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Biotechnische Musik und Blockflötengroteske

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Zur Wertung der „Musik aus Strom“ bei der GEMA
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Noch bevor im Frühling 2004 koreanische Tiermediziner erstmals menschliche Embryos geklont haben, ist hierzulande das erste Konzert mit biotechnischer Musik aufgeführt worden: eine Darbietung, die sich nur schwer mit den Begriffen Musik, Konzert und Komposition beschreiben ließ. Aber: es erklang halt „etwas“. Ich darf hier nur über einen technikpolitischen Nebenaspekt dieser neuen Kunst berichten.

In der biotechnischen Musik gibt es weder Partituren noch greifbare „Musik-Instrumente“. Im vorgeführten Biomusikreaktor waren leider auch nur wenige „musizierende“ Eingriffe während des Konzertes erkennbar – der größte Teil der Musik wurde im Vorhinein „programmiert“. Offenbar haben Aminosäuren, Bakterienkulturen und Strahlungsmutationen andere Parameter als muskelkraftbetriebenes Herunterdrücken von Pianotasten. Biotechnische Musik arbeitet mit Werkzeugen, die der bio- und gentechnische Laie nie gesehen hat; das so genannte Konzert erinnerte mehr an eine Klang-Installation am Arbeitsplatz eines Chemielaboranten. Da sich die Pioniere dieser neuen Musik aber als Komponisten ernster Musik verstehen, gibt es nun eine angespannte Diskussion zwischen ihnen und der GEMA über die Frage, wie diese neuen biotechnischen Klänge zu bewerten und abzurechnen sind. Dieses wohl vorübergehende Problem dürfte seitens der GEMA vermutlich durch einen eigenen Ausschuss für die Punktwert-Einstufung biogener Klangformen zu lösen sein: solange halt in Öffentlichkeit und Musikwissenschaft noch zu wenig Klarheit über die neue Kunstform besteht. Die betroffenen Komponisten sind allerdings nicht damit einverstanden, dass nun „fachfremde“, das heißt traditionell arbeitende Komponisten die neue biotechnische Musik bewerten sollen. Wie aber soll eine so große Traditionsstruktur wie die GEMA mit so (scheinbar?) abseitigen und (vielleicht?) singulären Innovationen umgehen? Da ist ein Kollegium von Komponisten nicht die schlechteste Lösung. Zumal sich dieses Problem in wenigen Monaten durch die Praxis in Musikkritik und -wissenschaft von selber erledigen dürfte: In unseren schnelllebigen Zeiten dürfte es nicht lange dauern, bis biotechnische Musik so verbreitet und normal wird wie heute etwa elektronische Musik. Die Aufregung der Pionier-Tage wird sicherlich in ein paar Monaten vergessen sein.

