischen, stimmphysiologischen und phoniatrischen Grundlagen: „Stimme und Beruf“ (Stimmprobleme bei Lehrern, Stimmfeldmessung bei der Vorhersage von berufsbedingten Stimmstörungen), „Das Kind in der phoniatrisch-pädaudiologischen Sprechstunde“ (heisere Kinder, Korrelation von rhythmischen Fähigkeiten und schweren Sprachstörungen), „Singen und Hören“ (Einfluss des Hörens auf die stimmliche Entwicklung, Einfluss tradierter Hörgewohnheiten in der Wahrnehmung/Unterscheidung von Knaben- und Mädchenstimmen), „Die Kinder- und Jugendstimme im Stimmfeld“ (neue Studien zu Sing-/Stimmumfängen), „Die Kinder- und Jugendstimme aus interdisziplinärer Sicht“ (allgemeine Pubertätsentwicklung, entwicklungspsychologische Besonderheiten dieser Zeit), „Mutation“ (biopsychosoziale Aspekte, mutantenbegleitende Stimmbildung). – Die Vorträge und Abstracts sind seit Mitte März unter www.medicstream.de abrufbar. – Zu den Vorträgen kamen drei Workshops, über die Brigitte Siebenkittel, Leiterin des Neuen Knabenchors Hamburg berichtet:
In enger Kooperation mit der Uniklinik und der Hochschule für Musik und Theater Leipzig führte der AMJ im Februar erstmals eine mit über 100 Chorleitern und Stimmbildnern total ausgebuchte Veranstaltungsreihe zur „Kinder- und Jugendstimme“ durch. Sie schloss sich an das 13. Interdisziplinäre Phoniatrie-Symposium an, das in langer Tradition Stimmärzte aus ganz Europa zusammenführt. Zum Symposium gehörten Vorträge zu gesangspädagogischen, stimmphysiologischen und phoniatrischen Grundlagen: „Stimme und Beruf“ (Stimmprobleme bei Lehrern, Stimmfeldmessung bei der Vorhersage von berufsbedingten Stimmstörungen), „Das Kind in der phoniatrisch-pädaudiologischen Sprechstunde“ (heisere Kinder, Korrelation von rhythmischen Fähigkeiten und schweren Sprachstörungen), „Singen und Hören“ (Einfluss des Hörens auf die stimmliche Entwicklung, Einfluss tradierter Hörgewohnheiten in der Wahrnehmung/Unterscheidung von Knaben- und Mädchenstimmen), „Die Kinder- und Jugendstimme im Stimmfeld“ (neue Studien zu Sing-/Stimmumfängen), „Die Kinder- und Jugendstimme aus interdisziplinärer Sicht“ (allgemeine Pubertätsentwicklung, entwicklungspsychologische Besonderheiten dieser Zeit), „Mutation“ (biopsychosoziale Aspekte, mutantenbegleitende Stimmbildung). – Die Vorträge und Abstracts sind seit Mitte März unter www.medicstream.de abrufbar. – Zu den Vorträgen kamen drei Workshops, über die Brigitte Siebenkittel, Leiterin des Neuen Knabenchors Hamburg berichtet:Mimi, Rudolph, Musette und der Kinderchor bei Puccini, die mutierenden Jungs vom Thomanerchor und dem Stadtsingechor Halle, die ebenso mutierenden Mädchen der Schola Cantorum, der Chansonnier beim abendlichen Büfett: eins können sie alle – SINGEN! Und das sicherlich schon von Kindesbeinen an! Die Oper „La Bohème“ war neben der Freitagsmotette, musikalisch gestaltet vom Stadtsingechor zu Halle (geleitet vom AMJ-Vorsitzenden Helmut Steger), ein Teil des Begleitprogramms der Workshops. In denen ging es selbstverständlich nicht darum, möglichst so schön zu singen wie Mimi mit dem eiskalten Händchen, sondern vielmehr um die Pflege und Gesunderhaltung, die richtige Schulung und den verantwortlichen Aufbau der Kinder- und Jugendstimme. Vor allem Stimmbildner waren hier gefragt. Aber natürlich ebenso Chorleiter, Kantoren, Musiklehrer aus allen Schularten, Gesangspädagogen, Dozenten und Professoren. Dass jede Art von Chorleitung bei Spitzenchören wie bei normalen Schul- und Kinderchören, bei Knaben- wie bei Mädchenchören gleichzeitig und im besten Sinne ständig Stimmbildung ist, wusste beispielsweise KMD Sabine Horstmann ganz genau. Sie war es, die strukturiert und kenntnisreich, souverän und auf den Punkt (und den Schlag) genau, lebendig und mit einer Fülle von Beispielen „Grundlagen und Probleme der chorischen Stimmbildung“ aufzeigte, zum Mitmachen und Ausprobieren anregte und motivierte. Jeder konnte sich gleichzeitig wunderbar bestätigt als auch neu „aufgetankt“ fühlen. Dass am Vormittag der Raum in der Größe eines Klassenzimmers für dieses Tun erheblich zu klein war, dass Arme und Stühle, Beine und Taschen aneinander stießen, wurde bei der reichhaltigen Möglichkeit zu „klauen“ schnell vergessen.Beim nächsten Seminar saßen 6 Jungs zwischen 15 und 19 Jahren artig und mit hängenden Schultern und Hosen vor dem Publikum auf der Bühne. Sie waren diesmal keine Chor- und Konzertgestalter, keine Solisten; sie waren Probanden, Versuchskaninchen, Vorzeigemodelle und – vor allem im Stimmwechsel. Hier wurde nun vom Stimmbildner und Kammersänger Martin Petzold, dem Phoniater Prof. Dr. Friedrich Frank aus Wien und dem norwegischen Gastdozenten Carl HÝgset vieles beleuchtet, erklärt, verglichen, behauptet, analysiert, diskutiert...
