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Kreativität durch Überbewusstsein

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„Üben im Flow“ – Erfahrungen in Weikersheim mit Andreas Burzik
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Vom 28. bis 30. Juni fand in Schloss Weikersheim – der Musikalischen Bildungstätte der Jeunesse Musicales Deutschland – das Seminar „Üben im Flow“ unter der Leitung von Diplom-Psychologe Andreas Burzik statt.

Vom 28. bis 30. Juni fand in Schloss Weikersheim – der Musikalischen Bildungstätte der Jeunesse Musicales Deutschland – das Seminar „Üben im Flow“ unter der Leitung von Diplom-Psychologe Andreas Burzik statt. Die beiden Artikel in der nmz über Flow-Erfahrungen – von Nicolai Petrat, Juni 2001 und Andreas Burziks „Üben-im-Flow“ Methode, Januar 2002 – hatten mich derart fasziniert, dass ich, so bald ich die Ankündigung des Seminars in Weikersheim las, unbedingt daran teilnehmen wollte. Auf meine Anfrage per e-mail ob Herr Burzik diese Methode je mit Sängern ausprobiert hätte, kam die offene und freundliche Antwort: „Nein, aber ich bin sehr neugierig auf das Experiment.“ Also habe ich mich quasi als Versuchskaninchen für das Seminar angemeldet. Es hat sich mehr als gelohnt!

Der Kurs begann am Freitag nach einem „Kennenlern“-Abendessen im Haus der Musik. Herr Burzik gab eine Einführung in das Konzept der Flow-Erfahrung und stellte die Arbeit von Mihaly Csiksentmihalyi (sprich: Tschick-ßent-mihaji) vor, der in den 70er Jahren dieses Phänomen bei hochbegabten Malern, Komponisten, Musikern und Sportlern entdeckt und erforscht hat. Im Anschluss daran erklärte er die Grundkonzepte seiner „Üben-im-Flow“ Methode und erläuterte, wie dieses Phänomen beim Üben und Musizieren am Instrument entsteht. Spätestens da wurde klar, dass diese Methode kein „Quick Fix“ – also keine „schnelle, billige Lösung“ – darstellt, sondern ein fundierter, nachweisbarer, neurophysiologisch erklärbarer Vorgang ist, der Kreativität, Konzentration und Feingefühl des Ausführenden fordert und fördert. Nach dieser spannenden Einführung in der Theorie ging es in den folgenden zwei Tagen um die Praxis.

Die fünfzehn Teilnehmer im Alter von 16 bis 80 Jahren bekamen die Möglichkeit, eine sehr konkrete Erfahrung zu machen, wie sich ein Flow-Zustand anfühlt und wie er auf die eigene Wahrnehmung beim Üben wirkt. Wir waren eine bunte Gruppe von allen möglichen Instrumenten: Klarinette, Geige, Bratsche, Cello, Flöte, Gitarre, Klavier und Gesang. Erstaunlich war, wie die Erfahrungen sich von einem Instrument auf das andere übertragen ließen. Für mich als Sängerin war es darüber hinaus faszinierend zu beobachten, wie Instrumentalisten im Detail arbeiten und gleichzeitig zu spüren, dass wir alle – ob Sänger oder Instrumentalist – ähnliche Schwerpunkte und Schwierigkeiten haben. Schließlich geht es bei uns allen um lebendiges Musizieren und den bestmöglichen Umgang mit unserem Instrument!
„Üben-im-Flow“ eröffnet die Möglichkeit durch erhöhte Konzentration und eine Art „Überbewusstsein“ ein kreatives, fließendes Gefühl beim Musizieren zu finden. Dieses bewusste Fokussieren der Wahrnehmung erlaubt ein sinnvolles und sinnliches Eintauchen in die Arbeit, ohne hemmende Bewertung und mechanische Zielstrebigkeit, was wiederum eine tief greifende Befriedigung hervorruft. Herr Burzik hat durch seine humorvolle und offene Art einen geschützten und entspannten Raum geschaffen, in dem diese Gruppe von suchenden, sehr unterschiedlich aber irgendwie auch gleichgesinnten Menschen sich für diese Erfahrungen und Anregungen öffnen konnte. Die tolle Atmosphäre des Gärtnerhauses im Schloss Weikersheim trug sehr zu unserem Wohlbefinden bei.

Neben der Praxis am Instrument fanden viele Diskussionen und ein reger Austausch über wichtige Themen statt, wie zum Beispiel Vertrauen in das Körpergefühl, Vertrauen in die Intuition, Nähe und Distanz zwischen Schüler und Lehrer, das Genuss-Prinzip beim Üben und über „pädagogische“ Flow-Erlebnisse.

Am Sonntag Nachmittag endete das Seminar nach einer kurzen Pause über Mittag mit Zeit für die Fußball-Weltmeisterschaft (ob die Mannschaften im Flow waren?). Wir gingen ungern auseinander – es war eine tolle Erfahrung unter fremden Menschen so viel Unterstützung und Offenheit zu erleben. Wir freuen uns auf einen Aufbaukurs – vielleicht sogar eine ganze Woche vom Flow mit anschließendem Kammerkonzert? Unser Wunsch an Andreas Burzik: mehr über das wichtige Thema Lampenfieber zu erfahren beziehungsweise – wie gelingt ein „Aufführen-im-Flow“? Wie wir gehört haben, ist das in Vorbereitung! Zum Schluss ein herzliches Dankeschön an die tolle Organisation der JMD in Weikersheim. Und noch eine Anekdote von mir nach meiner ersten Wochen von „Unterrichten-im-Flow“: Eine 17-jährige Schülerin lächelt mich beseelt an, nachdem ich sie habe suchen und spüren lassen, und sagt, „Das hat mir gut gefallen, es fließt so schön“! (Nächster Kurs: 27. bis 29. Juni 2003).

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