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Im erhabenen Ambiente der Residenz-Würzburg empfangen die Künstler:innen mit Blumensträußen beglückwünscht den Applaus.

V.l.n.r.: Alexander Fleischer, Nikola Hillebrand und Konstantin Krimmel. Foto: Katharina Gebauer

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Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein?

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Fünf Jahre Festival Lied in Würzburg
Vorspann / Teaser

In Würzburg ist gut Lieder singen. Im fünften Jahr des Festivals Lied in Würzburg im März 2024 lässt sich entschieden sagen, dass die internationale Liedszene hier eine Heimspielstätte gefunden hat. 13 hochkarätige Liedkonzerte an 5 Orten in der Stadt und 2 Spielstätten außerhalb haben ein stetig wachsendes und begeistertes Publikum gefunden. Einen angemessenen Konzertsaal gerade für Lied gibt es zwar nicht wirklich, aber das Lied findet und definiert hier seine Orte: den Toscanasaal der Residenz und einen Saal der Domschule im Burkardushaus. Der Tonkünstlerverband Würzburg mit dem unermüdlichen Steffen Zeller steht als Veranstalter hinter dem Festival. Und überall, vor und hinter und über allem, notfalls auch an der Abendkasse, steht Alexander Fleischer mit seinem Team, der das Programm mit Verstand und Liebe konzipiert, inspiriert und gestaltet.

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In der Mitte des Festivals stand wie immer ein Meisterkurs für den Liednachwuchs. Diesmal haben Anne Schwanewilms und Manuel Lange in intensiver Arbeit und mitreißender Zuwendung ihre Liebe zum Lied weitergegeben. Bei dem außerordentlich gut besuchten mittäglichen Abschlusskonzert warben sie mit beeindruckenden Ergebnissen und emphatischen Worten für die notwendige und beglückende Arbeit am Lied. Zuvor hatten sie in einem gemeinsamen Liederabend gezeigt, wo der Hammer hängt: Im zweiten Teil ihres klug konzipierten, anspruchsvollen Programms kam ein für Schwanewilms komponierter Zyklus von Liedern auf Gedichte von Hilde Domin zur Aufführung. Unter dem Motto „Dennoch“ hat der Komponist Stefan Heucke eindringliche Lieder um Domins zentrales Gedicht „Abel steh auf“ gruppiert, die mit weiteren, von Wolf-Dietrich Rammler rezitierten Texten zu einer dramaturgisch schlüssigen Einheit komponiert waren. So geriet einmal die Dimension des Textes im Lied in den Vordergrund. Und der Komponist selbst forderte das Publikum zum Mitlesen der Texte auf, um den Einspruch der Worte gegen die Weltläufte mitzuvollziehen.

Lied und Leben

Das Verhältnis von Lied und Leben thematisierte auch das Programm „Ullmanns Welt“, das es auf beziehungsvolle Weise in den einzigen städtischen Aufführungsort des Festivals einbrachte: Im Kulturspeicher stellte die Liedklasse der Hochschule für Musik ihr Semesterprojekt vor, inspirierend und sorgfältig einstudiert von Andrea Marie Baiocchi. Ausgehend von Liedwerken des im Lager Theresienstadt internierten Komponisten Viktor Ullmann wurden auf beeindruckende Weise Lieder zwischen Romantik und Moderne präsentiert, die alltägliches Leben und Ausnahmesituationen in gefährdeter Zeit hörbar machten. Das Repertoire reichte vom einfachen Überlebenslied bis zu vertrackter spätzeitlicher Gesangslyrik, die über den Rahmen des intimen Klavierlieds orchestral hinauswuchs. Bei manchen überraschenden Entdeckungen ließ sich die Vielfalt selten gesungener Lieder bestaunen. Eine Reihe von Konzerten stellte die Liedkunst in einen über das gerne deutsch gedachte „Kunstlied“ hinaus weit gefassten europäischen Kontext. In einem Abend im Rahmen der Initiative „Zeitgeist Irland 24“ zum 100. Todestag von Charles Villiers Stanford war die Konstruktion eines spezifisch irischen Tons im europäischen Klavierlied zu erleben; Sharon Carty, Benjamin Russell und Finghin Collins überzeugten mit herzlichen, komischen, melancholischen und burschikosen Liedbildern. Finnische Klavierlieder erklangen nicht nur in stimmungsdichten Vertonungen von Jean Sibelius, sondern auch in der modernen, weltbewussten Komposition Quatre Instants von Kaija Saariaho, die Iida Antola und Pauliina Tukiainen kraftvoll und mit großer Stimme nahebrachten. Das Programm „Schwarze Erde“ von Corinna Scheurle und Klara Hornig platzierte auf wunderbar aufeinander eingespielte Weise Volksliedbearbeitungen von Bartok und ungarische Klavierlieder von Kodaly vor der Folie der etablierten Liedkunst von Richard Strauss. Mit einer ganz besonderen, eigenen Farbe und mit der idiomatisch treffenderen Gitarre anstelle des Klaviers präsentierten Lou Denès und Martin Dressler ein Programm zu der großen europäischen Kultur der sefardischen Juden. In der Gegenüberstellung von Castelnuovo-Tedescos Vertonungen aus dem Divan of Moses-Ibn-Ezra und Rodrigos Nachgestaltungen originaler sefardischer Lieder ging ein weiteres weites Feld noch zu entdeckender Lieder auf.

Neuer Raum für das Lied

Mit der Mutterhauskirche der Erlöserschwestern wurde nicht nur ein neuer Raum für das Lied erschlossen, sondern auch erstmals ein Chor im Liedfestival eingebunden. Der figure humaine kammerchor unter der Leitung von Denis Rouger erschließt sich ein eigenes Repertoire aus der mehrstimmigen Entfaltung von „Kunstliedern“ für Chor und Klavier. Im 100. Todesjahr von Gabriel Fauré bot der Chor im berückend umarmenden piano und mit wie schwebend artikulierter Zuwendung mit Rencontre ein Programm französisch-deutscher Begegnung, das im Dialog-Tanz von Faurés beliebter Pavane im angedeuteten szenischen Zueinandersingen plastisch Gesicht zeigte. Bei aller Begeisterung für das aufregend vielfältige Programm bleibt hier wenig Platz für die Klassiker beim Fes­tival. Schumanns Frauenliebe und Leben verlebendigte Julia Kleiter mit bis ins Leiseste gehender, höchster Artikulationskunst im geradezu symbiotischen Zusammenspiel mit Gerold Huber. Zweimal erklang die Dichterliebe, aufregend zugespitzt von Manuel Walser, intensiv erlebt von Tae Hwan Yun, beidesmal herausfordernd sekundiert von Alexander Fleischer. Im Abschlusskonzert vollendete Jóhann Kristinsson mit einer sehr unmittelbaren und klaren Schönen Müllerin, was das Eröffnungskonzert mit dem Italienischen Liederbuch von Hugo Wolf aufgemacht hatte: Nikola Hillebrand und Konstantin Krimmel hatten da die Posen und Töne der Lieder szenisch angedeutet in kunstvoller Natürlichkeit mitgeteilt, als wäre jedes Lied das Selbstverständlichste von der Welt. Der Mann dabei am Klavier soll hier das erste und das letzte Wort behalten: „Das Lied reflektiert, bewegt, unterhält, verzaubert uns.“ Mehr davon!

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