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Ein Jugendorchster in blauen T-Shirts, bei der Probe in einem lichtdurchfluteten Probensaal.

Kindersinfoniker an der Schule. Foto: Richard Kienberger

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Zu einem Kessel-Buntes-Fach gemacht

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Zum Musikunterricht in bayerischen Grundschulen
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Wieder einmal eine sehr simple Reaktion auf ein komplexes Problem: Der Kunst-, Musik- und Werkunterricht wird zu einem Kessel-Buntes-Fach zusammengeworfen, stattdessen sollen die sogenannten Kernfächer einige Minuten länger unterrichtet werden.

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Als Reaktion auf die sehr prominent geäußerten kritischen Stimmen und offenen Briefe wurde vom Ministerium darauf verwiesen, dass die Fächer nicht durchmischt werden, sondern epochaler Unterricht (z.B. monatlich wechselnd) möglich sein wird, womit auch gleich ein gro­ßer Teil der Verantwortung an die Schulen abgeschoben wird. Es ist ein weiteres fatales Signal dieser Staatsregierung, Kunst nicht mehr als kontinuierlichen Bestandteil der Schulausbildung zu sehen, sondern sie zu einer netten Ausgleichsbeschäftigung zu degradieren.

Politisch mag es notwendig sein, auf die wieder einmal durch die PISA-Studie attestierte Schwäche des deutschen Schulsystems kurzfristig zu reagieren. Ob eine solche Maßnahme wenigstens einen minimalen Nutzen hat, ist mehr als fraglich. Kinder, die künstlerisch interessiert sind, sind meistens auch in den Kernfächern nicht die schlechteren Schüler:innen, also: schult die Kompetenz in künstlerischen Fächern, weitet den Horizont, dann werdet ihr den Erfolg auch in den Kernfächern sehen!
So einfach könnte man antworten. Die Dimension dieser weiteren Verzwergung des Musikunterrichts ist gewaltiger.
Keine Frage: Musikunterricht hat schon jetzt in den Schulen nicht den Stellenwert, den er eigentlich haben müsste. Die Kinder kommen zudem immer weniger über Kinderchöre, Musikvereine und Musikschulen mit Musik in Berührung. Selbst ein Instrument spielen, Noten lesen oder sich gar dem Verständnis der Basis der Musik zu nähern, rückt also in immer weitere Ferne beziehungsweise findet nur noch in wenigen Familien statt, deren Eltern oftmals beruflich mit Kultur zu tun haben.
Müßig zu erwähnen, dass ohne eine rechtzeitige Aussaat auch keine blühenden Landschaften entstehen können.

Und dies in einer Zeit, in der wir auch in der Musik mitten in einem Epochenumbruch sind: schon jetzt versorgen generierte Playlists die Kund:innen mit der Musik, die scheinbar ihrem Geschmack, ihrem Style am besten entspricht, eigenes, noch so basales Musikwissen ist für eine persönliche Auswahl nicht mehr notwendig. Ein Verständnis für eine Musikauswahl zu entwickeln, die wiederum Neugierde für Musik abseits der von den Majors vorgegebenen Playlists-Pfade weckt, dafür müssen unsere Kinder vorbereitet werden! Hier sind wir nicht alleine: auch Soziolog:innen fordern seit Jahren vehement, dass Medienkunde schon früh beginnen muss, um sich nicht nur vor Fake News und den Gefahren von Social Media zu wappnen.

In absehbarer Zeit wird die KI dann noch einen Schritt weitergehen und aus der Musik jede Art von Irritation, Revolution oder Innovation entfernen: Es wird eine perfekt auf den Nutzungszweck gestylte Musik entstehen, die weder Anmut noch Zumutung in sich trägt. 

Und wenn diese Musik dann auf eine Gesellschaft trifft, der die Mittel fehlen oder gar der Wille, zwischen generierter und menschenerdachter Musik zu differenzieren, dann verliert die Gesellschaft eine wichtige Inspirationsquelle, einen liebevollen Unruhestifter oder wie man die zeitgenössische, die junge Musik, ob E- oder U-, auch immer nennen will. Bisher waren dies wichtige Elemente einer diskursiven, diversen und demokratischen Gesellschaft. Natürlich hängen diese dystopischen Überlegungen nicht alleine an 45 Minuten Musikunterricht an Grundschulen. Aber zusammen mit der neulich, quasi in einem Nebensatz mitgeteilten Ankündigung, dass die Hälfte der ARD-Klangkörper gestrichen werden sollten und dem sowieso schon Realität gewordenen kulturellen Kahlschlag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wird man einen Verdacht nicht los: Es ist nicht eine kunstferne Landesregierung, deren Chef sich zu einem Festakt zum Staatsopernjubiläum lieber aus dem Bierzelt zuschalten lässt, sondern es wird bewusst mit der Verödung der kulturellen Landschaft gespielt.

Vor ein paar Tagen sprach eine Lehrkraft in einem Elterninformations­abend über diesen neuen Lehrplan, dessen genaue Umsetzung vor Ort noch nicht bekannt ist. Es war auffällig, dass auch bei Eltern, für die Kultur nicht ganz oben auf der Agenda steht, diese Umstrukturierung auf Irritationen stieß. An die von der Regierung intendierte Wirkung scheint niemand zu glauben. Nach diesem Abend habe ich zumindest die Hoffnung, dass auch eine solche scheinbar kleine Maßnahme, endlich das Fass, das von vielen unterschiedlichen Playern mit immer mehr geistlosen Wassern gefüllt wird, zum Überlaufen bringt und größere Teile der Gesellschaft wach werden! Gesellschaften ohne Kunst werden seelenlose Gesellschaften sein! 

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