Oje, sagt der Deutsche, wenn er eine schlechte Nachricht hört. Oye, mit deutlicher Betonung auf dem o und kurzem e, sagt der Spanier, wenn er einen anderen auf etwas Hörenswertes aufmerksam machen will. Zu der spanischen Version gab das Deutsche Musikschulorchester bei seiner Reise durch Spanien vom 25. Oktober bis zum 6. November 2001 viel Anlass.
Oje, sagt der Deutsche, wenn er eine schlechte Nachricht hört. Oye, mit deutlicher Betonung auf dem o und kurzem e, sagt der Spanier, wenn er einen anderen auf etwas Hörenswertes aufmerksam machen will. Zu der spanischen Version gab das Deutsche Musikschulorchester bei seiner Reise durch Spanien vom 25. Oktober bis zum 6. November 2001 viel Anlass. Begonnen hatte die Reise am 25. Oktober. Mit dabei war Hanns-Martin Schneidt, der das Orchester seit etlichen Jahren dirigiert. Das Orchester, das sind junge Leute im Alter zwischen 12 und 19 Jahren, dazu als Solist Michael Sanderling und einige Betreuer.In Barcelona angekommen, wird das Quartier für die nächsten Tage bezogen, eine Bildungsstätte der Salesianer oberhalb der Stadt. Am nächsten Morgen gibt es eine Stadtrundfahrt zum Hafen, in das Olympiastadion, die Ramblas (die Prachtstraße Barcelonas), die von Gaudi erbaute Kirche „La sagrada familia“ und den Parque Güell.
Am Nachmittag dann die erste Probe. Volle vier Stunden lang wird um das Konzertprogramm gerungen. Die Konzertreife stellt sich so schnell nicht ein, zumal Hanns-Martin Schneidt mit dem Orchester hohe Ziele verfolgt. Er erläutert an einigen Stellen seine Klangziele; Hanns-Martin Schneidt schöpft dabei aus einem schier grenzenlosen Vorrat an Bildern; die technische Umsetzungsmöglichkeit müssen die Spielerinnen und Spieler selbst herausfinden. Es ist ein Fördern durch Fordern, kein Pädagogisieren sondern ein gemeinsames Ringen um ein künstlerisches Ergebnis.
Am anderen Vormittag erneut drei Stunden Probe. Diesmal klappt es besser als am Vortag. Selbst für den Laien ist wahrnehmbar, wie die Musik wächst. Hier werden nicht Noten mehr oder weniger exakt heruntergespielt, hier wird ein Musikstück gestaltet, hier wird musiziert. Alle spüren den Fortschritt, wirken beflügelt, Korrekturen werden seltener, Lob häufiger.
Der 29. Oktober ist der letzte Probentag; Schneidt probt nur noch kurz, dann Michael Sanderling, der das letzte Konzert in Gijon dirigieren wird. Am anderen Morgen heißt es Abschied nehmen von Barcelona. Es geht an die Nordküste nach Aviles, wo das erste Konzert stattfinden soll.
Bei der Einfahrt nach Aviles ist nicht viel zu sehen, es ist bereits dunkel. Die Busse bleiben am Ortseingang stehen, bis ein Polizist sie mit dem Motorrad zum Konzerthaus eskortiert. Durch eine Garage werden die Umkleideräume und der Bühnenraum erreicht, der Konzertsaal ist ausgesprochen klein, hat aber eine gute Akustik, wie sich bei der Einspielprobe herausstellt.
Beim Konzert selbst wirken die 254 Zuhörer zunächst etwas reserviert, zeigen aber dann doch die typische spanische Begeisterungsfähigkeit. Auf der Rückfahrt ist die Stimmung gelöst, das erste Konzert ist gut abgeliefert, der Stau, der sich durch die vorangehenden Probentage aufgebaut hatte, ist weg.
Am anderen Morgen geht es weiter nach Monforte de Lemos. Wieder werden fast 300 km zurückgelegt. Das Konzert findet im Rahmen des „Kulturherbstes“ von Monforte de Lemos statt, der Eintritt ist frei, die Kulturszene aber nicht besonders groß, wie die etwa 200 Zuhörer vermuten lassen, die überdies in ihrem Verhalten nicht sehr sachkundig wirken. Nein, sagen wir es positiv: Das Publikum ehrt die jungen Künstler mehr als das Konzert (will sagen, es klatscht dauernd mittendrin).
