Kanzler Schröder intoniert mit den Scorpions „Wind of Change” und die „Spaßpartei” klinkt sich hoch auf dem gelben Wagen in die „Love Parade” ein; heutzutage ist alles Pop, sogar die Börse und der Standort Deutschland, wie unlängst VIVA-Chef Dieter Gorny freudestrahlend feststellte. Die Protagonisten der „Neuen Deutschen Härte”, Joachim Witt und Rammstein, überfluten die Charts mit brachialer Riefenstahl-Ästhetik. Nicht wenige Gothic- und Apocalyptic-Folk-Bands beklagen den Untergang des Abendlandes und schwelgen in misanthropischen Fantasien, während „unpolitische” Deutsch-Skins – „langhaarige Sau, du siehst aus wie deine Frau” (Oberste Heeresleitung) – keinen Hehl aus ihrem Hass gegen „Alternative” und „Schwule” machen.
Kanzler Schröder intoniert mit den Scorpions „Wind of Change” und die „Spaßpartei” klinkt sich hoch auf dem gelben Wagen in die „Love Parade” ein; heutzutage ist alles Pop, sogar die Börse und der Standort Deutschland, wie unlängst VIVA-Chef Dieter Gorny freudestrahlend feststellte. Die Protagonisten der „Neuen Deutschen Härte”, Joachim Witt und Rammstein, überfluten die Charts mit brachialer Riefenstahl-Ästhetik. Nicht wenige Gothic- und Apocalyptic-Folk-Bands beklagen den Untergang des Abendlandes und schwelgen in misanthropischen Fantasien, während „unpolitische” Deutsch-Skins – „langhaarige Sau, du siehst aus wie deine Frau” (Oberste Heeresleitung) – keinen Hehl aus ihrem Hass gegen „Alternative” und „Schwule” machen. Pop hat sich zur „Legitimationskultur der Neuen Mitte” entwickelt bis hin zur Ideologie des „survival of the fittest“, diagnostiziert der Autor Martin Büsser. Die Kulturform, die einst Soundtrack für den jugendlichen Protest gegen die Kälte und Ungerechtigkeiten des fortgeschrittenen Kapitalismus war, ist nach rechts abgebogen. In seinem Buch „Wie klingt die Neue Mitte“ beschreibt Büsser eindringlich das Eingeklemmtsein der Popmusik zwischen den Profitinteressen der Weltkonzerne und dem wiedererwachten Nationalismus: Auf der einen Seite wird Pop als „Esperanto des global village“ und „normative Kontroll-Ästhetik“ im „Erlebnispark Arbeitswelt” eingesetzt, auf der anderen Seite wird erzreaktionäre, zuweilen völkische Gesinnung, in dunkle Mystik oder Working-class- und Bierproleten-Kult gehüllt. Vor allem „das Unpolitische an sich ist zum Virus geworden“, kritisiert Pop-Experte Büsser. Obwohl viele Musiker “Stereotypen von Macht und Männlichkeit“ perpetuieren, schwören sie pausenlos, unpolitisch zu sein.Die Ordnung scheint wieder hergestellt: „Endlich sind die Terroristen weg“, die Machthaber „verkaufen fröhlich ihre Panzer“, bleiben ungestört beim Kinderabschieben und „fahren sicher Mercedes, ohne dass die Dinger immer explodieren“, toasted Jan Delay in seinem Reggae „Söhne Stammheims“, und er konstatiert, wie die „Jürgen und Zlatko“ folgen, „doch nicht mehr Baader und Ensslin“. Auf der Pirsch nach den Vorboten der geistig-moralischen Wende gräbt Buchautor Martin Büsser sich durch drei Jahrzehnte Mentalitätsgeschichte der Popkultur. Er stößt dabei auf den schleichenden Verlust der Pubertät – jenen intensiven Zustand der Verwirrung, tiefen Zerrissenheit und Verwundbarkeit, in dem „der Geist sich von den unmittelbaren Zwecken distanziert“ (Theodor W. Adorno). Büsser schließt sich der Auffassung des Soziologen an, dass die Pubertät die einzige Phase der Befreiung ist. Punk habe die Idee geboren, die Pubertät zu verlängern, und den Kampf gegen die Gesellschaft zum höchsten Vergnügen erhoben. So stellt Büsser nicht nur fest, dass Adorno „im Innersten seines Herzens ein Punk war“ – denn auch er betrachtete, Spannungsverhältnisse zum Bestehenden zu schaffen, als einzige Legitimation von Kunst –, sondern Büsser schlägt vor, auf der Suche nach Auswegen, ästhetisch dort anzuknüpfen, wo Pop Widersprüche zuließ, offen zweifelte, sich dilettantisch und verwundbar zeigte. Und das ereignete sich, als Provokateure wie Delay noch keine Ausnahme waren, Scheinfrieden und die falsche Liebe der Hippies entlarvt, Politiker noch nicht als Popstars auftraten, Thatcher und Kohl als „natürliche Feinde“ aller aufrichtig Pubertierenden galten und alle Tage, so wollte es Punk, Silvester sein sollte.
