Berufsfachschulen für Musik befinden sich zwischen Schule und Hochschule: sie ebnen erst den Weg zur musikalischen Professionalität. Vielleicht, so dachten wir uns, stünde einer Berufsfachschule deshalb eine Vermittlerrolle nicht schlecht an. Und entwarfen ein Projekt für allgemein bildende Schulen, in welchem das Ehepaar Schumann – moderiert, illustriert und vor allem interpretiert – im Mittelpunkt stehen sollte.
Berufsfachschulen für Musik befinden sich zwischen Schule und Hochschule: sie ebnen erst den Weg zur musikalischen Professionalität. Vielleicht, so dachten wir uns, stünde einer Berufsfachschule deshalb eine Vermittlerrolle nicht schlecht an. Und entwarfen ein Projekt für allgemein bildende Schulen, in welchem das Ehepaar Schumann – moderiert, illustriert und vor allem interpretiert – im Mittelpunkt stehen sollte.Die Schumann-Thematik bietet neben musikalischen auch menschlich-persönliche Ansprachepotenziale: das (Miss-) Verhältnis von modischem Erfolg zu bleibendem Nachruhm und seine Auswirkungen auf eine Künstlerehe, das Thema Genie und Wahnsinn, die Geschichte einer frühen Frauenemanzipation – schließlich war Clara zu Lebzeiten die Berühmtere. Diese Aspekte waren bei dem Versuch hilfreich, möglichst viele Identifikationsfelder für die Schüler zu schaffen. Den kognitiven Elementen des Musikunterrichts wollten wir schließlich die sinnliche und emotionale Ebene hinzufügen. Neben den musikalischen „Live“-Darbietungen von Musik beider Schumanns arbeiteten wir deshalb ergänzend mit historischem Bildmaterial.Schülerkompositionen
Außerdem hatten wir drei Schülerkompositionen im Gepäck, was der breiten Streuung der Ausbildungsinhalte an unserem Institut gemäß ist. Denn die rein instrumentale Spezialisierung, welche viele Hochschulstudiengänge pflegen, ist nicht alleiniger Bildungsinhalt für die Berufsfachschulen mit ihrem umfassenden Fächerkanon.
So hatten drei Hauptfachpianisten zu vorgegebenen Themenbereichen komponiert. Daraus erwuchsen eine poppig angehauchte „Liebe mit Hindernissen“ (Johannes Merkle), ein Revolutionsopus mit virtuosem Klavier und opulentem Schlagzeugeinsatz, welches den Gegensatz der biedermeierlichen Hausidylle der Schumanns mit den politischen Wirren plastisch vorführte (Jonathan Leroux) und ein Irrenhaus-Stimmungsbild in zwei Teilen, bei welchem der erste durch progressiv dissoziierende Stimmführung Schizophrenie musikalisch umsetzte, während im abschließenden „Lullaby for a lunatic“-Teil der Komponist am Klavier zu einer Bluesharmonie-Grundlage improvisierte (Johannes Rathgeber). Die Schülerkompositionen waren im Vorfeld aufgenommen worden und kamen deshalb in den Klassenzimmern vom Band.
Schulsituationen
Musik in der Schule: über unkonzentrierte Jugendliche, Desinteresse und Aggression wird so viel geunkt, dass auch wir unsere Tour skeptisch angingen. Musikausbildende Institute sind Elfenbeintürme gegenüber muffigen Musiksälen mit Kreidedunst und invaliden Stutzflügelveteranen.
Wenn dann noch lärmende Fünftklässler zu Beginn wuselnd die Szene stürmten, wurde schon einmal eine unserer Sängerinnen nervös und attackierte die beteiligten Lehrkräfte genervt: „Seid Ihr sicher, dass das sinnvoll ist?“ Eine Handvoll Sechstklässler, welche auf diese Weise erstmals klassischen Gesang vernahm, hatte nämlich ein paar Tage zuvor an einer anderen Schule beim ersten Lied verstohlen zu kichern begonnen. Auch das muss sein, wenn man „nach außen“ geht, versuchten wir den zunächst irritierten Schülern klar zu machen: Neues kann immer auch befremden. Das wurde akzeptiert – und es blieb ohnehin ein einmaliger Vorfall.
Die Voreingenommenheiten und Unsicherheiten legten sich überhaupt sehr schnell. Wir waren alle völlig verblüfft, auf welche Aufmerksamkeit und auf welch lebendiges Zuhören und Mitmachen wir – ohne jede Ausnahme – stießen. Das hätten wir niemals erwartet! Teilweise konnten es die beteiligten Schulmusiker selbst nicht fassen: „So still habe ich diese Klassen noch nie erlebt!“ wurde nicht nur einmal gestaunt.
Schon Lichtenberg bezeichnete es als „sehr vernünftig“, dass sich im Deutschen „Geld“ auf „Welt“ reimt. Clara Wiecks monetäre Popularität bot als Top-Aktie einen dankbaren Einstieg zum Thema: auch für die Gestaltung des Prospekts war das Konterfei der Pianistin, die ihren Nachfolgern das öffentliche Auswendigspielen eingebrockt hat, auf dem Schein, den jeder gerne in der Hand hält (noch!), ein willkommener Aufhänger gewesen.