Am folgenden Tag wieder Abfahrt um 8 Uhr, müssen heute doch rund 400 km zurückgelegt werden, um abends in Salamanca ein weiteres Konzert zu geben. Bei der Ankunft am Konzertort herrscht Staunen. Die eindrucksvolle Halle im Palacio de Congresos fasst 1.400 Zuhörer, die ausschließlich im freien Verkauf angeboten worden sind. Ob das gut geht? Es geht gut; schließlich füllen 800 Zuhörer den Saal.
Welche Wechselbäder! Jeden Abend ein anderer Saal, eine andere Umgebung, anderes Publikum, auch zahlenmäßig riesige Unterschiede, eine andere Akustik. Um immer wieder ihr Bestes geben zu können, müssen die Musiker jeden Tag aufs Neue ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden, ein Kraftakt gerade in diesem Alter, das oft noch vom Abschied von der Kindheit und dem Eintritt in das Jugendalter geprägt ist.
Vielleicht liegt aber gerade hier das Faszinierende dieses Orchesters. Die Altersspanne umfasst sowohl noch die Kindheit als auch schon den jungen Erwachsenen. Wie die Orchestermitglieder damit umgehen, ist verblüffend. Sie lassen in ihrem Verhalten zueinander keine Altersunterschiede erkennen, Rangfolgen gibt es nicht, wohl aber Spielregeln, die auf dem musikalischen Vermögen basieren. So ist Marianne, die Konzertmeisterin, gerade mal 15 Jahre alt; wenn sie aber aus ihrer Funktion im Orchester heraus etwas moniert, käme auch kein Älterer auf die Idee, ihr zu widersprechen. Das Ensemble-Denken wird durch bestimmte Rituale gefördert, die hier nicht alle verraten werden sollen. Wenn aber zum Abschluss eines langen Tages die Orchestermitglieder einen Kreis bilden , sich bei den Händen fassen und „Der Mond ist aufgegangen“ singen, wird deutlich, dass hier ein Gemeinschaftsgefühl gelebt wird, wie es im Leben junger Menschen heute kaum noch möglich ist. Die sozialen Wirkungen einer solchen Gemeinschaft sollen hier nicht zerpflückt und zerredet werden; der Hinweis mag genügen, dass auch die Busfahrer von der Achtsamkeit der jungen Leute im Umgang miteinander tief beeindruckt waren.
Am nächsten Morgen ist es in beiden Bussen sehr ruhig, die Strapazen der letzten Tage machen sich bei allen bemerkbar. Fast 500 km werden gefahren, zurück an die Nordküste, nach Ribadeo, wo ein recht gutes Hotel auf das Orchester wartet. Dafür ist diesmal der Konzertsaal ziemlich klein und hat eine trockene Akustik. Der Saal ist nur halbvoll, dabei verfügt er nur über zirka 250 Plätze. Auch mit solchen Enttäuschungen muss das junge Orchester fertig werden und für die Anwesenden so spielen, als wäre der Saal brechend voll. Insoweit ist die Konzertreise eine echte Schule für das Musikerleben.
Zurück im Hotel, heißt es Abschied nehmen von Hanns-Martin Schneidt, der am anderen Morgen in aller Frühe nach Deutschland zurückfliegen muss. Das Abschlusskonzert findet in einem sehr schönen Jugendstil-Theater statt, mit weit über 1.000 Plätzen, von denen leider nur 200 besetzt sind. Bei den Anwesenden springt aber der Funke über, zumal das Orchester sich unter Michael Sanderling noch einmal richtig hochreißt.
Ein Fazit aus dieser Reise zu ziehen, würde der Vielschichtigkeit und vielleicht auch der unterschiedlichen Bedeutung der Tournee für jedes einzelne Orchestermitglied nicht gerecht werden. An den Konzerten allein kann die Wirkung der Reise jedenfalls nicht gemessen werden. Wenn schon ein pauschalierendes Prädikat zu vergeben ist, dann das, dass die Tournee den Reifeprozess jedes Einzelnen intensiv gefördert hat, viel intensiver, als der Autor es sich vor Reiseantritt hätte vorstellen können.
Deshalb bitte weitermachen nach dem Motto: Nach der Reise ist vor der Reise!