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Ein Cellist gehobenen Alters. Das Foto zeigt ihn mit wenigen weißen Haaren, in dunkler Kleidung und mit dem Bogen energisch gestikulierend oder dirigierend.

Friedrich Gauwerky. Foto: Claudia Hoppens

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Farben, Düfte und Klang im Kirchenraum

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Die Kunststation St. Peter Köln lud zum Lunchkonzert zu Ehren von York Höller
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Am 17. Februar 2024 fand um 13.00 Uhr ein besonderes Recital statt: Friedrich Gauwerky spielte als Hommage an York Höller zu dessen 80. Geburtstag Werke für Violoncello solo von Ernst Krenek, York Höller und Luigi Dallapiccola. Die ausgewählten Stücke repräsentieren drei musikalische Schwergewichte aus dem Einfluss der Zweiten Wiener Schule und Johann Sebastian Bachs, darunter auch eine Vertonung des französischen literarischen Wegbereiters der Moderne, Charles Baudelaire. 

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Beim Betreten des Raums fühlten und spürten sowohl Blinde als auch Sehende die besondere Atmosphäre: kühl, die Schritte auf dem kahlen, nackten Steinboden führten zu einzelnen bereitgestellten Stühlen, die Akus­tik war leer, dumpf, fokussierend. Die Kirche praktiziert in der Fastenzeit zusätzlich die „große Verhüllung“. Alle bunten Fensterteile, alle Kreuze, alle Gemälde, alle Figuren und Skulpturen waren mit weißen Tüchern verhüllt, keine Blumen, kein Fastenhungertuch. Alles verschmolz mit dem Steingewölbe zu einem einzigen Grau-Weiß, sogar das Orgelprospekt ist Grau-Weiß. Der künstlerische Leiter und Organist Michael Veltman begrüßte die zahlreichen Besucher der „Konzertreihe Lunchkonzert“ und freute sich über den regen Publikumszuspruch. Friedrich Gauwerky übernahm mit prägnanten Informationen die Moderation seines Recitals und leitete die Thematik ein. Johann Sebastian Bach war seinerzeit auch zeitgenössisch: seine Suiten für Violoncello solo waren seinerzeit so ungeheuerlich, dass sie zu seinen Lebzeiten nie gespielt wurden. Erst in der Schumann- und Mendelssohn-Rezension wurden sie entdeckt und in der Neuzeit erst wieder ab 1911. 

Die ersten Töne und Takte des 1. Satzes Andante affettuoso der Suite for Violoncello solo op. 84 (1939) von Ernst Krenek führten die Hörer sachte und einleitend in die traditionelle Behandlung der Zwölftontechnik ein. Auch der Klang des Cellos  fügte sich mit seinem Material sehr direkt in den Kunst-Kirchenraum ein, mal gestrichen, mal gezupft. Der 1. Satz wirkt wie ein Präludium: typische kurze Fragmentbögen, Artikulation, Dynamik- und Tempowechsel, Affekte, Doppelgriffe sowie kleine Tonrepetitionen werden vorgestellt. Auch die weiteren vier Satzbezeichnungen entfernen sich von der hochbarocken Suitensatzfolge Johann Sebastian Bachs, um die neue Tonsprache zu begünstigen. In den Sätzen finden sich trotzdem sowohl Hinweise auf die Scheinpolyphonie Bachs als auch die Anwendung der neuen energetischen Gestaltpsychologie des linearen Kontrapunktes seines Lehrers Ernst Kurth.

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Die Sonate für Violoncello solo (1968) des Jubilars York Höller bildete den Mittelpunkt des Recitals. Nicht nur durch die weitere Zunahme der technisch-spielerischen Anforderung, sondern auch durch die Intensität der Kompositionsart hebt sich das Werk hervor und spricht für sich. Im Frühwerk löste sich York Höller von der seriellen Musik und erfand als Erweiterung der Zwölftontechnik die Klanggestalt und das Klanggedicht. Der Formbezeichnung „Sonate“ liegt die rein instrumentale Vertonung dreier Gedichte aus „Les Fleurs du Mal“ von Charles Baudelaire zugrunde, dem Wegbereiter von Georg Trakl und Stefan George. Die Gedichte „Entsprechungen“, „Schwermut – Der Himmel, schwer wie eines Deckels Last…“ und „Besessenheit“ sind im Programmheft Französisch und Deutsch abgedruckt.

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Das kompositorisch-musikalische Triptychon wird passend abgerundet durch Ciaccona, Intermezzo e Adagio (1945) von Luigi Dallapiccola. Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire inspirierte ihn, Komponist zu werden. Vorher kam er mit der deutschen Oper von Richard Wagner und der österreichischen Oper von Wolfgang Amadeus Mozart in Kontakt. Der Opern- und Orchesterkomponist führte die Zwölftontechnik in Italien ein, vermischte diese aber mit dem italienischen Bel Canto und der italienischen Affektenlehre zu einer neuen Gestaltung. Die Satzbezeichnung „Ciaccona“ weist noch einmal auf eine Anlehnung an die tänzerische Suitensatzfolge Johann Sebastian Bachs hin. 

Die lieblich anmutenden Melodie­teile wurden manchmal durch konsonante Intervalle und gregorianische Teile sowie überraschende Schlusswendungen unterbrochen. Großer, sehr herzlicher und langanhaltender Applaus für Friedrich Gauwerky. Meis­terhaft, hochprofessionell, sehr ausdrucksstark und nuancenreich, dabei gleichzeitig spielerisch-leicht bewältigte er die höchst anspruchsvolle Sololiteratur. Ja, es stimmt: die Kunst-Station Kirche St. Peter bekam für den Zeitraum des Verweilens einen neuen Anstrich, eine andere Gestaltung, entsprechend verwandelt. Interpret, Musik, Komponist und Hörer ergänzten, erfüllten den Raum und beschenkten sich gegenseitig.

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