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Abgetrennt, abgeschlagen, zugesetzt, demontiert

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Musikkritik – Auslaufmodell? · Frieder Reininghaus erinnert an den journalistischen Auftrag
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Dieser Tage, Oberfranken durchquerend, war das Autoradio auf die Kulturwelle des Bayerischen Rundfunks eingestellt und die Zeit für das Magazin „Musik aktuell” gekommen. Nach der alerten Stimme der Moderatorin meldete sich dann jedoch nicht etwa ein Reporter oder Musikkritiker zu Wort, sondern der Kulturverantwortliche der Allianz-Versicherungs-Gruppe: „Wir müssen Kultur verstärkt als Medium verstehen.” Sehr viel genauer wurde er nicht. Da der Kulturförderungs-Spezialist für das marodierende Finanzkapital sprach, durften kundige Hörer schließen, dass dieser künftig verstärkt unmittelbare Einflussnahme beabsichtigt und der interessierten Öffentlichkeit die gewünschten Verhaltensmuster für die ihr abverlangte Duldung anempfiehlt. Beiläufig wurde demonstriert, wer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk inzwischen selbst auf jenen Sendeplätzen das Sagen hat, die traditionell der „Fachkritik” vorbehalten waren (für die allgemeinen politischen und kulturpolitischen Nachrichten, Stellungnahmen und Kommentare stehen ausreichend Sendezeiten zur Verfügung). Der radiophonen Musikkritik – ohnedies längst in Nischen verbannt – wird womöglich zugesetzt und der Garaus gemacht. Und keineswegs nur von einer CSU-nahen Landesrundfunkanstalt im Südosten der Bundesrepublik.

Dieser Tage, Oberfranken durchquerend, war das Autoradio auf die Kulturwelle des Bayerischen Rundfunks eingestellt und die Zeit für das Magazin „Musik aktuell” gekommen. Nach der alerten Stimme der Moderatorin meldete sich dann jedoch nicht etwa ein Reporter oder Musikkritiker zu Wort, sondern der Kulturverantwortliche der Allianz-Versicherungs-Gruppe: „Wir müssen Kultur verstärkt als Medium verstehen.” Sehr viel genauer wurde er nicht. Da der Kulturförderungs-Spezialist für das marodierende Finanzkapital sprach, durften kundige Hörer schließen, dass dieser künftig verstärkt unmittelbare Einflussnahme beabsichtigt und der interessierten Öffentlichkeit die gewünschten Verhaltensmuster für die ihr abverlangte Duldung anempfiehlt. Beiläufig wurde demonstriert, wer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk inzwischen selbst auf jenen Sendeplätzen das Sagen hat, die traditionell der „Fachkritik” vorbehalten waren (für die allgemeinen politischen und kulturpolitischen Nachrichten, Stellungnahmen und Kommentare stehen ausreichend Sendezeiten zur Verfügung). Der radiophonen Musikkritik – ohnedies längst in Nischen verbannt – wird womöglich zugesetzt und der Garaus gemacht. Und keineswegs nur von einer CSU-nahen Landesrundfunkanstalt im Südosten der Bundesrepublik. Wie kein anderes Medium eignet sich der Rundfunk, wie er sich in Mitteleuropa seit Mitte der 20er-Jahre herausbildete, für die Präsentation von Musik als mehr oder minder weicher Teppich und zunehmend bunt gemusterte Tapete des Alltags, und insbesondere auch zu konzentriert wahrzunehmenden Formen der Präsentation und Dokumentation von Musik der unterschiedlichsten Provenienz. Die Skala des Angebots reicht von der Wiedergabe der verschiedenartigsten Konzerte und Opernaufführungen bis zu den speziell für den Radio-Gebrauch entwickelten Tonkünsten. Begleitet wurde der Aufschwung, die zunehmende technische Perfektionierung und Differenzierung der Musik im Radio von kürzeren oder ausführlicheren Ansagen und Abkündigungen, die selbst rituelle Formen entwickelten und einem Wandel von Geschmack und Moden unterlagen: Musik-Moderation hat sich selbst als zunehmend differenziertes Genre herausgebildet. Daneben entwickelte sich das öffentlich-rechtliche Radio – keineswegs zufällig in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg – neben den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen – zum Träger von (wiederum unterschiedlich gearteter) Reflexion über Musik und Musikleben sowie von Musikkritik.