Einig waren sich alle Betreuer, eine deutliche Singpause für die Jungs einzulegen, sie aber trotzdem weiter stimmbildnerisch in kleinen Gruppen zu betreuen. Wer hat es schon so gut in einer Krise? Denn das ist sie allemal – und nicht nur im stimmlichen Sinne – für wachsende Jugendliche. Für Chorsänger, die „hauptamtlich“ mit der Stimme umgehen wie die Thomaner, ist dies natürlich ein größeres Problem als bei Chorsängern, die nur einmal in der Woche singen. Nun, sie scheuten sich nicht, innerhalb der drei Seminarstunden ein paar Vokalisen zu singen und dem staunenden, wohlwollenden und interessierten Publikum zu zeigen, wo denn nun die Bruchstelle sitzt. Dass man mit sanften Glissando-Übungen und Atembalance diesen Zustand gut begleiten kann, erschien machbar, wenngleich die Ansage an den 15-Jährigen: „Breite doch mal die Arme aus, als würdest du deine Freundin begrüßen wollen!“ ihn zwar durchaus besser und runder – weil schlichtweg das zweite Mal – singen ließ, ihn aber reichlich Überwindung kostete. Die Vorstellung, er habe vielleicht gerade eine Goldmedaille beim Eisschnelllauf gewonnen, hätte ihm wohl genau die Freiheit gegeben, die jeder beim Singen braucht.
Die fünf 11- bis 16-jährigen Mädchen der Schola Cantorum Leipzig mit Eckhard Budrowitz hatten es bei dem thematisch vergleichbaren Seminar etwas leichter. Sie durften mehr und öfter vorsingen und mussten auch nicht drei Stunden unterbeschäftigt ausharren. Dass der Stimmwechsel bei Mädchen wesentlich unauffälliger verläuft, leider oft von Chorleitern nicht richtig erkannt und behandelt, machte der hervorragende Hauptorganisator des Symposiums Dr. Fuchs von der Universität Leipzig sehr deutlich. Und Frau Silke Hähnel-Hasselbach aus Berlin konnte den Zuhörern am eigenen Leibe erlebend zeigen, wie schön leicht es gehen kann, zu singen. Auch sie plädiert für eine stimmliche Ruhe und für eine behutsame Kleingruppenversorgung während des Stimmwechsels bei den Mädchen, dauert dieser doch meist nur zwei bis drei Monate.
Die Spanne zwischen differenzierter Betrachtung bei Vielsängern mit einem entsprechenden Schonprogramm und dem fröhlichen, trotzdem behutsamen einfach Weitersingen-Lassen ist groß. Sie wurde nicht nur deutlich durch die verschiedenen Ansprüche und Erwartungen der Teilnehmer, sondern machte auch klar, dass es ohne eine differenzierte Wahrnehmung bei Sänger und Ausbilder wohl nie eine Mimi geben könnte, aber auch keine ernsthaften Bestrebungen, unsere Kinder- und Jugendstimmen behutsam, verantwortlich und vor allem intensiv zu führen. Durch das Symposium ist die Wahrnehmung als Chorleiter, Stimmentwickler, Menschenbildner erheblich geschärft worden – eigentlich genau das, was wir ständig von unseren Chorsängern erwarten!
Mit einem groß besetzten Round Table, dem Thomaskantor Biller vorsaß, wurde die Veranstaltung abgeschlossen. Dabei ergab sich noch einmal vielfältig-intensiver Gedankenaustausch. Und dies nicht nur zu rein stimmlichen Themen, sondern auch zur Gesamtproblematik des Singens in unserer heutigen Gesellschaft. Hier wurde auch deutlich, wie wichtig es ist, dass sich Fachleute auch um Einfluss auf die Politik bemühen, um wenigstens ein teilweises Umdenken zu erreichen – vor allem was das Singen in Kindergarten und Schule betrifft und die dafür nötige Grundausbildung der Lehrenden!