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Sekundärliteratur zeugt Tertiärliteratur

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Das Paul-Ernst-Archiv hat in Regensburg eine neue Heimstatt gefunden
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Der Leiterin des Paul-Ernst-Archives (Sammlung Karl August Kutzbach), Frau Hildegard Blanke, ist die Erleichterung deutlich anzusehen. Sie hat es geschafft, die umfangreiche Sammlung von Schriften und Büchern, dazu einen Großteil des Nachlasses samt Bildern, Grafiken und Fotos des Dichters unterzubringen – alles geht jetzt in die Universitätsbibliothek Regensburg.

Der Leiterin des Paul-Ernst-Archives (Sammlung Karl August Kutzbach), Frau Hildegard Blanke, ist die Erleichterung deutlich anzusehen. Sie hat es geschafft, die umfangreiche Sammlung von Schriften und Büchern, dazu einen Großteil des Nachlasses samt Bildern, Grafiken und Fotos des Dichters unterzubringen – alles geht jetzt in die Universitätsbibliothek Regensburg. Frau Dr. Hildegard Blanke freut sich, gleich noch eine Neuigkeit anzeigen zu können: Vom 5. bis 31. Juli 2002 wandert die Paul-Ernst-Ausstellung in die hessische Landes- und Universitätsbibliothek im Schloss Darmstadt. Auch die Paul-Ernst-Gesellschaft war nicht untätig und brachte zwei Bücher heraus.

Eine von Horst Thomé (Universität Stuttgart) herausgegebene Aufsatzsammlung zum Thema: „Paul Ernst, Außenseiter und Zeitgenosse“ und eine biografische Studie von Hildegard Chatellier (Universität Straßburg) mit dem Titel: „Verwerfung der Bürgerlichkeit“. Beide Bücher sind 2002 bei Königshausen und Neumann (Würzburg) erschienen.

Professorenprosa

Die akademische Anstrengung, die ziemlich verwelkten Lorbeerkränze des historischen Dichters neu zu beleben, mag prima vista löblich erscheinen. Doch der schnöde Hauptzweck dahinter, dem literaturwissenschaftlichen Personal wieder zu neuen Publikationen zu verhelfen, ist leider nirgends zu übersehen.

Die Professorenprosa rekapituliert am Exemplum Paul Ernst, was sie eh schon immer wusste. Sekundärliteratur zeugt Tertiärliteratur. So, wenn Hugo Aust über Novellenform und Sprachlogik bei Paul Ernst zwar nichts Neues, aber wenigstens doch seine alte Theorie von neuem explizieren kann. Der Herausgeber und Präsident der Paul-Ernst-Gesellschaft gar, geschult und erzogen an der positivistischen Objektivitätsideologie seines Lehrers Müller-Seidel, vergleicht Paul Ernsts mit Hugo von Hofmannsthals „Ariadne“, ohne die gravierenden dichterischen Qualitätsdifferenzen ins Spiel zu bringen, deren Ergründung einen solchen Vergleich allenfalls evident machen könnte. Auch Professor Hartungs „Kassandra“-Analyse fördert nichts Neues zu Tage. Wer möchte heute zum Beispiel noch glauben, dass Paul Ernsts „eigene Entwicklung“ die „Geschichte des griechischen Schauspiels in seiner Gesamtheit“ wiederhole.

Kleines Karo

Auch Victor Zmegac, der wohl prominenteste Sekundärliterat und Zugpferd der hier versammelten Autoren, nimmt zum Thema „Paul Ernst und das Judentum“ das Wort und kennzeichnet sogleich die Misere einer Germanistik, die zur Notlage der Dichtung in dürftigster Zeit nichts zu sagen hat, und sich deshalb umso mehr an alten, vergessenen Dichtern vergreift.
Zmegac kommt groß und beinah politisch brisant daher, endet aber schon bald wieder im kleinen Karo bürohaften Fleißes. Umständlich findet er heraus, dass manches bei Paul Ernst nach Antisemitismus riecht, aber eben nicht so stark wie bei anderen, sogar berühmteren Kollegen. Der geneigte Leser wird allenfalls ein leises „immerhin“ vor sich hinmurmeln, aber kaum sagen können, warum er dies Sekundärwissen in seinen Gedächtnisspeicher aufnehmen soll.

Die Lektüre ist durchweg ärgerlich und ich könnte fortfahren mit dem kuriosen Aufsatz zum Kaiserbuch, diesem großnational angelegten Anachronismus, doch wozu? Die Professoren sollten endlich einsehen, dass ihre redundante Prosa zwar die Personal- und Bewerbungsunterlagen für universitäre Postenkämpfe und Stellenausschreibungen unterfüttern, doch niemals einen vergessenen Dichter aus seinem Geschichtsdunkel erretten kann. Das gelänge nur echten Dichtern, von diesen aber will merkwürdigerweise schon lange keiner mehr Paul Ernst lesen und entdecken.

Ähnlich wie mit dieser überflüssigen Publikation steht es leider auch mit Frau Chatelliers Biografie, die mit allerlei kultur- und sozialhistorischen Artigkeiten und Gemeinplätzen angereichert ist. Am Einzelfall Paul Ernsts werde sie Einblicke des bildungsbürgerlich-konservativen Wandels im Ganzen gewinnen, schreibt sie in der Einleitung. Doch man wartet vergeblich darauf. Sie häuft jede Menge Material an, zu welchem man diesen – wie manchen anderen – Dichter auch in Beziehung setzen kann, gewiss. Er kannte und schrieb für Sozialisten, Naturalisten, nur mit Expressionisten und Symbolisten wünschte er keinen Umgang. Aber er verwarf keineswegs die Bürgerlichkeit, sondern heiratete sehr handgreiflich in diese ein und konnte sich für ein ganzes Jahrzehnt und länger den luxuriösen Ausflug ins Neuklassische leisten, dessen Sinn und Notwendigkeit er uns leider nie recht erklären konnte. Er lebte großzügig vom Erbe seiner Frau, in Weimar. Er strebte die Nachfolge Goethes an, ist solche (wenn auch halb kaschierte) Absicht als antibürgerlich zu bezeichnen?

Der literaturwissenschaftliche Betrieb muss umgetrieben werden, zweifellos, aber braucht man dazu solche trüben, schlecht geschriebenen Bücher?

Frau Chatellier verbirgt, lobt und verehrt jemanden, der gar nie gestalthaft in den Blick kommt. Ihre ungenaue Sprache lässt alle Kühe in grauer Nacht weiden. Dort ist naturgemäß vieles zu behaupten und irgendwie mit dem Werk Ernsts zu verknüpfen. Doch man erfährt nie, warum sie dies tut, welche poetologische Notwendigkeit sie dazu treibt. Der Leser erfährt über Paul Ernst wenig Erhellendes, Kritisches.

Nein, so wird die Paul-Ernst-Gesellschaft nicht überleben können. Mehr als diese mausgraue Sorte von Sekundärliteratur versprechen die nächsten zwei Publikationen im Herbst dieses Jahres. Einmal die Neuauflage der Komödiantengeschichten Paul Ernsts bei Langewiesche, dann der Briefwechsel zwischen Paul Ernst und Will Vesper, dem Nazidichter. Das könnte zumindest mentalitätsgeschichtlich interessant werden.

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