Seine ersten Artikel veröffentlichte der Mainzer Autor Ende der Achtziger in dem Punk/Hardcore-Magazin ZAP. Heute schreibt Martin Büsser für Magazine wie „Konkret“ und „Jazzthetik“. Spätestens seit seiner ersten Buchveröffentlichung „If the Kids Are United“ gehören seine Essays zur Pflichtlektüre der kritischen Pop-Konsumenten. Vor allem Musikfreunde, die unglücklich darüber sind, dass Punk sich auf Deutsche Bank reimt, saugen seine Werke auf wie Nektar und ordnen sie im Bücherregal ganz in der Nähe von Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz ein. Seit 1995 ist Büsser Mitherausgeber der Buchreihe TESTCARD, die zweimal jährlich erscheint und sich jeweils Schwerpunktthemen widmet, die Popkulturgeschichte berühren: Literatur, Krieg, Gender et cetera.
Es ist der erstaunliche Materialreichtum, die pointen- und bilderreiche Sprache, die seine Reflexionen über die „Musik der Unbefugten“ (Büsser rekurriert auf die antiakademische Pop-Definition des Aktionskünstlers Günter Brus) für nachdenkliche Popfans so attraktiv machen. Der Literaturwissenschaftler knüpft methodisch an Theodor W. Adorno an, wenn es darum geht, die vielfältigen Erscheinungsformen sowie die materiale Beschaffenheit von Pop als Chiffren gesellschaftlicher Verhältnisse zu deuten und die Lügen der Popkultur aufzudecken. Und wenn der 34-Jährige in seinen Büchern den Verrat anprangert, den Pop tausendfach begangen hat, dann versäumt er nie, seinen Lesern auch von dessen eruptiver Kraft und der herrschaftszersetzenden Virulenz zu erzählen. –Wenn diese Musik als Ästhetik des Widerstands verstanden und gelebt wird.
Martin Büsser über den Wertewandel in der Popkultur
nmz: Konservative, reaktionäre bis faschistoide Tendenzen erobern immer mehr Terrain in der Popmusik und bekommen großen Applaus. Ist das ein speziell deutsches oder ein internationales Phänomen?
Büsser: Die geballte Ladung an reaktionären und offen rechten Tendenzen in Pop- und Rockmusik fällt in Deutschland besonders auf. Sie reicht ja von all den in deutscher Sprache singenden Neonazi-Bands aus dem Skin-Spektrum bis zu den „rehabilitierten“ Böhsen Onkelz. Im Mainstream reicht sie von Bands, die mit rechter Ästhetik kokettieren (Joachim Witt, Rammstein) bis zu Gruppen, die zwar nicht rechts sind, aber linientreu mit der gegenwärtigen Regierung (etwa BAP, die sich seinerzeit für die NATO-Einsätze in Jugoslawien ausgesprochen hatten). Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein internationales Phänomen handelt. Gerade die rechten Teile der Gothic- und Black-Metal-Szene finden sich überall, unter anderem in Italien, England, den USA, Norwegen und sogar – so paradox das klingen mag – in Israel; der berüchtigtste Vertreter des offen rechten Apocalyptic Folk (Douglas Pearce von Death in June) ist Brite. Gegen eine ursprünglich international ausgerichtete und vom angloamerikanischen Raum bestimmte Popkultur haben sich innerhalb der letzten zehn bis fünfzehn Jahre zahlreiche lokale Subszenen herausgebildet, die auf Werte wie Regionalismus, Nationalismus und kulturelle Identität setzen. Sie sind in der Regel antiamerikanisch ausgerichtet und verstehen sich als Protest gegen Kommerz und Mainstream – allerdings nicht aus einer alten, linken Haltung heraus. Ihr Antikapitalismus zielt eher darauf ab, regionale Produkte zu fördern.
Teil II in nmz 10/02