Der sachliche Zusammenhang legte dies ebenso nahe wie der kulturpolitische Wille in den jungen Demokratien, der Musik als bloßem Instrument wechselnder Stimmungen, als Stimulans von Gefühlen und „halb Artikuliertem” (Thomas Mann) ein wenig rationale Durchdringung und kritische Würze beizumengen. Denn nicht zuletzt ihr „Quietismus” wie die aus und mit Musik hervorbrechende Begeisterungsfähigkeit hatte erkennbar Anteil an der Bändigung wie am Mobilisieren und Entflammen der Massen (und der Intelligenz) in den Jahren der großen Diktaturen. Man erinnerte sich durchaus an den politischen Verdacht von Ludovico Settembrini, der zur entsetzten Erheiterung Hans Castorps in Erwägung zog, dass Musik allein „die Welt nicht vorwärts bringe”. Ja: „Musik allein ist gefährlich” („Der Zauberberg”, 1924).

Die Lehren, die nach 1945 zu ziehen waren (und um die der Disput nach 1968 aufflammte), sind auch auf dem Feld der öffentlich-rechtlichen Musikpräsentation zunehmend verdrängt worden. Zuerst diskret, dann offensiv. In der populistisch bedienten Welt wirkt die Erörterung musiktheoretischer Fragen, die seit dem Heraustreten der Tonkünste aus dem Schatten der Kirche, der Stadtpfeiferei und krähwinkligem Spezialistentum einen wesentlichen Bestandteil des „Geisteslebens” ausmachten, skurril – und Musikkritik als Störfaktor. Einzig die komponierenden und musikinterpretierenden Künstler, die Betreiber von Konzerthallen und Musiktheatern sowie die Hersteller von Tonträgern, die so lange mit „der Musikkritik” als einer teilweise unabhängigen und nicht völlig zu korrumpierenden Instanz haderten, scheinen heute noch Interesse an deren Fortbestand zu haben. Doch sie artikulieren dieses Interesse, wenn überhaupt, so beiläufig, dass dies bei Programm-Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht ins Gewicht fällt. Das breite Publikum, das sich schon mit der „Musikbetrachtung” und dem parteilichen Rezensentenwesen brav begnügte, welche 1933 an Stelle der in der Zwischenkriegszeit demokratisierten und pluralisierten Kritik traten, kommt in der Bundesrepublik Deutschland immer noch hörbar gut ohne Musikkritik aus. Hörertelefone und die auf Ankündigung ausgelegten Internet-Fenster begleiten die „Medien-Partnerschaft”, welche die ARD-Anstalten mit den Musikveranstaltern begründeten. Selbst treiben sie das Moderieren voran – und vollziehen damit eine (stillschweigende) Vorgabe der hohen Politik nach, die wohl auch Stimmungen in der Bevölkerung durch Talkshow-Teilhabe und Moderation mehr als durch alles andere zu steuern trachtet.

Die Radio-Programme mit kulturellem Auftrag und entsprechenden Ambitionen haben in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten – in Deutschland wie in den umliegenden Ländern – mehrere „Reform”-Schübe erfahren. „Unternehmensphilosophie” und Outfit des Westdeutschen Rundfunks etwa unterscheiden sich heute so erheblich vom Gesamtbild, das von den Inhalten und Vermittlungsformen dieses Senders Ende der 70er-Jahre zu gewinnen war. Bei aller Veränderung, Modernisierung, Anreicherung und Verknappung in einzelnen Segmenten ist der Kulturwelle WDR 3 die überwiegende Fundierung auf Musik geblieben. Freilich haben sich nicht nur die Repertoire-Segmente verschoben und die „Musik-Farben” angereichert. Beiläufig wurden auch die Sendeplätze der Musik- und Opern-Kritik verschoben und demontiert. Das Samstags-Feuilleton – ebenso ganz eingestrichen wie die halbstündige Sendereihe „Am Abend vorgestellt”, in der immer wieder auch kritische Würdigungen von Musikbüchern erschienen. Das relativ viel gehörte Morgen-„Mosaik” musste die Berichterstattung über herausragende Ereignisse des Musik(theater)lebens weitgehend an ein schlecht platziertes (und kaum gehörtes) Nachmittags-Magazin abtreten (vormals „Musikszene West”, jetzt von Dortmund aus gesteuert und „Resonanzen” genannt): Eine schwerpunktmäßig auf die Ruhr-Region zentrierte Plauderstunde, in der freundlich „begleitender” Journalismus gepflegt wird und sich häufig betörende Unbedarftheit ausbreiten darf.

