Die Mitte März bundesweit beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben die Musikakademien sofort, unmittelbar und auf ganzer Linie betroffen: Probenphasen, Workshops, Kursangebote, Wettbewerbe und Konzerte – alles musste abgesagt beziehungsweise weitestgehend eingeschränkt werden.
Die Restaurants und Hotelbetriebe mit den insgesamt über 2.000 Betten wurden geschlossen. Gerade die musikalischen Bildungsstätten, deren Aufgaben und Ziele die intensiven Probenmöglichkeiten und Begegnungen von musikalisch aktiven Menschen sind, betraf und betrifft das weiterhin in ganz besonderer Weise. Während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Restaurants und Hotelbetrieben in vielen der Akademien aus betriebswirtschaftlichen Gründen teilweise oder in Gänze so früh wie möglich in Kurzarbeit geschickt worden sind, bemühten sich die Verwaltungen um Verschiebungen der ausgefallenen Angebote in den Herbst. Dies ist in vielen Häusern angesichts der ohnehin schon gut gebuchten zweiten Jahreshälfte nur schwer möglich und vor der weiterhin unklaren Entwicklung der Pandemie optimistisch. Viele Angebote aus der auf über zwei Monate andauernden Schließungsphase mussten ersatzlos gestrichen werden. Mit finanziellen Folgen.
Die Einnahmeausfälle werden sich bis zum Jahresende für viele Häuser im hohen sechsstelligen Bereich bewegen. Das betrifft in besonderem Maße die Häuser, in denen die Schwerpunkte auf Chorgesang oder Blasmusik liegen oder zu deren Aufgaben die Lehrerinnenfortbildung oder zu deren regelmäßigen Besuchern Schulklassen gehören. Gemeinsam bemühen sich die Akademien einerseits um den Austausch relevanter Studien, um bald auf verlässlicher Grundlage wieder inhaltlich tätig werden zu können, und andererseits zu möglichen Unterstützungsprogrammen der Länder oder des Bundes zur Abmilderung der Schäden.
Überhaupt zeigen sich die 23 dem Verbund angehörenden Bundes- und Landesmusikakademien auch in der Krisenzeit vorwärtsgewandt. In fast allen Häusern wurde die im Regelbetrieb seltene belegungslose Zeit für Wartungsarbeiten und Renovierungen genutzt. In der Landesakademie für die musizierende Jugend in Baden-Württemberg (Ochsenhausen) wurden aufgeschobene Sanierungsarbeiten und Umbaumaßnahmen innerhalb der Akademie vorgezogen, um den Leerstand des Gebäudes sinnvoll zu nutzen. Der Akademie in Rendsburg wurden Sanierungsmittel des Landes zugewiesen – angesichts der wirtschaftlich schwierigen Zeit mit einem verringerten Eigenanteil. Und in der hessischen Landesmusikakademie Schloss Hallenburg in Schlitz wurde gar der Spatenstich für ein neues Gästehaus getätigt.
Aber auch bei der Vermittlungs- und Bildungsarbeit hat die Coronaphase Entwicklungsschübe gebracht. Einige Akademien haben schnell angefangen, mit digitalen Bildungsangeboten und digital übertragenen Konzerten et cetera die Zeit der fehlenden Präsenzseminare und -veranstaltungen zu überbrücken und für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Zeit der Corona-Beschränkungen dennoch musikalische Bildungsangebote anzubieten.
Im April feierte die Landesmusikakademie Berlin Online-Premiere. Seither fanden mehrere studienvorbereitende Kurse sowie ein Modul des berufsbegleitenden Lehrgangs Musikgeragogik statt. Beides mit sehr positiven Erfahrungen, die dazu motivieren, diesen schon lange geplanten Digitalisierungsschub weiter voran zu treiben und zu optimieren. Für Kinder, Eltern und Erzieher*innen in der Notbetreuung hat die Akademie einen kostenlosen Service geschaffen: Die „Musik-Fundgrube“ bietet kleine Musikspiele, Tipps und Ideen, wie man mit Kindern sinnvoll und unterhaltsam Zeit verbringen kann.