„In ein paar Monaten“? Kommen wir zurück aus der Zukunft und stellen fest, dass das alles nicht wahr ist: es ist nicht wahr, daß 127 Jahre nach der Erfindung von Mikrofon und Phonograph) die GEMA keine Probleme mehr mit „Musik aus Strom“ hätte. Im Gegenteil: eines der merkwürdigsten Kapitel im GEMA-Reglement ist immer noch die Sonderregelung für „Elektroakustische Musik“. Genauer gesagt geht es mir hier um die „Punktwertung im Rundfunk“: wieviel ein Komponist dafür bekommt, wenn sein Werk in Radio oder TV aufgeführt wird. Im Jahre 2002 gab es vereinfacht gesagt 5,07 £ für jede gespielte Minute im Radio, aber das sind nur die sogenannten „100 Prozent“ oder „Rundfunk-Punktbewertung 1,0“. Handelt es sich bei der betreffenden Musik um ein „Chanson“ oder ein fünf Minuten langes Blockflöten-Solo, werden schon mindestens 125 Prozent bezahlt). Handelt es sich um „Kammermusik in beliebiger Besetzung“, erhält der Komponist 225 Prozent. Das GEMA-Reglement kennt 24 derartige Rundfunk-Klassen allein für die „E-Musik“. Alles ist geregelt – einzige Ausnahme: „Elektroakustische Musik“ ). Für „elektroakustische“ Musik im Radio gibt es nur den Mindestbetrag von „100 Prozent“ (also weniger als für das Blockflöten-Solo). Darüberhinaus steht es im Ermessen des Werkausschusses, elektronische Musik auf Antrag(!) höher zu bewerten. Komponisten elektronischer Musik müssen bis heute für jedes ihrer Werke in einem eigenen Antrag erklären, warum ihr Werk bitte nicht geringer bewertet werden möge als ein Stück für Blockflöte. Damit allein ist es aber oft nicht getan. Wenn der Werkausschuss dem Antrag des Komponisten nicht zustimmt, darf der Komponist auf eigene Kosten zu einer Ausschuß-Sitzung nach Berlin oder München reisen, um dort seine Meinung erneut vorzutragen. Das ist zwar meistens unwirtschaftlich, aber fassen wir nun pointiert zusammen, was einem widerfährt, der es trotzdem tut. Er hat sich vorbereitet und einen kleinen Vortrag präpariert. Er will über Software, Hardware, höchst seltene Samples und eigens für sein Werk erdachte elektronische Schaltungen sprechen. Er hat sich falsche Vorstellungen gemacht! All das scheint die Kollegen im Werkausschuss kaum zu interessieren. Unfreundlich soll er angeblafft worden sein: „Wir sind doch hier keine Materialprüfer!“. Unser elektronischer Kombattant bleibt natürlich freundlich und wechselt vom angeblichen „Material“ zu „Strukturen“. Vielstimmigkeit ist laut Verteilungsplan der GEMA in der „normalen“ Musik ein Kriterium für Höherbewertungen. Also versucht er, bestimmte Passagen seines elektronischen Werkes als vielstimmige, mikrotonale Chöre zu erläutern. Er muß feststellen, daß nicht alle Mitglieder des Werkausschusses mit dem Wort „mikrotonal“ etwas anfangen können. Dass manche der Werkausschussmitglieder seine ProTools-Screenshots anstaunen als wären es außerirdische Partituren, erklärt sich dann auch: einige haben sowas noch nie gesehen. Vermutlich würden sie sein Max/MSP-Patch für ein Häkelmuster halten? (Er zeigt es ihnen erst gar nicht.) – Die Sitzung geht nach einer Stunde kollegial zuende. Die Lösung des Problems soll darin bestanden haben, daß der Werkausschuss die Formulierung fand, man schätze sich glücklich, eine so interessante Künstlerpersönlichkeit kennengelernt zu haben, und man werde sich vor diesem Hintergrund das betreffende Werk nun erneut anhören. Nebenbei ließ man wissen: elektronische Sinfonie hin oder her, 250 Prozent könne der Komponist in seinem jugendlichen Alter von 43 Jahren noch nicht erwarten, dieser Wert sei nur für Altmeister wie den aus Kürten vorgesehen.

Im Ernst: was tun wir Komponisten uns da an? Wir Elektroniker einerseits und die Kollegen im Werkausschuss andererseits? Warum machen wir diesen Quatsch weiter mit? Niemand kann ernsthaft von den traditionell arbeitenden Kollegen im Werkausschuß verlangen, daß sie eine Ahnung haben von den aktuellen Vorgängen und Diskussionen im Fachgebiet der elektronischen Musik. Kein Landschaftsplaner muss qualifiziert über Biotechnik Bescheid wissen. Warum sollen die Kollegen Komponisten im Werkausschuss etwas von elektronischer Musik verstehen, wenn das nie im Leben ihre Musik, ihr Studium, ihre Leidenschaft war? Mit dem Ermessensspielraum des Werkausschusses hat man in längst vergangenen Tagen den ehrenwerten Versuch gemacht, eine ungesicherte Kunstform ins GEMA-Reglement zu integrieren.

Es ist Zeit, die Kollegen im Werkausschuss von dieser unsäglichen und unmöglichen Aufgabe zu erlösen – und damit auch die Komponisten elektronischer Musik von diesem kafkaesken Prozedere. Aber welchen Wert hat die elektronische Musik dann gegenüber Blockflöten-Soli? Soll man das Rundfunkpunkte-System abschaffen und sagen: alle Musik ist gleich viel Wert? Eine schlanke Idee, aber ... ich schlage vor: elektronische Musik kriegt künftig pauschal 2,125 Rundfunkpunkte (212,5 Prozent) und basta. Wieso?

Weil die Kosten des Werkausschuss-Verfahrens zur elektronischen Musik ungefähr die Summe auffressen, die benötigt wird, um ohne Schaden für andere Komponisten die elektronische Musik im Radio auf pauschal 212,5 Prozent festzusetzen (es betrifft eben nur knapp 40 Komponisten mit kaum 10 Radio-Sendeplätzchen). Sie können das ja mal nachrechnen. Genug für heute. Nächstes mal rechne ich Ihnen was vor über die Schlüsselpunkte zur Abrechnung von Live-Aufführungen elektronischer Musik, aber jetzt muss ich dringend wieder zurück ins Studio: mein Sample-Editor hat mir gerade neue Fourier-Transformationen meiner aktuellen Radiokomposition ausgerechnet.

Anmerkungen

1 www.thomasedison.com/Inventions.htm
2 Gema-Jahrbuch 2003/2004, S. 313: Absch. X.1–3
3 Gema-Jahrbuch 2003/2004, S. 315: Absch. X.11

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