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Markneukirchen, wo selbst die Namen klingen

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Die Schöpfer von Qualitätsinstrumenten trotzen Krieg und Krisen
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Die Posaunen von Jericho ließen bekanntlich Türme und Mauern erzittern. Lauter, vor allem melodiöser, tönten die 2.800 Musikinstrumente im Museum Paulus Schlössel in Markneukirchen, in dem sie schlummern, würde ein Zauberer sie allesamt zum Klingen bringen! Und mitten darin der Brummton eines Kontrabasses. Ich empfinde den Kontrabass aus der Meyer-Werkstatt in der Bergstrasse in Markneukirchen als ausgesprochen stark und mächtig. Die Ausmaße des Instrumentes sind Respekt einflößend: dunkelbraun lackiertes, wertvolles Holz. Viele Jahrzehnte gewachsen und abgelagert. Fichte und Ahorn aus den umliegenden dichten, jetzt im Frühling duftenden Wäldern des Vogtlandes. Heute jedoch meist importiert aus Übersee. Selten, teuer und kostbar.

Die Posaunen von Jericho ließen bekanntlich Türme und Mauern erzittern. Lauter, vor allem melodiöser, tönten die 2.800 Musikinstrumente im Museum Paulus Schlössel in Markneukirchen, in dem sie schlummern, würde ein Zauberer sie allesamt zum Klingen bringen! Und mitten darin der Brummton eines Kontrabasses. Ich empfinde den Kontrabass aus der Meyer-Werkstatt in der Bergstrasse in Markneukirchen als ausgesprochen stark und mächtig. Die Ausmaße des Instrumentes sind Respekt einflößend: dunkelbraun lackiertes, wertvolles Holz. Viele Jahrzehnte gewachsen und abgelagert. Fichte und Ahorn aus den umliegenden dichten, jetzt im Frühling duftenden Wäldern des Vogtlandes. Heute jedoch meist importiert aus Übersee. Selten, teuer und kostbar.Ich stehe, erstmals im Leben, dem Schöpfer eines Kontrabasses gegenüber: Günther Focke zeigt stolz auf sein Werk: Ein Phalanx von Instrumenten im wohl temperierten Nebenzimmer! Stramm und aufrecht die Kontrabässe, wie dunnemals die Soldaten der späteren sächsischen Könige, die wohl wussten: Die Geigen und Bratschen, die Kontrabässe und Waldhörner, die Flöten und Mandolinen, Pauken, Trommeln und Akkordeons aus Markneukirchen und Klingenthal waren ebenso wertvoll wie das weiße Gold aus Meißen.

Alles begann mit Geigenbau

1677 ließen sich zwölf böhmische Geigenbauer, Auswanderer, Exulanten ins sächsisch-deutsche Exil, hier nieder und ließen fern von der Welt und doch nahe dran, ihre Kunst blühen und wachsen – und ihre Familien auch.

Wo Geigenbauer ihre Werkstatt errichteten, kamen die Schöpfer der anderen Streichinstrumente bald hinzu. Später auch die der Blechblasinstrumente und der Harmonikas aller Art und aller Sorten, Pauken und Schlaginstrumente eingeschlossen, die Flötenbauer nicht zu vergessen, eins bedingte das andere und einer benötigte den anderen zum Leben, zum Arbeiten, man stand in Konkurrenz und doch fühlte sich einer dem anderen verbunden.
Apropos Flötenbauer: Bei meinem kundigen Freund (Albrecht Börner „Seltenes Handwerk“, Verlag Dr. Bussert u. Stadler) kann man nachlesen: Der Vogtländische Musikinstrumentebau wurzelt im Geigenbau. Aber bereits Anfang des 18. Jahrhunderts lernte ein Sohn der aus Schleswig-Holstein zugewanderten Töpferfamilie Hammig das Handwerk des Holzblasinstrumentenbauers.

Auf den Flötenbau konzentrierte sich dann Anfang des 20. Jahrhunderts die Firma unter Philipp und August-Richard Hammig. Die Hammigs gingen auf Wanderschaft und machten sich mit dem Böhm-Flötenbau bekannt und schufen Jahre später die Grundmodelle moderner Flöten. Gerhard Hammig, der Sohn Philipps, übernahm Ende der 50er-Jahre den Betrieb des Vaters. Den Hammigs blieb in der DDR-Zeit, während der letzten Verstaatlichungswelle im Jahr 1972, nichts anderes übrig, als sich dem „volkseigenen Betrieb“ anzuschließen.

1988 konnte Gerhard Hammig ausscheiden und den Betrieb seines verstorbenen Enkels übernehmen, dem es gelungen war, privat zu bleiben. Nach der Wende, 1991, erwarb er den väterlichen Betrieb zurück. Beide vereinigte Betriebe übergab Vater Hammig 1994 seinen vier Kindern. Schließlich hat 1994 die Firma Philipp Hammig & August-Richard Hammig auch die Schönecker Werkstatt Karl Christian Lederer übernommen und stellt die Modelle dieses früh verstorbenen Meisters her, dessen Sohn bei den Hammigs mitarbeitet.

Migration bleibt ein Thema

Instrumentenbauern sind oft auch Musikanten : Fast alle spielen zumindest ein Instrument, auch Meister Günther Focke.