Digitalausbau beschleunigt
Der Auf- und Ausbau digitaler und hybrider Weiterbildungsformate wird auch an der Bundesakademie Trossingen durch die Corona-Krise zusätzlich beschleunigt. Die Resonanz auf entsprechende Angebote unter den Teilnehmer*innen ist sehr positiv, was die Bundesakademie als Bestärkung in ihrem Ziel auffasst, digitale Formate zukünftig vermehrt in ihre Weiterbildungen zu integrieren. Im Rahmen eines Modellprojekts richtet die Akademie derzeit ein professionelles Studio zur Produktion von Tutorials und Webinaren mit einem Live-Schnittsystem ein. Eine Online-Plattform mit Videos und weiteren Lernmaterialien für die Teilnehmer*innen befindet sich ebenfalls im Aufbau.
Aufbauend auf der vorhandenen Infrastruktur aus den Blended-Learning-Formaten in den mehrjährigen Weiterbildungen konnte auch die Bundesakademie in Wolfenbüttel schnell Online-Workshops entwickeln und anbieten. Besonders nachgefragt ist dabei das Angebot Chor #onScreen, in dem über Möglichkeiten und Chancen virtueller Chorarbeit informiert und diskutiert sowie gemeinsam mit den Teilnehmer*innen passende Methoden des Probens per Videokonferenz entwickelt und ausprobiert werden. Interessant ist hier vor allem zu sehen, wie Ansätze entstehen, die diese Arbeit nicht einfach als Ersatz für oder Übertragung der wöchentlichen Probe ins Netz auffassen, sondern als Chance für neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit.
Am Nordkolleg Rendsburg setzte man in der Zeit der Schließung auf partizipative digitale Projekte. Für einen virtuellen Wohnzimmerchor verschickte man Midi-Files und Noten, ließ sich jeweils Videos einsenden und schnitt diese zu einem Chor-Video zusammen. Mehrere hundert Teilnehmende aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kamen so zu insgesamt sechs virtuellen gemeinsamen Auftritten, die weit über 25.000-mal angeschaut wurden. Ein vergleichbares Projekt vereint unter dem Titel „Bassoon-Saloon“ mehrere hundert Fagottist*innen aus über zwanzig Nationen auf vier Kontinenten. Beide Projekte werden ebenso wie die regelmäßigen Livesendungen fortgesetzt.
Die Akademie der Kulturellen Bildung im nordrhein-westfälischen Remscheid nutzte die Zeit zur Weiterentwicklung digitaler Kursformate, um ihren Teilnehmer*innen neue Wege der Fort- und Weiterbildung zu eröffnen und zugleich anderen Fortbildungsanbietern Lösungswege der digitalen Fortbildung in künstlerisch-kreativen, kulturpädagogischen Bereichen aufzuzeigen. Die Kombination Online- und Präsenz-Veranstaltung wird eine große Rolle spielen und in die Planung 2021 implementiert werden. Die neuen Formate, die im Kontext von Teilnehmerbefragungen evaluiert und ausgewertet werden, sollen auch Multiplikator*innen in ihrer Arbeit nutzen können. Mit ihnen soll das Akademieprogramm grundsätzlich weiterentwickelt werden. Die nordrhein-westfälische Landesmusikakademie in Heek setzt in der Digitalisierung auf interaktive Webinare, die jederzeit den Kontakt zwischen allen Teilnehmenden und den Dozent*innen ermöglichen. Die Dauer der Angebote variiert zwischen einmalig eineinhalb Stunden bis hin zu mehreren über zwei Wochen verteilte Blöcke. Inzwischen fanden elf kostenpflichtige Online-Workshops statt, fast alle waren ausgebucht, sieben weitere Angebote werden bis Mitte Juni entwickelt. Die sehr positive Resonanz auf Online-Workshops führt in Heek zu einer Neubetrachtung der geplanten Präsenz-Veranstaltungen im kommenden Jahr. Eine Kombination aus Online- und Präsenz-Veranstaltungen wird dort künftig eine große Rolle spielen.
