Trotz Herrenberg-Urteil: Die Bundeshauptstadt setzt bei der Übernahme von Honorarkräften an Musikschulen in Festanstellung auf Zeit. Eine vom Berliner Musikschulbündnis veranstaltete Podiumsdiskussion zeigte, dass es andere Städte besser hinbekommen.
Podiumsdiskussion des Berliner Musikschulbündnisses zum Herrenbergurteil am 30. September 2025. V.l.n.r.: Elke Breitenbach (Die Linke), Daniel Wesener (Grüne), Juliane Ebeling (Musikschullehrerin), Raphael Amend (Moderation, Bundesgeschäftsführer VdM), Sven Meyer (SPD), Dennis Haustein (CDU) und Stefan Prophet (Direktor Musikschule Dortmund und Mitglied im Bundesvorstand des VdM). Foto: Chris Berghäuser
Kritik an der „Berliner Extra-Currywurst“
Enttäuschung, Wut und der Wille weiterzukämpfen – bei einer vom Berliner Musikschulbündnis veranstalteten Podiumsdiskussion rangen die Gäste heftig um die Zukunft der Honorarkräfte an den Berliner kommunalen Musikschulen. Erkenntnis des Abends: Trotz eines Urteils des Bundessozialgerichts – das „Herrenberg-Urteil“ – hat man in der Bundeshauptstadt offenbar weiterhin nicht vor, Honorarkräfte in großem Umfang festanzustellen. Eine nicht hinnehmbare „Berliner Extra-Currywurst“ nannte das Juliane Ebeling, die bei der gut besuchten Veranstaltung im Rathaus Charlottenburg auf dem Podium die Sache der Lehrkräfte vertrat.
Dass die meisten anderen Städte bei der Umsetzung des Urteils viel weiter sind als Berlin, schilderte Podiumsgast Stefan Prophet, Leiter der Dortmunder Musikschule und Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Musikschulen (VdM). Auch im Ruhrgebiet hätten die Kommunen wenig Geld zur Verfügung, sagte er. Doch zum Beispiel in Dortmund seien inzwischen alle Lehrkräfte festangestellt. Anders in Berlin, wo man auch drei Jahre nach dem Urteil so tue, „als sei man vom Urteil auf dem falschen Fuß erwischt worden“.
Rückblick: 2022 entschied das Bundessozialgericht, dass für eine im baden-württembergischen Herrenberg als Honorarkraft tätige Musikschullehrerin über viele Jahre hinweg Beiträge in die Sozialkassen (zum Beispiel in die Rentenversicherung) hätte eingezahlt werden müssen, denn sie sei „abhängig beschäftigt“. Das Urteil hatte Bedeutung weit über den Einzelfall hinweg. Denn nun war klar, dass es sich bundesweit beim Großteil der Honorarkräfte um Scheinselbstständige handelt. Zu beseitigen wäre der Missstand durch Übernahme in Festanstellung – ein Weg, dem sich Berlin seither mit Verweis auf knappe Kassen verweigert.
Mit eindringlichen Worten beschrieb die Berliner Musikschullehrerin Juliane Ebeling ihre mangelnde soziale Absicherung als Vollzeit-Honorarkraft. Diese sei gleich null – beispielsweise „bei längerer Krankheit oder wenn man ein Kind bekommt“. Darüber hinaus gebe es keinen wirklichen Kündigungsschutz, und Honorarkräfte müssten mit stets schwankenden Einnahmen leben. „Deshalb warte ich seit 36 Jahren auf eine Festanstellung“, sagte Ebeling. Auch jetzt noch werde dies von Berlin verweigert, weshalb sie sich „unglaublich mies“ fühle.
Auf die Untätigkeit der aktuellen schwarz-roten Koalition zielte auch die auf dem Podium vorgetragene Kritik von Grünen und Linken ab. Der Grünen-Finanzexperte Daniel Wesener bezifferte den zusätzlichen Finanzbedarf für Festanstellungen und Aufrechterhaltung des Musikschulangebots auf rund 15 Millionen Euro im Jahr – Geld, das im Entwurf für den Doppelhaushalt 2026/2027 nicht eingestellt sei. Nun gelte es, im Parlament nachzuarbeiten. Linken-Sozialexpertin Elke Breitenbach stellte unter großem Applaus des Publikums fest, dass „Scheinselbständigkeit verboten“ sei und deshalb dringend gehandelt werden müsse.
Dennis Haustein (CDU) und Sven Meyer (SPD) verwiesen dagegen auf das Stillhalteabkommen, das bis Ende 2026 gilt und zwischen dem Bundesarbeitsministerium und den Sozialversicherungsträgern vereinbart worden ist. „Und ich spüre, dass dieses vielleicht sogar über 2026 hinaus verlängert wird“, deutete Haustein an.
Sein Plan sieht nun so aus: Zunächst, für 2026 oder 2027, solle das Land 200 zusätzliche feste Vollzeitstellen schaffen. „Für 2028/2029 sollten es dann weitere 200 Stellen sein“, so dass man mit diesem „Stufenplan“ am Ende bei 60 bis 65 Prozent Festanstellungen (aktuell knapp 25 Prozent) herauskomme. Haustein bekam Unterstützung von seinem Koalitionskollegen Meyer. Mangels finanzieller Spielräume hoffe er, dass es nun zumindest zum 200er-Stufenmodell komme, betonte der SPD-Mann.
Aber wer bekommt diese festen Stellen – die langjährigen Honorarkräfte oder müssen die Stellen überregional ausgeschrieben werden? Das sei „eine schwierige rechtliche Frage“, erläuterte der Grünen-Politiker Wesener. Aber bei der vom VdM-Bundesgeschäftsführer Raphael Amend geleiteten Podiumsdiskussion waren sich alle einig, dass eine unkomplizierte Umwandlung von Honorartätigkeit in Festanstellung eigentlich der beste Weg wäre.
In der abschließenden Diskussionsrunde mit Publikum verwies Franziska Stoff vom Berliner Landesmusikrat darauf, dass nach „Herrenberg“ Festanstellungen die einzig logische Konsequenz wären. Die Leiterin der Musikschule Kreuzberg-Friedrichshain, Ina Finger, erzählte von ihrer Anfangszeit als Musiklehrerin, als sie zeitweise nicht wusste, wovon sie „die nächste Miete zahlen“ sollte. Eine Situation, die mancher aktuellen Honorarkraft bekannt vorkommen dürfte.
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