Vermittlung
„Romantik“ hat heutzutage ja eher mit Titanic-Rührung als mit Friedrich Schlegels geflügeltem Wort von der „progressiven Universalpoesie“ zu tun: lässt sich diese Begriffsverschiebung vermitteln? Und: vor dem Pubertieren, so erfuhren wir jedes Mal, ist man noch in überhaupt keinem Sinn „romantisch“. Fünft- und Sechstklässler waren je gebannter, je virtuoser die Aktionen einer Vorführung gerieten. Ein scheinbar so schwer zu rezipierendes Werk wie die späte Robert-Schumann-Violinsonate in a-Moll überfordert die Aufnahmefähigkeit von Elfjährigen keineswegs, während die Konzentration bei den Jüngeren immer dann zu schwinden begann, wenn Musik vom Band kam, sei sie auch noch so dankbar zu hören. Das löste bei den beteiligten Spielern im Nachhinein heftige Diskussionen aus, wie Schulunterricht ansprechend zu gestalten sei. Man fing an, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern. Musik kommt in der Schule ja fast immer vom Band – verschenkt man damit nicht so manche Überzeugungschance? Müssten Musikausübende nicht vermehrt in die Schulen ziehen? Und sollten Schulmusiker nicht viel stärker auf solche Angebote eingehen, auch wenn bei Projekten dieser Art viel an Umorganisation zu leisten ist?
Höhere Klassenstufen dagegen verspürten offenbar keine Mühe mit dem Hören aus der Retorte: sie waren neugierig, wie ein Fast-Altersgenosse komponiert. Und bei einem Klavier-Nocturne der sechzehnjährigen Clara aus den „Soirées musicales“ gerieten Mittel- und Oberstufenschüler regelmäßig sichtbar ins Träumen. Überhaupt erwies sich die Aktion als eine späte Revanche für die populistischere Schreibweise der Dame. Heines „Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht“ ist der einzige Text, dem beide Schumanns ein Sololied gewidmet haben. Wir hatten das Liedpaar auf dem Programm und veranstalteten (sensationslüstern!) jedes Mal eine Abstimmung. Fulminanter Triumph der Gattin! In Ansbach hoben in einer der Vorführungen gar nur zwei Vereinzelte schüchtern die Hand für Robert.
Auch eine anspruchsvolle Sprachebene kann Aufmerksamkeit evozieren und das Gespür für die Sache verstärken – wenn sie nicht angestrengt oder belehrend daherkommt. Ein großer Teil des unerwarteten Erfolgs der Aktion war sicher der Moderation (Erich Schneider, unter anderem Musikgeschichtsdozent in Dinkelsbühl) zu verdanken: erzählend, manchmal auch plaudernd, aber niemals dozierend. Als tragfähige Strategie erwies sich, bei den Älteren die gezeigten Bilder als Beiwerk zu behandeln, bei den Jüngeren dagegen um die Bilder herum zu erzählen. War ein leichtes Abflauen der Aufmerksamkeit zu spüren, wurde das Publikum postwendend mit viel Fingerspitzengefühl durch eine witzige Anekdote oder durch direkte Ansprache „zurückgeholt“.
Insgesamt: ein Umdenken auf beiden Seiten war zu spüren. Die angeschriebenen Schulen hatten anfangs gar nicht oder nur zögerlich reagiert. Aufführungen dieser Art seien schwer zu organisieren, lautete die Standardargumentation. Ausschlaggebend mag dabei auch gewesen sein, dass man sich vielerorts unter unserem Schultyp wenig vorstellen kann. Wurde das Projekt dann aber realisiert, schlugen uns durchweg begeisterte Reaktionen entgegen, wie hilfreich Eindrücke erster Hand bei der Bewältigung des Lehrplans sein könnten: so vieles könne man jetzt sinnvoll wie nie nacharbeiten. Manche Lehrer baten um das Skript der Vorführung mit dem eingesetzten Bildmaterial, manche sogar um die CD mit den Schülerkompositionen. Und ausnahmslos folgten Einladungen für das nächste Schuljahr.
Was die beteiligten Berufsfachschüler anbelangt, konnte man neben zunehmender Solidarisierung beobachten, wie der viel zitierte „pädagogische Eros“ nach und nach offenbar einen ganzen Pfeilregen niedergehen ließ. Die Aktion setzte auf Schülerseite beträchtlichen Idealismus voraus: Geld gab es natürlich keines, an Zeit war viel zu investieren – und Ruhm und Ehre erlangten höchstens die Schumanns. Wurde anfangs vereinzelt beklagt, dass sich bei der Aktion keiner „profilieren“ könne, so reisten wir am Ende mit einem eingeschweißten Team, welches die Rückkoppelung durch die Klassenzimmer begierig aufnahm und in die ganze Schule weitertrug: produktives Nachdenken über Musikvermittlung allerorten. Klarer Sieg, nicht nur für Clara.
Immer häufiger wurde von Schülerseite aus signalisiert, man wolle sich unbedingt ein weiteres Mal beteiligen. Und natürlich wird die Schumann-Aktion einen Nachfolger finden, hat das positive Echo doch auch die beiden Initiatoren angespornt. Ein neues, fächerübergreifendes Projekt ist bereits in konzeptioneller Planung. Dabei wird es aber nicht nur um Musik und Leben eines Komponisten gehen. Auf dem Weg durch die Jahrhunderte werden wir bis an die Wurzeln von Klangerzeugung und -symbolik vordringen. Mehr wird einstweilen nicht verraten.