Der Sohn, Marko Focke, 28 Jahre jung, Kontrabass-Bauer wie sein Vater, ist ein Meister seines Faches und musiziert daneben eifrig in seiner Volksmusik-Band.
Oder die Familie Ekkard Seidl: Der Vater ist Musikwissenschaftler und Musiker. Der Bruder Schlagzeuger in der Staatskapelle Dresden, und man spielt dort selbstverständlich auf Instrumenten, die hier geschaffen wurden.

Wie sieht es heute aus, 56 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Jahrzehnt nach dem Ende der DDR, nach der Wende? Wir erwähnten die böhmischen Geigenbauer, die Mitte bis Ende des 17. Jahrhunderts die erste Geigenbauer-Innung auf sächsischem, auf deutschem Boden organisierten. Sie waren aus religiösen Gründen geflohen. Sie wollten ihrem Gewissen treu bleiben. Drei Jahrhunderte, zehn Generationen nach den böhmischen Exulanten, standen die Musikinstrumentenbauer wieder unter Druck, der kam diesmal von der SED.

Es gibt eine alte Erfahrung: Wo Unfreiheit herrscht, können Kunst und Kultur nicht oder nur schlecht gedeihen. Kunst benötigt Freiheit wie die Luft zum Atmen.

Man darf nicht vergessen: Viele Musikinstrumentenbauer mussten in den 40 Jahren der „Arbeiter- und Bauernmacht“ den idyllischen Winkel im oberen Vogtland verlassen. Sie fanden im Westen, in der Bundesrepublik, Freiheit und ihr Auskommen, denn es waren nicht die schlechtesten, die den schwierigen Weg wählten.

Standort Markneukirchen

Bürgermeister Hoyer sitzt uns gegenüber: „Heute, im Gegensatz zu 1900, ist Markneukirchen nicht mehr der Nabel der Welt.“ Was bedeutet das? „Nun, wir spüren es jeden Tag: Die Zeiten haben sich geändert. Nicht erst durch die ,Wende’. Nein, schon länger vorher, nach dem Zweiten Weltkrieg.“

„Heute“, sagt Karl-Heinrich Hoyer, „kommen nur noch zweieinhalb bis drei Prozent der Weltproduktion aus der Gegend!“

Meister Günther Focke, Schüler und Fortsetzer des Werkes von Alfred Meyer (dem er sich heute noch stark verbunden fühlt), ist zum Beispiel stolz darauf: Das Philharmonische Orchester in Bergen (Norwegen) lässt neuerdings bei ihm in der Meyer-Werkstatt seine Kontrabässe reparieren. Auch andere Orchester in Norwegen wenden sich nun an ihn, denn dort oben in Skandinavien gibt es eben keinen Qualitäts-Instrumentenbaumeister wie Günther Focke einer ist.

Günther Focke hat in den 50er-Jahren seinen Beruf gelernt. Man sieht ihm seine 60 Jahre nicht an. Er lernte in der Kontrabass-Werkstatt Rubner.

In der DDR-Zeit wurde er Industriemeister in dem zwangsgegründeten „volkseigenen Betrieb“. Da kam es vor, dass Betriebsleiter, die eben nicht das Spezialwissen wie Focke und andere mitbrachten, nach Westdeutschland geschickt wurden (sie waren „gute Genossen“), um die dringend benötigten ausländischen Hölzer einzukaufen. Was sie einkauften war oft „dass Gott erbarm“. Nun gut, Günther Focke stand es durch. Er gehörte zum „Fähnlein der sieben Aufrechten“, wie er das nennt. Vater Mönnig und Sohnstellen Waldhörner her. Walter Mönnig ist inzwischen 92 Jahre alt. Auch das Familienunternehmen Hammig stand die schwierigen Zeiten durch, Flötenbauer alle vier: Thomas, Gunter, Frank und Tochter Steffi.

Abwärtstrend gestoppt

Es gehören – Gott sei Dank – mehr als sieben zum Fähnlein der sieben Aufrechten. Heute sind trotz der großen „Reibungsverluste“, die der Druck der SED und auch die „Wende“ gebracht hat, trotz Abwanderung vieler Jugendlicher nach der „Wende“ (die im Westen bessere Löhne und bessere Lebensverhältnisse suchten) wieder weit über tausend Musikinstrumentenbauer in Markneukirchen tätig. Und es kommen viele hundert, vielleicht weit über tausend im oberen Vogtland hinzu. Der Abwärtstrend ist gestoppt. Wodurch?

Durch die in Jahrhunderten gewachsene Qualitätsarbeit der alten Musikinstrumentenmeister, die ihr Fachwissen weitergeben an die Jugendlichen, die lernen wollen. Lernen können sie auch in der örtlichen Musikfachhochschule (Westsächsische Hochschule Zwickau), deren Tätigkeit, wie die Direktorin des Musikinstrumenten-Museums Heidrun Eichler versicherte, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Bei all den positiven Signalen, es gibt in Markneukirchen und im oberen Vogtland noch viel zu tun. Von interessanten Entwicklungen auf dem Gebiet elektronischer Orgeln ist die Rede.
Aber auch die alten, ehrwürdigen Namen der Geigenbauer und der Flötenhersteller, der Bogenbauer und die vielfach ausgezeichnete Meisterwerkstatt Meyer-Focke klingen wieder und sind zukunftsträchtig wie eh und je, denn wie heisst es in einem schönen Volkslied: „Aber die Musici, aber die Musici, aber die Musici – bleibet bestehn!“

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