Erste Webinare
Die Landesmusikakademie Hessen Schloss Hallenburg in Schlitz treibt die Neustrukturierung und -ausrichtung der Akademie voran. Für das Jahr 2020 steht dort die Erweiterung der Fortbildungsabteilung auf der Agenda. Bereits zu Jahresbeginn konnte eine zusätzliche Teilzeitstelle für die Kursorganisation geschaffen werden und seit einigen Wochen ist die Möglichkeit zur Online-Anmeldung in die Website fertig integriert. Videoseminare wurden vorwiegend bei den langfristigen eigenen Programmen eingesetzt. Aufgrund der positiven Erfahrungen werden Videoseminare künftig die Präsenzphasen ergänzen.
Die Landesakademie für musisch-kulturelle Bildung im Saarland e.V. in Ottweiler hatte das Thema Digitalisierung für 2020 ohnehin auf der Agenda und führte nun eine neue Buchungssoftware ein. Nach den Sommerferien werde es erste Webinaren geben. In digitaler Zusammenarbeit des ehrenamtlichen geschäftsführenden Vorstandes wurden neue Kurskonzepte und Themen der Vereinsführung und Nachwuchsgewinnung erarbeitet, die den Umgang mit den digitalen Möglichkeiten beinhalten. In Planung sind auch Live-Konzerte in der Akademie, die dann über Streaming ins Netz gestellt werden.
Die Musikakademie Rheinsberg arbeitet derzeit real wie digital als musikalischer Proben- und Produktionsort: Ein Projektensemble mit 25 Musiker*innen aus Bolivien, das zum Zeitpunkt des Shutdowns in der Musikakademie gearbeitet hatte, ist nach wie vor zu Gast. In Kooperation mit dem Berliner Projektensemble PHØNIX16, der MaerzMusik (Berliner Festspiele) und weiteren Partnern wie dem DAAD und dem Deutschlandradio entsteht Neue Musik, welche auf kreativen und digitalen Wegen den Weg nach Bolivien und in die globale Internetöffentlichkeit findet. Aber auch intern nutzt die Musikakademie Rheinsberg die Zeit für einen Digitalisierungsschub. So wurden Konzepte für digitale Fortbildungen entwickelt, neue Tools für die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation erprobt und intern Prozesse für den Einsatz neuer Software optimiert, um den ganzen Akademiebetrieb – vom Angebot über Buchung bis zur Gästebetreuung – weiter zu optimieren.
Videoproduktionen
Geholfen wird auch mit Kooperationen und mit den Ressourcen der Akademien. Die Landesmusikakademie Niedersachsen startete neben eigenen Webinaren auch die Audio-Video-Reihe „Ohrenblicke“. Dafür stellt die Akademie das Tonstudio Solomusikern und Duos kostenfrei zur Verfügung. Unabhängig von Genres entstehen so kleine, professionell erstellte Videos, die sich in ihrer Qualität von den vielen Corona-Heimproduktionen abheben.
In der Landesakademie Ochsenhausen werden für das Kultusministerium mehrere Videostaffeln zum Thema „Singen, Liederarbeitung“ für die unterschiedlichsten Altersgruppen im Elementarbereich, Primarstufe und Sekundarstufe I abgedreht und produziert.
Die Musikakademie Schloss Weikersheim, deren Hauptaufgabe nicht über digitale Tools erfüllbar ist, gibt im ruhenden Betrieb unter dem Titel „MEHR SPIELRAUM“ der örtlichen Musikschule Obdach und wirbt mit dem Angebot „stay & play“ für den sorgenfreien Aufenthalt kleinerer Gruppen.
Allen Akademien ist der Wunsch gemein, dass sie möglichst bald wieder Menschen zum Musizieren zusammenbringen dürfen. Hierfür werden Hygienekonzepte erarbeitet, Säle für kleine Konzerte hergerichtet und alle Voraussetzungen für die an vielen Akademien eigentlich geplanten Sommerkurse getroffen. Diese sollen stattfinden, sofern Politik, Gesundheit und Vernunft dies erlauben.