Ein wenig besser hat es Musik- und Opern-Kritik noch im Norden der Republik dank „N3“. Aber auch dort wurde die Musikkritik abgetrennt von den übrigen Sphären der Kunst und Kultur, die von den in Hannover produzierten Sendestrecken „Texte und Zeichen” verwaltet wird, und gleichfalls dem mittleren Nachmittag mit seinem „Musikforum” zugeschlagen – gesendet nun zu einer Zeit, in der erfahrungsgemäß nur sehr wenige Feuilleton-Hörer einschalten.

Doch bei Radio Bremen, von Sparzwängen und Miss-Management stark gebeutelt, ging es ihr – wie der Neuen Musik und anderem „Kuriosem” – so gut wie ganz an den Kragen. Im Süden wurde ihr Aktionsfeld durch die Fusion von Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk und der im vereinigten SWR nochmals reduzierten Sendezeit ebenfalls eingeengt – und in Berlin erging es ihr noch übler.

Mit dieser in Scheibchen herbeigeführten Reduktion sind die Rundfunkanstalten freilich keineswegs federführend. Sie vollziehen parallel nach, was auf den Kulturseiten der Zeitungen zu beobachten war – zunächst in den regionalen Blättern, dann auch bei den Feuilletons der „Zeit” sowie der auf Sparkurs eingeschwenkten „Welt” (die redaktionell mit der „Berliner Morgenpost” gekoppelt wurde), der allseits stagnierenden „Berliner Zeitung”, der lange gerade auch für Tonkünste und Musiker so bedeutenden Süddeutschen Zeitung und selbst beim „Flaggschiff”, der Frankfurter Allgemeinen. Der zum Teil drastische Rückgang des Anzeigen-Aufkommens nach dem 11. September 2001 führte unmittelbar zu Einsparungen gerade auch bei den Kultur-Teilen dieser Zeitungen. Die „FAZ“ stellte zum Jahresende die Tiefdruckbeilage „Bilder und Zeiten” ganz ein. Für die „Süddeutsche” versicherte der Verlagschef Hans Gasser, würden „sanfte Möglichkeiten” der Einsparung ventiliert – „von Altersteilzeit bis zum Nicht-Besetzen frei werdender Stellen” (12.12.2001). Insbesondere ließ und lässt sich im Segment der freien Autoren, die einen erheblichen Teil der Musik- und Opernkritik anlieferten, fast geräuschlos abbauen.

Den selben Kurs verfolgen die Radioanstalten zum Zweck der „Kostendämpfung”. So „erledigt” der ökonomische Druck die scharfe Beschneidung eines wenig geliebten Zweigs der Publizistik. Gerade die über so gewaltige finanzielle Ressourcen verfügenden öffentlich-rechtlichen Institute stellen aus guten und anfechtbaren Gründen nicht nur Milliarden für Fußball-Übertragungsrechte bereit. Jedoch bei mehr als einem Dutzend hauptseitig funktionslos gewordenen eigenen „Klangkörpern” mit enormen Personalkosten – Symphonie-Orchester, Chöre, Jazz- und Unterhaltungsmusik-Formationen – sollten sie gelegentlich an den primären journalistischen Auftrag erinnert werden. Der rechtfertigt in erster Linie die als Sondersteuer erhobenen Rundfunk-Gebühren. Zu diesem Auftrag gehört nach mitteleuropäischem Kulturverständnis Musikkritik. Und keineswegs nur aus Nostalgie.

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