„Das hier ist etwas ganz Besonderes: Eine Stadtkomponistin gibt es noch nicht so lange. Es gab nur eine vor mir, die Charlotte Seither, ich bin die zweite hier in Weikersheim – das ist schon eine Sonderstellung!“ Nicht ohne Stolz sitzt Babette Koblenz in ihrem Weikersheimer Arbeitszimmer: direkt am Marktplatz, vor dem mittelalterlichen Schloss. Ein halbes Jahr lang ist die geräumige Wohnung das Domizil der amtierenden Weikersheimer Stadtkomponistin. Seit Anfang Februar ist Babette Koblenz bereits im Amt, und bis Juli wird sie noch bleiben. „Die Aufgabe ist ein bisschen gespalten: Einerseits ist da die Arbeit mit Öffentlichkeit, andererseits dient die Stellung auch dazu, in Ruhe ein Werk weiter zu entwickeln, zu dem man vielleicht zu Hause die Ruhe nicht hätte“.
Ruhe – die hat Babette Koblenz hier reichlich. Die historische Altstadt ist ein Idyll zwischen Kirche und Schloss, hinter dem sich ein Park erstreckt. Hier wird Babette Koblenz zu einem „Klavierstück III“ weitere hinzu komponieren – später soll der entstandene Zyklus als Klavierband herausgegeben werden.
Was aber genau tut eine Stadtkomponistin, die historisch gar nichts mit dem Ort zu tun hat? Eine alt ehrwürdige Oper hat Weikersheim ebensowenig wie ein historisch bedeutsames Orchester. Die Jeunesses Musicales Deutschland verlangt von ihren Stadtkomponisten, dass sie sich in Projekten für den Umgang mit Neuer Musik einsetzen und die Kreativität der Teilnehmer anregen. Dabei sollen die Institutionen vor Ort mit einbezogen werden. Gefordert sind „attraktive, intelligente musikpädagogische Konzepte“.
Da ist die Ligety-Schülerin, die viel gereist ist und sich mit der Musik vieler Kulturen beschäftigt, hoch willkommen. In ihre Musik gehen orientalische und jüdische Melodieelemente ebenso ein wie Rhythmus und die genaue, ungewöhnliche Arbeit mit Sprache. Für Babette Koblenz muss ein Text sich nicht unbedingt nach der Melodie richten: Zum Teil filtert sie die Musik aus der Sprachmelodie, welche dem Text eigen ist. In ihrer Instrumentalmusik finden sich Jazz, neue Musik, tradierte Harmonik, die Rhythmik des Raggae: Alles dient ihr als Inspirationsquelle. Die Erfahrung, ganz Unterschiedliches miteinander zu verbinden, ist in ihr Weikersheimer Projekt eingeflossen.
Babette Koblenz wollte mit den örtlichen Musikensembles zusammenarbeiten. Sie hat ein Projekt erarbeitet, bei dem die teilnehmenden Gruppen zunächst ihrer Musik und ihren Stilen treu bleiben. Alle liefern etwas zu, das später in einer Performance miteinander verbunden wird: Chorsätze, Jazzelemente oder Renaissancestücke gehören dazu. Babette Koblenz bezeichnet die Elemente als „musikalische Postkarten“, die herumgeschickt werden – und: sie werden an Erik Satie geschickt. Einige von Saties kleineren Klavierstücken dienen als Bindeglied. Musikstile gehen ineinander über oder können kippen und korrespondieren so zwischen den Weikersheimer Akteuren und dem französischen Komponisten.
Zum Auftrag der Stadtkomponistin gehört auch die Zusammenarbeit mit der Jeunesses Musicales. Also ist Babette Koblenz auch ein wenig „Verbandskomponistin“. In dieser Rolle hat sie Mitte April eine Gruppe jugendlicher Komponisten mit betreut, die sich beim „Bundeswettbewerb Komposition“ der JMD als Preisträger hervorgetan haben (siehe auch ihren Kurs-Bericht auf dieser Seite). Bei Babette Koblenz, Martin Christoph Redel und Theo Brandmüller lernten sie, wie man musikalische Ideen strukturiert und zu Papier bringt. Sie analysierten Werke und übten, Stücke für ein Ensemble zu arrangieren. Unter den zehn Kompositions-Schülern in dieser Werkstatt befanden sich drei Mädchen. Ein Drittel – das ist ganz schön viel, sagt Babette Koblenz. Denn später im Studium findet sich zwischen neun Kompositionsstudenten eine Frau. Die jugendlichen Komponistinnen sind einerseits ehrgeizig, nehmen’s andererseits auch wieder gelassen: Ihnen ist klar, dass das professionelle Komponieren ein harter Beruf ist. Aber missen wollen sie das Komponieren doch nicht, erzählen zwei der Mädchen. Marianne Richter aus Berlin will eigentlich keine hauptberufliche Komponistin werden: „Ein brotloser Beruf“, sagt sie. Sie will eine Laufbahn einschlagen, von der sie leben kann – aber das Komponieren aufgeben mag sie auf keinen Fall: „... weil es Spaß macht!“ Leonie Thöne aus Moers dagegen will ganz bestimmt eine professionelle Komponistin werden – am liebsten in einem Beruf, der Komposition und Kreativität in anderen Bereichen miteinander verbindet. „So brotlos muss es ja nicht unbedingt sein“, sagt sie.
Ausreichende Motivation ist also vorhanden – noch ist es aber nötig, dass sie unterstützt wird. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass die JMD bereits zum zweiten Mal in Folge eine Frau in das Amt des Stadtkomponisten berufen hat. Ausgeschrieben und konzipiert ist der Posten nämlich neutral, eine Quotierung lehnt die JMD ab. Die Weikersheimer wollen sich von Konzepten und Handwerkskunst überzeugen lassen, in jedem Durchgang aufs Neue. Und das haben bislang zwei Frauen erfolgreich getan.